Birgit Böllinger

von | 08.05.2014 | Buchpranger, Im Interview, Stadtgespräch

„Ein Buch soll mich an- oder aufregen, Denkarbeiten mitgeben, zur Auseinandersetzung auffordern. Und ich mag es, wenn das in eine gute Geschichte verpackt ist – das können die Amerikaner einfach.“

Foto © Birgit Böllinger

Bücherstädterin Alexa hat sich mit Birgit Böllinger im Café La Roche getroffen und ihr einige Fragen zu ihrer Person und ihrem Literaturblog „Sätze&Schätze“ gestellt.

BK: Liebe Birgit, bitte stelle dich kurz unseren Lesern vor.

Zwar mag ich gerne über meinen Blog sprechen und über Bücher, aber über mich selbst nicht so sehr. Ich verfremde hier einfach mal ein Zitat von Fernando Pessoa: „B.B. ist, wie Sie wissen, eine in Augsburg ausgebildete Zeitungsredakteurin, und lebt und arbeitet immer noch in einem journalistischen Beruf in dieser kleinen Großstadt. Außerdem ist sie 1,70 m groß, nicht mager und geht gebückt. Aber all das ist recht nebensächlich!“ Hauptsächlich: Leserin seit ca. 40 Jahren.

BK: Wie entstand „Sätze&Schätze“?

Beim Kaffeeklatsch mit einem Freund, ebenfalls Vielleser. Wir sprachen über Bücher und jammerten über mangelnde Austauschmöglichkeiten. Man trifft nicht alle Tage Menschen, die überhaupt Freude am Lesen haben, dann vielleicht sogar noch einen ähnlichen Geschmack – jedenfalls nicht in unserer kleinen Großstadt. „Lesezirkel“ waren mir zu verschult und akademisch – das Konzept, „alle lesen jetzt am selben Buch und dann reden wir mal drüber“, das ist nicht meins. Ich will spontane Gespräche und Reaktionen! So entstand die Idee, das einfach mal in den virtuellen Raum zu stellen und zu sehen, was passiert.

BK: Und was ist dann passiert?

Erst hatten wir 2 Fans (uns selber). Nach einem Monat vielleicht 50. Und plötzlich kamen schubweise immer mehr Leute auf die Seite, dann das Interview mit dem Bücher Magazin, die Zusammenarbeit mit Euch – wer weiß, was noch alles kommt…

BK: Was macht dir an diesem Projekt besonders Spaß?

Eben die Reaktionen, der Austausch, die Begegnungen –und dass ich ständig mit neuen Ideen im Kopf beim Lesen anderer Seiten den Laptop zuklappe. Das Bloggen ist vor allem für mich selbst eine Bereicherung.

BK: Was ist deine Motivation dabei? Hast du ein Ziel, das du unbedingt erreichen möchtest?

Wir – inzwischen ich – wollten anfangs einfach nur unsere Begeisterung für bestimmte Bücher und Genres mitteilen, auch Alternativen anbieten zu den vielen Neuerscheinungen, die meisteingehendst besprochen werden. Mit einer so hohen Resonanz hatten wir eigentlich nicht gerechnet. Das motiviert natürlich zusätzlich – rund 800 Fans auf der Facebook-Seite: Als ich das zum ersten Mal sah, habe ich mir die Augen gerieben. Freude und Zweifel gingen dabei jedoch ineinander über. Ich dachte mir: „Jetzt wird es ernst, Quatsch kannst Du da keinen machen.“ Das hat sich wieder beruhigt. Solange ich Spaß dabei habe, mache ich das weiter. Ein Ziel verbinde ich damit nicht – es soll nur mir Freude machen und den Lesern.

BK: Du sagtest „inzwischen ich“ – ist dein Mitgründer nicht mehr dabei?

Ja, ihm ging irgendwann ein bisschen der Spaß dran verloren und er entschied aufzuhören, das war okay für uns beide.

BK: Gibt es auch Schwierigkeiten bei diesem Projekt?

Zu viele Ideen, zu wenig Zeit.Manchmal auch Selbstzweifel: Ich mache zu viel, wen interessiert das, wie kann ich überhaupt (also Urteilen über Literatur)?

BK: Wie suchst du die Themen deiner Beiträge aus?

So wie ich lese –ich stecke eine Zeit in der amerikanischen Literatur fest, da führt der Weg dann von Fitzgerald zu Cheever, zu Roth und Saul Bellow etc. Zurzeit sind es die Briten. Daraus speisen sich dann meist die Buchvorstellungen. Ein Buch führt dabei zum nächsten, daraus speist sich der Blog. Und dazwischen viel Lyrik – irgendein Gedichtband liegt bei mir immer griffbereit. Vieles ergibt sich spontan, Ideen liegen in der Luft, oder ich habe das Gefühl, jetzt hatte ich wieder einmal „zu viel Ernstes“ auf dem Blog – dann läuft mir wieder ein Tucholsky, ein Ringelnatz oder auch ein Barockdichter über den Weg.

BK: Welches Genre liest du am liebsten?

Belletristik und Lyrik – bei der Belletristik liegen die Schwerpunkte in der amerikanischen, deutschen und jüdischen Literatur, zeitlich nicht beim Aktuellen, eher jenes, was mit „Klassik der Moderne“ umrissen wird.

BK: Gibt es bestimmte Kriterien bei der Auswahl der Bücher, die du liest?

Die Auswahl ergibt sich schon einmal aus den eigenen Schwerpunkten: habe ich in der spärlichen Lesezeit die Auswahl zwischen einem neuübersetzten Faulkner oder einem Buch von der jüngsten Longlist für den nächsten Buchpreis, dann greife ich zum Faulkner. Zwei Kriterien: Ein Buch soll mich an- oder aufregen, Denkarbeiten mitgeben, zur Auseinandersetzung auffordern. Und ich mag es, wenn das in eine gute Geschichte verpackt ist – das können die Amerikaner einfach.

BK: Was machst du, wenn du mal nicht für den Blog schreibst?

Arbeiten, lesen, leben.

BK: Hast du dir etwas für 2014 vorgenommen?

Nein –ich nehme mir grundsätzlich nie etwas vor. Ich bin zwar relativ strukturiert, aber planlos.

BK: Was war als Kind dein Traumberuf?

Der erste Berufswunsch, an den ich mich erinnere: Journalistin. Aber da war ich bereits schon pubertierend.

BK: Welche drei Bücher würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?

Da würde ich mir doch endlich einen Ebook-Reader zulegen – aber wahrscheinlich gibt es auf der Insel keinen Strom?

BK: Nein, kein Strom.

Dann Robinson Crusoe von Daniel Defoe – das erscheint mir praktisch, um auf der Insel zu überleben.Im Ernst: In die Situation möchte ich niemals, niemals kommen, diese Auswahl treffen zu müssen. Aber wenn, dann wäre klar: Die gesammelten Gedichte von Bertolt Brecht.

BK: Warum ausgerechnet diese?

Weil ich in diesen Gedichten immer wieder etwas entdecken kann, weil ich immer wieder auf sie zurückgreife, weil mir die Haltung, die darin verborgen ist, gefällt, weil Brecht will, dass seine Leser denken.

BK: Hast du ein „absolutes Lieblingsbuch“?

Ein ausdrückliches Lieblingsbuch habe ich nicht, es gibt nur welche, die ich immer wieder lesen kann, so den großen Gatsby, wie eigentlich fast alles der unten genannten bevorzugten Autoren. Und Lyrik. Ein Buch, das dem Attribut Lieblingsbuch nahe kommt, dies aber nicht nur aus literarischen Gründen, sondern auch, weil es mit Erinnerungen an bestimmte Personen und eine Lebensphase verknüpft ist: „Feinde, die Geschichte einer Liebe“ von Isaac Bashevis Singer.

BK: Welches Buch würdest du am liebsten nie wieder in die Hand nehmen?

Auch hier fallen mir eher Namen einzelner Autoren ein, die mir nicht besonders liegen, denn bestimmte Bücher. Aktuelles Beispiel: „Söhne und Liebhaber“ von D. H. Lawrence, der dritte Versuch, einen Roman dieses Schriftstellers zu lesen – es geht einfach nicht.

BK: Hast du Lieblings-Schriftsteller? Oder Schriftsteller, die dich in irgendeiner Weise inspiriert/beeinflusst haben?

Bertolt Brecht wegen seiner Nüchternheit, Klarheit. F. Scott Fitzgerald wegen der Eleganz seiner Sprache. Kafka ,weil er das Verborgene sichtbar macht. Raymond Carver, John Cheever, und noch einige Amerikaner. Isaac B. Singer und Elias Canetti.

BK: Welche ist, deiner Meinung nach, die bisher beste Buchverfilmung? Gibt es eine, auf die du dich besonders freust?

Wenn wir von Romanen sprechen: Nein. Ich fürchte mich eher davor. Literaturverfilmungen sehe meistens nicht an oder wenn, dann bin ich enttäuscht. Ich mag Doktor Schiwago, aber nicht, weil es eine gelungene Buchverfilmung wäre, sondern natürlich wegen Omar Sharifs Augen. Ein bisschen auch wegen Julie Christie. Und weil ich beim Anschauen meinen Hang zum Kitsch ausleben kann.
Mit Dramen sieht es besser aus – es gibt beispielsweise sehr gute Shakespeare-Verfilmungen (wobei ich immer noch Mel Gibbson als Hamlet verdauen muss). Ach, beim Schreiben fallen mir doch noch zwei gute Literaturverfilmungen ein: „Jules et Jim“. „Fahrenheit 451“. Beides Filme von Truffaut, fällt mir auf.

BK: Wenn du bestimmen könntest, welches Buch verfilmt werden sollte – welches Buch würdest du wählen? Und warum ausgerechnet dieses?

Da möchte ich lieber gar nichts zu entscheiden haben – ich drücke mich.

BK: Wo liest du am liebsten?

Auf meinem Sofa.

BK: Wie lautet dein Lieblingszitat?

Das wechselt, ein ausgesprochenes Lieblingszitat habe ich nicht. Aber ich habe ein Lieblingsgedicht – das Sonett Nr. 19 von Bertolt Brecht. Die letzten drei Zeilen:
Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brauche dich, wie`s immer sei.
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.

BK: Gibt es ein Wort, das dir besonders gefällt?

Chùtzpe. Manchmal habe ich sie, manchmal wünschte ich mir mehr davon.

BK: Wenn du ein Buch wärst, welches wärst du?

Optisch? Haptisch? Inhaltlich? Ich weiß es schlichtweg nicht. Dazu müsstet ihr die Menschen in meiner Umgebung fragen. Wahrscheinlich bin ich dann: Viele Bücher.

BK: Welche Frage hast du dir in einem Interview schon immer mal gewünscht? Wie würde deine Antwort darauf lauten?

Ich bin schon überrascht und freudig gestimmt, dass mit mir jemand ein Interview führt. Wobei ich bisher immer die Fragende war. Und feststelle: Mir war ganz wohl in dieser Rolle, weil es sich hinter Fragen gut verstecken lässt. Das heißt, dass ich mir auch nie eine Frage gewünscht habe. Aber mir fällt natürlich was ein: Hätten Sie etwas dagegen, monatlich alle Bücher Ihrer Wahl umsonst und ohne Gegenleistung von uns zu bekommen? Meine Antwort: Nö, keinesfalls, her damit!

BK: Was machst du, wenn unser Buchfink dich besuchen kommt?

Ganz aufgeregt ganz viel Kaffee. Kuchen und Vogelfutter holen.

BK: Vielen Dank für das Interview!

Sonett Nr. 19

Nur eines möcht ich nicht: daß du mich fliehst.
Ich will dich hören, selbst wenn du nur klagst.
Denn wenn du taub wärst, braucht ich, was du sagst
Und wenn du stumm wärst, braucht ich, was du siehst

Und wenn du blind wärst, möcht ich dich doch sehn.
Du bist mir beigesellt, als meine Wacht:
Der lange Weg ist noch nicht halb verbracht
Bedenk das Dunkel, in dem wir noch stehn!

So gilt kein: »Laß mich, denn ich bin verwundet!«
So gilt kein »Irgendwo« und nur ein »Hier«
Der Dienst wird nicht gestrichen, nur gestundet.

Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brauche dich, wie`s immer sei.
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

3 Kommentare

  1. Avatar

    Oh, dieses Interview ist ja eine tolle Idee … ich habe es mit viel Interesse und großer Begeisterung gelesen und freue mich vor allen Dingen an der Tatsache, dass wir dieselbe Leidenschaft für die Amerikaner teilen. 🙂

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  2. Avatar

    Danke für dieses wunderbare Interview – gleichermaßen an die Fragenstellenden und natürlich an die Gefragte, die (wie immer) geistreich, bescheiden und äußerst sympathisch ist!
    Das Wederwill-Team

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  3. Bücherstadt Kurier

    Vielen Dank! Wir freuen uns, dass euch das Interview gefällt und bedanken uns an dieser Stelle gleich nochmal bei Birgit, dass sie dem Interview zugestimmt hat!

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