Wiederentdeckte Klassikerinnen

by Worteweberin Annika

KlassikerinnenNicht alle Klas­si­ker wur­den von Män­nern geschrie­ben, klar! Trotz­dem kennt man vor allem ihre Werke, denn sie wer­den in den Schu­len gele­sen, ver­kau­fen sich gut – sie gehö­ren zum Kanon. Worte­we­be­rin Annika ist neu­gie­rig auf die Klas­si­kerinnen und hat drei Romane unter die Lupe genommen.

Schenk mir den Walzer

„‚Ich fange gerade an, mich um mich selbst zu küm­mern. […] Ganz schön schwie­rig, einem Leben eine Rich­tung zu geben, die es nicht hat.‘“ (S. 212) Zelda Fitz­ge­rald erzählt in ihrem ein­zi­gen Roman, „Schenk mir den Wal­zer“, von einer Ehe und dem Ver­such einer Eman­zi­pa­tion; etwas, das der Autorin nie gelang, die zeit­le­bens – und dar­über hin­aus – im Schat­ten ihres Ehe­manns F. Scott Fitz­ge­rald stand, der ihre Kar­riere ver­hin­dern wollte. Wäh­rend Zelda nach einem Zusam­men­bruch fast 20 Jahre in psych­ia­tri­schen Anstal­ten ver­brachte, ima­gi­niert sie für ihre Prot­ago­nis­tin Ala­bama einen weni­ger schmerz­li­chen, wenn auch eben­falls nicht erfolg­rei­chen Weg.

„Schenk mir den Wal­zer“ ist stark auto­bio­gra­fisch geprägt: Die junge Ala­bama wählt aus zahl­rei­chen Ver­eh­rern den viel­ver­spre­chen­den Künst­ler David als Ehe­mann aus. Die bei­den gehen nach New York, bekom­men ein Kind und zie­hen nach Europa wei­ter. Sie fei­ern wilde Par­tys, genie­ßen das Leben und die Gesell­schaft des ande­ren erst mehr, dann weni­ger. Irgend­wann ist Ala­bama das nicht mehr genug: Sie möchte auf eige­nen Füßen ste­hen, und zwar in Spit­zen­schu­hen. Sie schlägt eine Kar­riere als Tän­ze­rin ein, unter der die Bezie­hung zu David und ihrer Toch­ter Bon­nie lei­det. Wer die Serie „Z – The Begin­ning of Ever­y­thing“ über die frü­hen Ehe­jahre der Fitz­ge­ralds kennt oder sich mit den Pari­ser Jah­ren beschäf­tigt, wird Sze­nen und Per­so­nen wie Ger­trud Stein in der Fik­tion wie­der­erken­nen. Auf­schluss­reich ist auch des­we­gen das Nach­wort der Über­set­ze­rin Anita Eich­holz, die den Roman in Zelda Fitz­ge­ralds Bio­gra­phie einordnet.

„Schenk mir den Wal­zer“ erzählt trotz der Länge von fast 400 Sei­ten keine ver­win­kelte, aus­schwei­fende Geschichte. Dafür schwelgt der Roman in Stim­mun­gen und der Sprache.

„Die Party ergoss sich in die Pari­ser Nacht wie die Wür­fel, die aus einem Kno­bel­be­cher geschüt­telt wer­den. Das röt­li­che Fla­ckern der Stra­ßen­la­ter­nen färbte das gezackte Blät­ter­ge­wölbe der Bäume zu flüs­si­ger Bronze: Diese Later­nen sind mit der Grund, warum Ame­ri­ka­nern bei der Erwäh­nung von Frank­reich das Herz sprung­haft höher schlägt – es sind die Zir­kus­lich­ter unse­rer Kind­heit.“ (S. 197)

Wäh­rend der Anfang noch sprung­haft erzählt ist und ich teil­weise Schwie­rig­kei­ten hatte, die Abfol­gen und Per­so­nen ein­zu­ord­nen, konnte ich nach dem ers­ten der fünf Teile ganz ein­tau­chen und habe die Jahre mit Ala­bama genos­sen. „Schenk mir den Wal­zer“ ist ein Klas­si­ker, der viel Spaß macht!

Schenk mir den Wal­zer. Zelda Fitz­ge­rald. Aus dem Eng­li­schen von Anita Eich­holz. Kampa. 2022.

Vor Rehen wird gewarnt

Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ ent­stand nach ihrer Aus­wan­de­rung in die USA. Sie schrieb auf Eng­lisch und beleuch­tet das Leben in der neuen und der alten Welt glei­cher­ma­ßen. Durch eine Neu­auf­lage Anfang 2020 ist der Roman auch auf mei­ner Lese­liste gelandet.

Die Prot­ago­nis­tin Ann Ambros nimmt sich, was sie haben will, allen voran den Mann und die Toch­ter ihrer Schwes­ter. Bei einer Zug­fahrt holt sie die Ver­gan­gen­heit dann ein. Wir begeg­nen Ann zu Beginn des Romans auf die­ser Fahrt mit ihrer Nichte und Stief­toch­ter Joy durch die USA als ältere Dame, rüs­tig, freund­lich, aber irgend­et­was schwelt da im Hin­ter­grund. In Rück­blen­den erfah­ren wir bald mehr und ler­nen eine reh­äu­gige Schlange ken­nen. In einem rasan­ten ers­ten Teil in Wien, den ich unter­halt­sam und span­nend fand, tau­chen wir immer tie­fer in den Kon­flikt zwi­schen Ann und ihrer Schwes­ter ein Spä­ter wech­selt die Per­spek­tive und die Geschichte wird aus der Sicht von Joy weitererzählt.

Der Roman ist auf Ann Ambros aus­ge­rich­tet, ihre Per­sön­lich­keit – ego­is­tisch, ober­fläch­lich, gel­tungs­be­dürf­tig – wird von allen Sei­ten beleuch­tet und der Kon­flikt in der Gegen­wart, der Joy zu einer Ver­zweif­lungs­tat treibt, wird schnell ver­ständ­lich. Das ist psy­cho­lo­gisch inter­es­sant, wird aber auf die Länge des Romans auch zäh und spä­tes­tens das Ende hat für mich dann gar nicht mehr gestimmt. Schade! Trotz­dem bin ich froh, nun mei­nen ers­ten Roman von Vicki Baum gele­sen zu haben.

Vor Rehen wird gewarnt. Vicki Baum. Aus dem Eng­li­schen von Carl Heinz Oster­tag. Arche Ver­lag. 2020.

Die Kopenhagen-Trilogie

Die Ver­öf­fent­li­chung der Kopen­ha­gen-Tri­lo­gie im Auf­bau Ver­lag war im letz­ten Jahr eine große Sache: eine rie­sige Social-Media-Kam­pa­gne, lau­ter begeis­terte Rezen­sio­nen, rei­ßen­der Absatz für drei schmale Bänd­chen, die ursprüng­lich in Däne­mark in den 1960er und 70er Jah­ren erschie­nen sind. Auf Deutsch gab es zuvor nur den drit­ten Band, „Abhän­gig­keit“. Eine Wie­der­ent­de­ckung als Hype.

Nach­dem der Hype etwas abge­klun­gen ist, habe auch ich mich an die Lek­türe von Tove Dit­lev­sens auto­fik­tio­na­len Büchern „Kind­heit“, „Jugend“ und „Abhän­gig­keit“ gemacht und mich sofort ins Kopen­ha­gen der 1930er bis 59er Jahre ver­setzt gefühlt. Ich habe mit Tove auf der Fens­ter­bank in der Woh­nung ihrer Kind­heit geses­sen, herz­lich gelacht, als sie ihre erste Anstel­lung als Haus- und Kin­der­mäd­chen antritt und nach einem hal­ben Tag wie­der ver­liert, ihr beim Suchen der Liebe über die Schul­ter geschaut und beim Schrei­ben ers­ter kind­li­cher und vie­ler wei­te­rer erwach­se­ner Gedichte und mit ihr gelit­ten, als sie in die Tablet­ten­ab­hän­gig­keit schlit­tert. Wäh­rend ich den ers­ten Band zwar gut fand, aber die Eupho­rie ande­rer Leser*innen noch nicht nach­voll­zie­hen konnte, hat mich der zweite Band dann wirk­lich gepackt – und der dritte hat mich schließ­lich durch­ge­schüt­telt. Dit­lev­sen schafft ein inten­si­ves Por­trait eines Frau­en­le­bens und reflek­tiert daran Fra­gen ihrer Zeit und des Lebens: Was bedeutet(e) eigent­lich Kind­heit? Wie kommt es zu Abhän­gig­kei­ten? Was macht Mut­ter­schaft aus?

Wer Lust hat, die Kopen­ha­gen-Tri­lo­gie zu ent­de­cken, dem sei die Aus­gabe der Bücher­gilde emp­foh­len, die alle drei Bände bün­delt – noch dazu toll aufgemacht!

Die Kopen­ha­gen-Tri­lo­gie: Kind­heit. Jugend. Abhän­gig­keit. Tove Dit­lev­sen. Aus dem Däni­schen von Ursel Allen­stein. Bücher­gilde Guten­berg. 2021.

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