Wenn wir spielen, treffen wir Entscheidungen. Jede Bewegung der Maus, jeder Tastendruck ist einzigartig, doch die Erzählung, das Programm, nimmt davon keine Notiz und auch wir sehen nichts Außerordentliches an unserem Klick an diesem Ort zu jener Zeit. Es stellt sich die Frage: Macht es einen Unterschied, wenn es keinen machen soll? Und die Antwort darauf ist: Womöglich. Von Bücherstädter Peter

Eine Entscheidung im Videospiel wird uns für gewöhnlich präsentiert und ihre Konsequenzen, ihre Bedeutung und der Grund ihrer Existenz ist zumeist bekannt oder zumindest in ihren akuten Auswirkungen absehbar (Bsp.: Ich wähle eine ablehnende Antwort – mein Charakter sagt: Nein). Ob es sich um die eine Entscheidung über Leben und Tod eines Charakters oder die Wahl einer Dialogoption aus einem Rad handelt, diese Entscheidungen sind explizit (sie sind stets als das gekennzeichnet, was sie sind). Handelt es sich also um den freien Willen des Spielers, eine Entscheidung zu treffen, oder ist dieser freie Wille in der virtuellen Welt nur eine Illusion und wenn wir nicht unserem eigenen Willen folgen, wessen Willen folgen wir dann? Diese Fragestellungen und mehr sind der Kern des Meta-Narrativs von „The Stanley Parable“. Tauchen wir also ein in die Welt eines Erzählers und seiner Geschichte von Employé Nummer 427.

Ins Labyrinth der Entscheidungsfreiheit

„The Stanley Parable“ ist vordergründig die Geschichte eines Büroangestellten, der sich eines Tages alleine im Büro wiederfindet und sich auf die Suche nach den Gründen des Verschwinden seiner Kollegen begibt, wobei jede seiner Handlungen mit viel Humor von der Stimme eines Erzählers aus dem Off begleitet wird. Dabei ist dem Spieler sein Weg vorgegeben, bis er sich in einem Raum zwei offenen Türen gegenüber sieht, wobei ihn der Erzähler zur linken leitet. Doch beschließt er die rechte Tür zu wählen, beginnt eine wilde Fahrt durch die Welt der Erzähltheorie und der Frage, was es bedeutet, in eine Handlung einzugreifen. Dieser eher expliziten Entscheidung folgt eine Vielzahl kleinerer und größerer impliziter, welche den Fortlauf der Erzählung sowie die Narration beeinflussen und formen. Jedoch beginnt der Entscheidungsprozess bereits viel früher. Zu Beginn schon, als der Erzähler die Spieler zum Verlassen seines Büros auffordert, kann der beschließen nichts zu tun, was zum ersten einer Unzahl verschiedener Enden des Spiels führt. Der Erzähler erklärt nach einer abgelaufenen Zeitspanne der Inaktivität, Stanley sei in seinem Büro verdurstet und ein Ladebildschirm mit dem Text „THEENDISNEVERTHEENDISNEVERTHEEND“ das Spiel von vorne beginnen lässt.

Auf den verschiedenen Wegen durch „The Stanley Parable“, welche sich, wie Ouroboros, in den Schwanz beißen, eröffnen sich Fragen nach der möglichen Freiheit eines Spielers und deren Konsequenzen auf ein Narrativ, das doch in seiner Endlichkeit Grenzen haben muss. Das Spiel und der Erzähler sind sich dabei stets ihrer Selbst bewusst und versäumen nicht, den Spieler immer wieder darauf hinzuweisen und ihn für seine Infragestellung der vorgegeben Autoritäten zu rügen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Kernerzählung des Spiels (welche erfordert, stets den Anweisungen des Erzählers Folge zu leisten) die Geschichte einer Firma ist, die die Gedanken und Handlungen ihrer Angestellten aus einem „Mind Control Center“ heraus steuert.

Eine Endlichkeit des Möglichen

Die Fähigkeit, eine Erzählung zu verformen, und im Extremfall zu durchschauen und zu dekonstruieren, sowie die humorvollen grandios geschriebenen Kommentare der Erzählerfigur, machen den Reiz des Spiels aus. Das immer weitere Suchen und Ausprobieren neuer Möglichkeiten, den Erzählfluss zu brechen und neue Monologzeilen aus dem Werk heraus zu kitzeln, sowie der Einfluss des vorhergehenden Durchlaufes auf den nächsten, fesselt an den Bildschirm und regt durch seine Intelligenz und seinen Witz immer weitere Kreisläufe an. Es steckt eine große Befriedigung darin, den Erzähler aus dem Konzept zu bringen, bis zu dem Punkt, an dem er seine eigene Rolle, Freiheit und die Vorher-Bestimmtheit eines endlichen Werkes zu hinterfragen beginnt und ihm selbst das Spiel nicht mehr gehorcht.

Diese Selbstreflexion ist Teil eines weiteren wichtigen Themas von „The Stanley Parable“. Was sind die Konsequenzen der Erweiterung der Erzählinstanzen, welche Interaktivität in die Erzählung eines Videospiels mit sich bringt. Eine Erzählung war bis zu diesem Punkt stets den klassischen Instanzen von realem Autor über impliziten Autor und Erzähler bis hin zum Konsumenten bestimmt, doch nun spukt der Spieler als aktive Variante des Konsumenten in das Konstrukt hinein. Alle Folgen, die dies für das Erzählen mit sich bringen, werden auf kluge und stets unterhaltsame Weise durchexerziert und das gibt dem Spiel eine zusätzliche weitreichende Dimension.

„The Stanley Parable“ glänzt nicht durch komplexe Mechaniken, nicht durch Action oder Emotion oder durch sein künstlerisches Design, sondern durch – so ironisch es in einem Spiel über die Auflösung einer Erzählung durch die Natur ihres Mediums auch sein mag – eben diese sich selbst dekonstruierende Handlung und den Spaß, den das Reflektieren und Entscheiden mit sich bringen.

The Stanley Parable. Galactic Cafe (Studio). Valve, Galactic Cafe (Publisher). 2013.

Ein Beitrag in der Reihe um entscheidungsbasierte Spiele.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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  1. „Tell me more! Tell me more!“ – Bücherstadt Kurier - […] letzte Game, das wir spie­len, ist „The Stan­ley Para­ble“ (2013), wobei wir auf­grund der rudi­men­tä­ren und leicht ver­ständ­li­chen […]

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