Vier nicht-gruselige Monster und eine Bücherstädterin

von | 30.10.2016 | Kreativlabor

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Monster und Gespenster sind gruselig! Ist doch klar! Und wer jetzt etwas anderes behauptet, der hat bestimmt zu viele dieser Bücher gelesen und Filme geschaut, die Monster als friedliche Wesen darstellen: „Shrek“, „Gespensterjäger“, „Die Monster AG“ und schließlich „Ksss!“ – in diesen Geschichten fungieren kleine und große Monster als nicht-angsteinflößende Helden. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mehr über ihre Persönlichkeiten herauszufinden.

Da sitzen wir also: Vor mir dampft eine Tasse mit grünem Tee. Zumindest soll es einer sein, wie mir versichert wurde. Nur sieht dieser Tee recht merkwürdig glibberig-schleimig aus, weshalb ich mich noch nicht getraut habe, ihn zu probieren. Später vielleicht. Gerade bin ich eher auf das Monster mir gegenüber fixiert: Ein großer, grüner Augapfel. Michael „Mike“ Glotzkowski heißt dieses Wesen, das mich erwartungsvoll anstarrt. Es reicht gerade so weit über die Tischkante, dass nur sein überdimensional großes Auge zu erblicken ist. Zumindest kann er auf diese Weise nichts verpassen. Denn das will Mike ganz sicher nicht. Seine Neugier auf das, was kommen mag, ist nicht zu übersehen.
Bald hält er es nicht mehr aus und setzt zu einer Frage an. Doch noch bevor er einen Laut von sich geben kann, tropft ihm grüner Schleim auf den Kopf. Seine Miene verändert sich schlagartig. Das große Auge blickt hinauf und entdeckt Hugo. Das kleine Gespenst fällt von der Decke und krümmt sich vor Lachen. „Sei doch nicht so missmutig“, kichert er. „Grün auf Grün sieht man eh nicht!“ In sein Lachen stimmt nun auch der neben mir sitzende Shrek, der tollkühne Held, ein. Noch vor wenigen Augenblicken hat er gelangweilt den Kopf in die Hände gestützt. Er wäre wohl eingeschlafen, hätte Hugo ihn nicht zum Lachen gebracht. „Schleim ist wie Schlamm und somit immer gut!“, bestätigt er. „Ich nehme gerne ein Schlammbad!“
Mike sieht alles andere als begeistert aus.
„Ach komm, nimm das doch nicht so persönlich!“, meint Hugo darauf und wischt ihm mit beiden Händen den Schleim vom Kopf – nicht, ohne weiteren zu hinterlassen.
„Schon gut, schon gut! Lass das!“, versucht sich Mike zu wehren. Er fuchtelt mit seinen dünnen Ärmchen, um Hugo wie eine lästige Fliege zu vertreiben. Dieser fliegt kichernd zur Seite und will gerade den Platz neben Mike einnehmen, als ein piepsiges „Ksss!“ ertönt.
Überrascht blickt Hugo auf den Stuhl. „Ksss!“, macht das kleine Wesen erneut. Es ist so klein, dass es nicht einmal bis zum Tischrand reicht. Kein Wunder also, dass Hugo ihn nicht gesehen hat. „Oh, kleines Monster, wer bist du denn?“ „Ksss!“ „Ich tue dir ja nichts, du kannst mir gerne deinen Namen verraten! Also ich bin Hugo.“ Die Antwort bleibt die gleiche. Bis Shrek genervt mit seiner großen Hand über sein Oger-Gesicht fährt und eine Mischung aus Grummeln und Seufzen ausstößt. „Das ist sein Name. Ksss ist sein Name.“ Er reicht dem Kleinen die Hand, auf die er ohne zu zögern springt. Vorsichtig lässt Shrek das kleinste aller anwesenden Monster auf den Tisch herab.
„Ah! Verstehe, Ksss also!“ Hugo entschuldigt sich für seine Unaufmerksamkeit und nimmt auf einem anderen Stuhl Platz – beziehungsweise darüber. Schweben gehört nämlich zu seinem Hauptmerkmal, das ich mir sogleich notiere.
Während ich schreibe, kehrt plötzlich Ruhe ein. Vier grüne Monster schauen mich erwartungsvoll an. Ich lege den Stift ab und lehne mich zurück. „Nun, ich freue mich, dass ihr die Zeit gefunden habt, den Termin wahrzunehmen. Ich schreibe nämlich gerade einen wichtigen Artikel für den Bücherstadt Kurier – und möchte euch ein paar Fragen stellen.“
„Für den Bücherstadt – was?!“, fragt Mike.
„Kulier“, antwortet Ksss mit seiner piepsigen, dünnen Stimme.
„Kurier“, korrigiere ich.
„Was soll’n das sein?“, will Hugo wissen.
Shrek seufzt. „Das ist ein Zeitungsbote, ist doch klar. Die da ist sowas wie ne Reporterin und will der ganzen Welt unsere Geheimnisse verraten.“
Hugo und Mike schrecken laut einatmend zurück.
Ksss hüpft auf und ab. „Habe kein Geheimnis“, behauptet er.
„Jeder hat ein Geheimnis“, entgegnet Shrek. Nun lehnt auch er sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. „Aber aus mir bekommt sie nichts heraus.“
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Natürlich habe ich mit so einer Reaktion gerechnet. Ich greife zu meinem Rucksack und hole ein paar Dosen und Fläschchen heraus. Während ich eine nach der anderen öffne, sage ich: „Ich möchte nicht über eure Geheimnisse schreiben, sondern über eure Geschichten. Erzählt mir von euren Monstererfahrungen!“
„Orangensaft!“ Hugo fliegt an die Decke. „Sie will mich umbringen! Hilfe!“
Mike nimmt einen großen Schluck, dann einen zweiten. „Keine Sorge, das ist Karottensaft. Lecker.“ Ksss entdeckt die Dose mit den Obststückchen – vor allem Bananen scheinen ihm zu schmecken – während der Oger zum Fleisch greift. Hugo ist zwar noch skeptisch, nimmt jedoch wieder Platz über seinem Stuhl.
„Ich möchte nur über eure Heldentaten berichten“, versuche ich es erneut. „Ihr möchtet doch bestimmt, dass die Welt davon erfährt, oder?“
„Hm“, grummelt Shrek. Er rülpst laut.
„Ihhh“, macht Hugo. Mike hält sich die Nase zu.
„Naja“, beginnt Ksss, ohne auf Shreks Verhalten einzugehen. „In Wahrheit bin ich kein Held. Ich bin ja noch nicht einmal gruselig. In Wahrheit verstecke ich mich in der Garderobe einer Schule…“
Kaum hat Ksss das ausgesprochen, ziehen Mike und Hugo eine mitleidsvolle Miene. Ich ahne, weshalb, und bekomme sogleich die Bestätigung. „Ich bin auch nicht sonderlich gruselig“, gibt Hugo zu. „Ich schaffe es nicht, andere zu erschrecken. Nur ein Mal ist mir das bisher gelungen. Aber das lag wohl an der finsteren Umgebung. Ich habe meinen Menschenfreund nämlich im Keller kennengelernt.“
„Menschenfreund!“ Mike macht ein großes Auge. „Ich habe auch einen Menschenfreund! Es ist ein kleines Mädchen, das sich einfach nicht erschrecken lässt. Es hat keine Angst vor Monstern. Aber gruselig bin ich schon ein wenig. Schließlich lerne ich jede Menge Taktiken und Methoden in der Monster Uni!“
Da wird Shrek hellhörig. „Monster Uni?! So etwas soll es geben?“
„Natürlich! Wenn ich fertig bin, werde ich ein richtiges, schreckliches Monster!“
Shrek starrt Mike einen Moment lang an – und prustet dann los. „Monster Uni! So ein Quatsch!“ Er muss sich vor lauter Lachen die große Hand auf den dicken Bauch legen. „Monster Uni…“, sagt er immer wieder, den Kopf schüttelnd, die Lachtränen wegwischend, den Bauch haltend.
Sein Anblick ist ansteckend. Schließlich müssen auch Ksss und Hugo lachen. Aber nicht lange. Denn das große Auge Mikes nimmt eine zunehmend bedrohliche Form an. Schließlich räuspert sich Ksss. „Ich denke, dass eine Monster Uni sehr lehrreich sein kann. Meine Menschenfreunde gehen auch auf eine Art Uni. Sie nennen es Schule. Und da lernen sie auch was. Und der Lehrer ist da sehr streng. Einmal haben Lise und Paul vergessen, das Licht in der Garderobe auszumachen – da hat es großen Ärger gegeben!“
„Mein Menschenfreund geht auch zur Schule“, meint Hugo.
Shrek schüttelt den Kopf und lässt seine große Faust auf den Tisch fallen, sodass der kleine Ksss umfällt. „Das ist doch ein Märchen. Monstersein lernt man nur durch Monstersein – und das funktioniert nur im wahren Leben. Im wahren Leben muss man Prinzessinnen retten, im Schlamm baden und so tun als sei man schrecklich. In der Schule lernt man höchstens, wie man sich ordentlich anzuziehen hat, wie man gerade sitzt und all so einen Quatsch…“
„Das stimmt nun wirklich nicht“, beginnt Mike, unterbricht sich jedoch selbst und schaut mich auffordernd an – so als erwarte er, dass ich diesen Streit schlichte. Warum aber sollte ich das tun, wenn ich auf diese Weise wertvolle Informationen bekomme? Mit denen sie wahrscheinlich so nicht herausgerückt wären. Und falls doch, dann nur verfälscht.
Ich gebe mich jedoch geschlagen. „Was hat es denn mit euren Menschenfreunden auf sich?“, frage ich. Wieder beginnt Ksss mit seiner Erzählung: „Meine Freunde helfen mir, mich zu verstecken, und bringen mir immer wieder Essen. Und dann unterstützen sie mich dabei, schrecklich angsteinflößend zu werden. Denn erst dann kann ich wieder zurück in meine Welt.“
„Oh“, macht Hugo. „Mein Menschenfreund unterstützt mich auch. Er hat mir sogar einmal das Leben gerettet, indem er mich wieder nach Hause gebracht hat.“
Mike nickt, sein großes Auge wackelt vor und zurück. „Und ich musste mal mit meinem Monsterfreund das kleine Mädchen retten. Beziehungsweise immer wieder retten.“
„Hm“, macht Hugo. „Menschenfreunde sind schon was Tolles!“ Er schaut zu Shrek. „Was ist mit dir? Hast du auch einen Menschenfreund?“
Shrek seufzt. Es ist ihm anzusehen, dass es ihm widerstrebt, etwas von sich zu erzählen. Doch er reißt sich zusammen. „Fiona ist mein Menschenfreund. Naja, ein Mensch war sie früher. Aber dann hat sie sich entschieden, ein Oger wie ich zu bleiben – und den Rest ihres Lebens mit mir zu verbringen.“
„Oh lala!“, macht Mike. „Verliebte!“
Shrek klatscht sich die Hand auf die Stirn und schüttelt den Kopf. „So etwas kannst du nicht verstehen.“
„Natürlich kann ich das!“, behauptet Mike.
Erneut entflammt eine Diskussion. Ich lehne mich zurück, notiere mir alles, was mir als wichtig erscheint und trinke nun doch diesen glibberigen grünen Tee, den mir Hugo zu Beginn eingeschenkt hat. Eine wohlige Wärme breitet sich in mir aus. Bald schon beginnt mich das Schauspiel, das sich mir hier bietet, zu amüsieren. Manchmal muss ich kichern. Der grüne Tee scheint meine Laune erheblich zu bessern, also trinke ich einen weiteren Schluck und noch einen und noch einen und… dann wird meine Sicht auf einmal unscharf. Alles dreht sich. Mir fällt der Stift aus der Hand – sind meine Hände etwa grün?! – und ich schaffe es gerade noch, mich mit beiden Händen am Tisch abzustützen, bevor es vor meinen Augen schwarz wird.

„Pssst!“, höre ich. Jemand schüttelt mich. „Wach auf!“ Ich öffne die Augen und sehe noch verschwommen ein Gesicht über mir. „Was…“, beginne ich und versuche aufzustehen. Mir wird sofort wieder schwindelig. „Was ist passiert?“
Die Frauenstimme lacht. Jetzt erkenne ich sie. Es ist Erzähldetektivin Annette, die antwortet: „Was auch immer die kleinen, harmlosen Monsterchen dir eingeschenkt haben, es war sicherlich kein grüner Tee. Aber keine Sorge, ich nehme die Spur auf und finde sie alle – jede einzelne verschwundene Geschichte!“

Zeichensetzerin Alexa
Illustration: Buchstaplerin Maike

Den grünen Monstern auf der Spur:
Ksss! Lise, Paul und das Garderobenmonster. Daniele Meocci. Illustration: Bernd Lehmann. Orell Füssli. 2015. / Gespensterjäger auf eisiger Spur. Cornelia Funke. Loewe. 2009. / Die Monster AG. Regie: Peter Docter, David Silverman, Lee Unkrich. Drehbuch: Dan Gerson, Andrew Stanton u.a. USA, 2001. / Shrek – Der tollkühne Held. Regie: Andrew Adamson, Vicky Jenson. Drehbuch: Ted Elliott, Terry Rossio u.a. USA, 2001.

 

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

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    :=) !!!

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