Frickelei und Fortschritt

von | 02.01.2015 | Belletristik, Buchpranger

Wenn Terry Pratchett einen neuen Scheibenwelt-Roman veröffentlicht, kann man sich sicher sein, dass man ein Werk voller Fantasie, Witz und Gesellschaftskritik in den Händen hält. Bei „Toller Dampf voraus“ ist es nicht anders.

Welche Fortschritte hat Ankh-Morpork nicht schon miterlebt! Postämter, Papiergeld, Klackertürme – Feucht von Lipwig ist dabei und hat immer seine Halunkenhände im Spiel. Nicht anders ist es, als ein junger Mann aus der Provinz seine neu erfundene Dampfmaschine in die Großstadt bringt und allerhand in Bewegung versetzt. Lord Vetinari beauftragt Feucht, den Bau der Eisenbahn zu überwachen und zum Erfolg zu führen. Denn plötzlich eröffnen sich überall Chancen, Geld zu verdienen: Handelsware kann schneller von A nach B transportiert werden und der Tourismus an der stetig wachsenden Eisenbahnstrecke boomt.

Doch ganz so rosig ist die Situation nicht: Weit weg in Überwald organisieren sich ultrakonservative Splittergruppen der Zwerge. Nicht nur, dass sie die Eisenbahn mit terroristischen Anschlägen sabotieren, bald putschen sie auch gegen den Zwergenkönig. Kann Feucht mithilfe seiner Verbündeten den Bürgerkrieg Zwerg gegen Zwerg verhindern? Die Zeit läuft ihm davon, und die Schienen bis nach Überwald lassen sich nicht an einem Tag verlegen…

Mit „Toller Dampf voraus“ ist Pratchett erneut ein hochaktueller Roman gelungen. Zwar begeistert die Story nicht mehr ganz so sehr wie frühere Werke von der Scheibenwelt, aber dennoch sprüht sie vor Charme und Witz. Denn was Pratchetts Romane so unwiderstehlich macht, ist einerseits die detailreiche, absurde und bunte Fantasywelt und andererseits die skurrilen Figuren wie Vetinari, Mumm oder Feucht von Lipwig. So erscheint Feucht nach „Ab die Post“ und „Schöne Scheine“ in seinem dritten Abenteuer etwas gezähmt, dennoch lebt die Geschichte durch seinen Risikoreichtum, der fast an „mehr Glück als Verstand“ ragt.

„Toller Dampf voraus“ ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. Trotzdem schadet es nicht, vorher schon einige weitere Bücher von der Scheibenwelt gelesen zu haben. Denn nur so kommt man als LeserIn in den Genuss aller (politischer und technischer) Entwicklungen und Running Gags.

Gerade bei Terry Pratchetts Büchern muss der Fokus auch auf die deutsche Übersetzung gelegt werden. So manches Wortspiel kann selbst bei der spitzfindigsten Übertragung nicht wiedergegeben werden (so bleibt den des Englischen Unkundigen verborgen, was am „Forst von Effing“ so zweideutig ist). Aber die meisten Eindeutschungen der Namen und Orte sowie der Witze sind dem Übersetzer gut gelungen. Die Sprache kommt locker daher und unterstützt die parodistisch-schnoddrige Art der Scheibenwelt-Abenteuer. Ein Blick in das englische Original kann jedoch sicherlich nicht schaden, um das Leseerlebnis zu vertiefen.

Auffällig ist, wie bei den meisten der Scheibenwelt-Romane, dass sie stellenweise wie Allegorien auf unsere Welt gelesen werden können. Das liegt daran, dass Pratchett nicht einfach nur lustige Bücher schreibt. Vielmehr lässt er seine Kritik an der Gesellschaft durch seine Feder fließen. So belebt er damit die Scheibenwelt, etwa indem er sie um neue Kommunikationswege, Genderdebatten und politische Konflikte bereichert, die man auch aus den Tageszeitungen kennt. Nicht umsonst sagt Autor Neil Gaiman über ihn, dass Pratchetts Wut auf die Ungerechtigkeit der Welt der Treibstoff ist, der die Scheibenwelt zum Laufen bringt.*

„Toller Dampf voraus“ ist als 40. Buch der (mehr oder weniger lose zusammenhängenden) Reihe damit eher ein Buch für die fortgeschrittenen Scheibenwelt-LeserInnen. Wer noch nie zu Pratchetts Büchern gegriffen hat, kann sich z.B. an den kürzlich erschienenen Neuübersetzungen der älteren Werke einen Überblick verschaffen.

Maike

Toller Dampf voraus, Terry Pratchett, Gerald Jung (Übersetzer), Manhattan Verlag, 2014
*Quelle: The Guardian online, aufgerufen: 24. September 2014

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

3 Kommentare

  1. Avatar

    Hat dies auf amethyststurm rebloggt und kommentierte:
    Pratchett liebe ich ja seit Jahren, und auch wenn die spätern Bücher ein bisschen ihre Originalität eingebüßt haben, heißt das nicht, dass sie nicht saukomisch und vor allem bissig sind…

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  2. Avatar

    Ein neuer Pratchett? Her damit!! Ich habe alle Scheibenweltromane gelesen und bin (obwohl ich ganz sicher nicht mehr zur jungen oder mittleren Generation gehöre) ein absoluter Pratchett-Fan. Nun muss ich das Buch, dessen Lektüre ich morgen beginnen wollte (Unendlicher Spaß von David Foster Wallace) noch etwas verschieben. Denn ich bin mir sicher, dass ich den Wälzer nicht so schnell auslesen werde. Tausend Dank für den Tipp!

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    • Bücherstadt Kurier

      Hallo Elvira, bei so vielen Büchern von Pratchett kann man auch mal eines übersehen. Schön, dass wir dir helfen konnten, wieder up-to-date auf der Scheibenwelt zu sein. Ich finde, die Bücher sind zeitlos, egal für welche Generation. Viel Spaß beim Lesen! Lass uns gerne wissen, was du von dem Buch hältst! (Maike)

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