Die Illusion von Nah und Fern

von | 30.09.2014 | Belletristik, Buchpranger

Als ich „Die Illusion des Getrenntseins“ von Simon van Booy das erste Mal in einer Buchhandlung sah, war es wie Liebe auf den ersten Blick. Das Coverbild, so leicht und schwebend wie das Motiv, die Farben so angenehm, der Titel beeindruckend. Manchmal täuscht uns die Aufmachung eines Buches, sei es die Gestaltung des Covers oder der reißerische Klappentext. Bei „Die Illusion des Getrenntseins“ war der Eindruck allerdings alles andere als nur eine Illusion…

Die Handlung spielt mitten im Zweiten Weltkrieg, erzählt wird sie aus der Sicht verschiedener Menschen unterschiedlichen Alters. Das Besondere daran: Die Kapitel wechseln nicht nur zwischen den Protagonisten, sondern auch in der Erzählperspektive (Ich-, Personaler-, Allwissender Erzähler), dem Handlungsort und der Zeit. Während des Lesens wird man angeregt, stets mitzudenken und die Erzählstränge selbst zu verknüpfen. Eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass nur wenige Hinweise gegeben und die Namen der Beteiligten nicht immer von allen ausgesprochen werden.
Der Eindruck, der durch das Cover geweckt wurde, bleibt einem auch beim Lesen erhalten. Lockerleicht, schwebend, poetisch, philosophisch, angenehm, liebevoll – so könnte man den Schreibstil des Autors beschreiben. „Er stellte sich die Kämpfe jenseits des Meeres vor. Das Aufblitzen und die Schreie. Er konnte sie in seinem Mund schmecken. Und als er da stand, ohne sich zu rühren, öffnete sich sein Herz den vielen Feldern voller Toter, die den Helm noch auf dem Kopf trugen, ihre Augen scheinbar sehend geöffnet. Liebe ist auch eine Verletzung und kann nicht ungeschehen gemacht werden.“ (S. 101)

Man wird hineingezogen in ein wirres Durcheinander von Schicksalen verschiedener Menschen, die alle auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind. Wie genau, das erschließt sich einem nach und nach beim Lesen, die endgültige Auflösung gibt es am Ende. Aber auch dann lässt einen die Geschichte nicht los. Man möchte die Welt, die Simon Van Booy erschaffen hat, nicht so schnell wieder verlassen, grübelt über die Geschehnisse nach, über Worte, die geäußert wurden, über die Moral, die einem vermittelt wurde: Dass selbst die kleinste Entscheidung über das Schicksal vieler Menschen bestimmt, dass man durch sein eigenes Handeln Großes bewirken kann. Ein Kreislauf, der sich erst am Ende eines Lebens schließt.

„Die Illusion des Getrenntseins“ hat mich auf eine stille, leichte Weise berührt wie es noch kein Buch zuvor getan hat. Wie ein angenehmes Lied klingt die Geschichte in meinem Kopf noch nach und erinnert immer wieder daran, wie nah die Menschen einander doch sind, auch wenn sie es nicht glauben. Denn schlussendlich ist das Getrenntsein nur ein Gedanke in unserem Kopf und nichts weiter als eine Illusion.

Alexa

Die Illusion des Getrenntseins, Simon Van Booy, Claudia Feldmann, Insel Verlag, 2014

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Auch ich habe das Buch ganz gerne gelesen, muss aber gestehen, dass ich mir aufgrund des Klappentextes dann doch eine ganz andere Geschichte versprochen hatte. Dennoch ist das Buch in der Tat ein interessantes Leseerlebnis!

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    • Bücherstadt Kurier

      Ich muss gestehen, ich habe den Klappentext nur kurz überflogen, um mir einen ersten Eindruck zu schaffen, und ihn dann wieder vergessen. Da mich schon oft Klappentexte getäuscht oder mir zu viel von der Geschichte verraten haben, überfliege ich sie nur, nehme sie in den seltensten Fällen ernst. Manche Bücher kaufe ich mir sogar, ohne mir den Klappentext durchgelesen zu haben, allein aus einem Gefühl heraus. Und dann lese ich das Buch zu Ende und vergleiche meine Zusammenfassung mit dem Klappentext – das ist so herrlich spannend! Wie stehst du zu Klappentexten? 🙂

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