Wiederentdeckte Klassikerinnen

von | 11.09.2022 | Belletristik, Buchpranger

Nicht alle Klassiker wurden von Männern geschrieben, klar! Trotzdem kennt man vor allem ihre Werke, denn sie werden in den Schulen gelesen, verkaufen sich gut – sie gehören zum Kanon. Worteweberin Annika ist neugierig auf die Klassikerinnen und hat drei Romane unter die Lupe genommen.

Schenk mir den Walzer

„‚Ich fange gerade an, mich um mich selbst zu kümmern. […] Ganz schön schwierig, einem Leben eine Richtung zu geben, die es nicht hat.‘“ (S. 212) Zelda Fitzgerald erzählt in ihrem einzigen Roman, „Schenk mir den Walzer“, von einer Ehe und dem Versuch einer Emanzipation; etwas, das der Autorin nie gelang, die zeitlebens – und darüber hinaus – im Schatten ihres Ehemanns F. Scott Fitzgerald stand, der ihre Karriere verhindern wollte. Während Zelda nach einem Zusammenbruch fast 20 Jahre in psychiatrischen Anstalten verbrachte, imaginiert sie für ihre Protagonistin Alabama einen weniger schmerzlichen, wenn auch ebenfalls nicht erfolgreichen Weg.

„Schenk mir den Walzer“ ist stark autobiografisch geprägt: Die junge Alabama wählt aus zahlreichen Verehrern den vielversprechenden Künstler David als Ehemann aus. Die beiden gehen nach New York, bekommen ein Kind und ziehen nach Europa weiter. Sie feiern wilde Partys, genießen das Leben und die Gesellschaft des anderen erst mehr, dann weniger. Irgendwann ist Alabama das nicht mehr genug: Sie möchte auf eigenen Füßen stehen, und zwar in Spitzenschuhen. Sie schlägt eine Karriere als Tänzerin ein, unter der die Beziehung zu David und ihrer Tochter Bonnie leidet. Wer die Serie „Z – The Beginning of Everything“ über die frühen Ehejahre der Fitzgeralds kennt oder sich mit den Pariser Jahren beschäftigt, wird Szenen und Personen wie Gertrud Stein in der Fiktion wiedererkennen. Aufschlussreich ist auch deswegen das Nachwort der Übersetzerin Anita Eichholz, die den Roman in Zelda Fitzgeralds Biographie einordnet.

„Schenk mir den Walzer“ erzählt trotz der Länge von fast 400 Seiten keine verwinkelte, ausschweifende Geschichte. Dafür schwelgt der Roman in Stimmungen und der Sprache.

„Die Party ergoss sich in die Pariser Nacht wie die Würfel, die aus einem Knobelbecher geschüttelt werden. Das rötliche Flackern der Straßenlaternen färbte das gezackte Blättergewölbe der Bäume zu flüssiger Bronze: Diese Laternen sind mit der Grund, warum Amerikanern bei der Erwähnung von Frankreich das Herz sprunghaft höher schlägt – es sind die Zirkuslichter unserer Kindheit.“ (S. 197)

Während der Anfang noch sprunghaft erzählt ist und ich teilweise Schwierigkeiten hatte, die Abfolgen und Personen einzuordnen, konnte ich nach dem ersten der fünf Teile ganz eintauchen und habe die Jahre mit Alabama genossen. „Schenk mir den Walzer“ ist ein Klassiker, der viel Spaß macht!

Schenk mir den Walzer. Zelda Fitzgerald. Aus dem Englischen von Anita Eichholz. Kampa. 2022.

Vor Rehen wird gewarnt

Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ entstand nach ihrer Auswanderung in die USA. Sie schrieb auf Englisch und beleuchtet das Leben in der neuen und der alten Welt gleichermaßen. Durch eine Neuauflage Anfang 2020 ist der Roman auch auf meiner Leseliste gelandet.

Die Protagonistin Ann Ambros nimmt sich, was sie haben will, allen voran den Mann und die Tochter ihrer Schwester. Bei einer Zugfahrt holt sie die Vergangenheit dann ein. Wir begegnen Ann zu Beginn des Romans auf dieser Fahrt mit ihrer Nichte und Stieftochter Joy durch die USA als ältere Dame, rüstig, freundlich, aber irgendetwas schwelt da im Hintergrund. In Rückblenden erfahren wir bald mehr und lernen eine rehäugige Schlange kennen. In einem rasanten ersten Teil in Wien, den ich unterhaltsam und spannend fand, tauchen wir immer tiefer in den Konflikt zwischen Ann und ihrer Schwester ein Später wechselt die Perspektive und die Geschichte wird aus der Sicht von Joy weitererzählt.

Der Roman ist auf Ann Ambros ausgerichtet, ihre Persönlichkeit – egoistisch, oberflächlich, geltungsbedürftig – wird von allen Seiten beleuchtet und der Konflikt in der Gegenwart, der Joy zu einer Verzweiflungstat treibt, wird schnell verständlich. Das ist psychologisch interessant, wird aber auf die Länge des Romans auch zäh und spätestens das Ende hat für mich dann gar nicht mehr gestimmt. Schade! Trotzdem bin ich froh, nun meinen ersten Roman von Vicki Baum gelesen zu haben.

Vor Rehen wird gewarnt. Vicki Baum. Aus dem Englischen von Carl Heinz Ostertag. Arche Verlag. 2020.

Die Kopenhagen-Trilogie

Die Veröffentlichung der Kopenhagen-Trilogie im Aufbau Verlag war im letzten Jahr eine große Sache: eine riesige Social-Media-Kampagne, lauter begeisterte Rezensionen, reißender Absatz für drei schmale Bändchen, die ursprünglich in Dänemark in den 1960er und 70er Jahren erschienen sind. Auf Deutsch gab es zuvor nur den dritten Band, „Abhängigkeit“. Eine Wiederentdeckung als Hype.

Nachdem der Hype etwas abgeklungen ist, habe auch ich mich an die Lektüre von Tove Ditlevsens autofiktionalen Büchern „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“ gemacht und mich sofort ins Kopenhagen der 1930er bis 59er Jahre versetzt gefühlt. Ich habe mit Tove auf der Fensterbank in der Wohnung ihrer Kindheit gesessen, herzlich gelacht, als sie ihre erste Anstellung als Haus- und Kindermädchen antritt und nach einem halben Tag wieder verliert, ihr beim Suchen der Liebe über die Schulter geschaut und beim Schreiben erster kindlicher und vieler weiterer erwachsener Gedichte und mit ihr gelitten, als sie in die Tablettenabhängigkeit schlittert. Während ich den ersten Band zwar gut fand, aber die Euphorie anderer Leser*innen noch nicht nachvollziehen konnte, hat mich der zweite Band dann wirklich gepackt – und der dritte hat mich schließlich durchgeschüttelt. Ditlevsen schafft ein intensives Portrait eines Frauenlebens und reflektiert daran Fragen ihrer Zeit und des Lebens: Was bedeutet(e) eigentlich Kindheit? Wie kommt es zu Abhängigkeiten? Was macht Mutterschaft aus?

Wer Lust hat, die Kopenhagen-Trilogie zu entdecken, dem sei die Ausgabe der Büchergilde empfohlen, die alle drei Bände bündelt – noch dazu toll aufgemacht!

Die Kopenhagen-Trilogie: Kindheit. Jugend. Abhängigkeit. Tove Ditlevsen. Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. Büchergilde Gutenberg. 2021.

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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