Buchstaplerin Maike hat Gemma Corrells „Kein Morgen ohne Sorgen: Handbuch für Verzweifelte“ in die Hand genommen. Einen Ratgeber, wie sie mit ihren Sorgen, Nöten und Ängsten umgehen soll, hat sie nicht gefunden. Dafür aber ein Comicbuch, das die Leidensquellen der Gegenwart so amüsant auseinandernimmt, dass es wehtut.
Das Leben hat sich gegen uns verschworen: uns introvertierte, verunsicherte, ängstliche junge Menschen. Wie schaffen es andere Leute, Leistungsdruck, Erwartungen der Gesellschaft und Schönheitswahn standzuhalten und gleichzeitig ein erfülltes Privatleben zu führen? Wie? Alles zu anstrengend, ich geh ins Bett und versuche, die deprimierende Gedankenspirale zu ignorieren… Die Themen, die Gemma Correll in einseitigen Cartoons aufgreift, sprechen denen aus der Seele, die nicht alles im Griff haben. Sie visualisiert pointiert die Horrorstorys schüchterner Menschen: Telefonieren, unerwartete Gäste, belebte Parties.
Auch widmet sie sich dem Schrecken der Konventionen und Erwartungen, mit dem vor allem junge Frauen konfrontiert werden. Problemzonen, auch beim Sport immer gut aussehen, vermeintlich sexy Halloween-Kostüme, Schminktabellen: Alles scheint so willkürlich, dass man es nie allen recht machen kann. So führt Correll über weite Strecken des Buches „nützliche“ Schaubilder und Diagramme ad absurdum und parodiert den Zwang, alles in Kategorien und Schubladen zu zwängen. Die Form der Kritik hat System: Die Schaubilder beginnen ganz normal, um dann verfremdet zu werden. Wie Gesichtsformen zum Beispiel: „Oval“ und „Rund“, aber auch „Kartoffel“ und „Maxi-Binde“. Frauen können ihre Augen sowohl „verrucht“ schminken, als auch „gewittrig“ oder „umwölkt mit 40%iger Regenwahrscheinlichkeit“. Entspannende Duftkerzen kommen in Düften wie „Zimt & Sternanis“ oder „nackte Verzweiflung“. Gerade beim Thema psychischer Krankheit gelingt Correll die Gratwanderung zwischen deprimierend und gekünstelt witzig: Die Cartoons wirken wie Galgenhumor und Bewältigungsstrategie in einem.
Der ewige Kreislauf kreativer Qual
In einem niedlichen, zurückhaltenden Kritzel-Stil präsentieren sich die Cartoons, die Seite für Seite für sich stehen. Immerhin handelt es sich bei „Kein Morgen ohne Sorgen“ um eine Sammlung zunächst online veröffentlichter Einzelcartoons. Dennoch ergibt sich ein Gesamtbild. Mit gezieltem, aber reduziertem Farbeinsatz unterstreichen die Zeichnungen die Aussagen. Der Kontrast zwischen minimalistischen, süßen Bildern und tiefsinnigen, erwachsenen Themen verstärkt die Wirkung von Zerrissenheit. Zugleich bietet der Stil die Möglichkeit, sich selbst in den dargestellten Situationen wiederzuentdecken. Dass dabei bei der Übersetzung aus dem Englischen einige Wortspiele verloren gegangen zu sein scheinen, stört nur selten.
Fazit: Wer schon Sarah Anderson mochte, wird auch mit Gemma Correll Freude haben. Es ist ein Buch für diejenigen, die am Wochenende lieber daheim bleiben und Serien schauen, statt zu feiern. Correll vermittelt das Gefühl, verstanden und akzeptiert zu werden: Es könnte ja alles viel schlimmer sein.
Zwei Bücherstädterinnen, ein Buch: Was Erzähldetektivin Annette von Gemma Corrells Buch hält, findet ihr hier. Mehr über Gemma Correll und ihre Arbeiten: www.gemmacorrell.com, Blog: www.gemma-correll.blogspot.de, www.gemmacorrell.tumblr.com, twitter.com/gemmacorrell
Kein Morgen ohne Sorgen. Gemma Correll. Aus dem Englischen von Ruth Keen. Kunstmann. 2016.
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