Wie Salz in einer Wunde

von | 04.03.2020 | Buchpranger, Gedankenkrümel

Online wird stets über irgendetwas diskutiert. Das Interesse schwappt wellenartig von einem Thema zum nächsten. Zuletzt wurde die Bücher-Community auf Twitter, Instagram und Co. vom #Autorinnenschuber auf Trab gehalten. Auch unsere Redaktion hat sich mit eigenen Zusammenstellungen daran beteiligt. Aber worum geht es dabei eigentlich? Ein etwas verspäteter Beitrag von Zeilenschwimmerin Ronja.

Die Aufregung entstand, weil die Süddeutsche Zeitung einen Schuber mit dem Titel „Soulmates“ mit zehn Romanen der Weltliteratur herausbrachte. Zehn Romane, die ausschließlich von Männern geschrieben wurden. Eigentlich nichts Besonderes, könnte man sagen. Der Schulkanon, Listen mit Klassikern der Weltliteratur und diverse andere Schuber dieser Art machen es ja kaum anders. Entscheidend für den Online-Aufruhr ist: Die rein männliche Besetzung ist eine klar definierte Absicht.

„Wie vielseitig die Männerwelt wirklich ist, zeigen die zehn ausgewählten Romane der neuen Edition Soulmates.“ (Ankündigung der SZ, zitiert nach Nacht und Tag)

Geben wir uns die Mühe und interpretieren das Ganze positiv. Wer sich schon mal ein wenig mit feministischen und queeren Theorien auseinandergesetzt hat, wird schnell auf den Begriff der „toxischen Männlichkeit“ gestoßen sein. Damit wird im Allgemeinen ein weit verbreitetes, idealisiertes und gesellschaftlich stark verankertes Stereotyp der Männlichkeit bezeichnet, wonach ein „echter Mann“ stets stark und unangreifbar sein müsse. Dieses Ideal verbietet es zum Beispiel, körperliche Schwächen, Krankheiten, sportliches „Versagen“, Trauer oder auch Gefühle im Allgemeinen einzugestehen. Aggressivität, territoriales Verhalten und Dominanz gegenüber anderen werden dagegen belohnt. Die Gefahr für das geistige (und körperliche) Wohl – sowohl für den nach diesem Ideal beurteilten oder strebenden Mann als auch für alle in seiner Umgebung – macht dieses Stereotyp „toxisch“.

Ein Schuber der Diversität?

Ausgehend von der „toxischen Männlichkeit“ kann also der Schuber, der „die Vielseitigkeit der Männerwelt“ demonstrieren möchte, als Versuch verstanden werden, Alternativen aufzuzeigen. Kein Mensch ist gleich. Es gibt nicht „den Mann“ oder „die Frau“.

„Diese zehn Romane sind eine starke Sammlung für Männer und alle, die ihnen damit eine echte Freude machen wollen.“ (Produktbeschreibung im SZ-Shop)

Doch das ist nur eine mögliche Interpretation. Der Großteil derer, die unter #Autorinnenschuber diskutieren und ihre persönliche Auswahl an Literatur von Frauen posten, hat am „Soulmates“-Schuber einiges auszusetzen. Nicole Seifert merkt auf ihrem Blog Nacht und Tag zum Beispiel an, dass sich alles etwas anders darstellen würde, wenn auch ein Schuber mit ähnlichem Konzept für Autorinnen geplant wäre: „Eine noch bessere Idee wäre es, wirklich auf Diversität zu setzen […] mit Literatur von Queeren, Frauen und Männern, von Weißen, Schwarzen und People of Colour.“ Auf Nachfrage habe die SZ jedoch solche Pläne verneint.

Braucht es den Schuber wirklich?

Der Hauptkritikpunkt am Männerschuber der SZ ist: Nicht nur Männer haben Weltliteratur geschrieben. Vor allem die Tatsache, dass Literatur von Frauen eben sehr häufig in derartigen Zusammenstellungen – ob als Schuber oder Lektüreliste – nur am Rande oder sogar gar nicht vertreten ist, erhitzt die Gemüter. Dabei gäbe es durchaus genug Autorinnen, die dafür in Frage kämen.

In der weiterführenden Schule – meine Lesekarriere hatte gerade erst begonnen – dachte ich zuerst gar nicht über die Lektüreauswahl der Lehrer*innen nach. Und dann fielen mir die fehlenden Autorinnen auf. Daraufhin dachte ich lange: Na ja, wir lesen ja nur alte Bücher. In der Zeit war es einfach nicht vielen Frauen möglich, überhaupt veröffentlicht zu werden. Was auch stimmt. Es war für Frauen schwerer, veröffentlicht zu werden. Dennoch gibt es zahlreiche Autorinnen, die auf dem Lehrplan stehen könnten (auch über Annette von Droste-Hülshoff hinaus) – wenn es schon unbedingt nur bereits verstorbene Autor*innen sein müssen.

Der Literaturkanon ist männlich geprägt. Das hat historische Gründe und niemand verlangt, allen bisher dazugezählten Werken den Klassiker-Status nur deshalb abzusprechen. Aber es ist wichtig, dass sich am Geschlechterverhältnis etwas ändert. Das Ungleichgewicht beschränkt sich nicht nur auf Lektürelisten und Sammelausgaben. Es betrifft den gesamten Literaturbetrieb, Verlage genauso wie Rezensent*innen und damit auch alle Leser*innen.

Mehr als nur ein Schuber

Das Verhältnis von veröffentlichten Autorinnen und Autoren ist auch heute noch nicht ausgeglichen. Es werden immer noch mehr Autoren veröffentlicht. Mit folgender Ausnahme: Kinder- und Jugendliteratur. Dort kehrt sich das Verhältnis auf einmal um, wie Zeichensetzerin Alexa mit einer Zählung in Programmvorschauen feststellte – mehr dazu findet ihr auf Twitter unter dem Hashtag #Vorschauenzählen. Das ist in diverser Weise problematisch. Belletristik und Weltliteratur in Männerhand, Kinderbücher sind Frauensache? Herrje.

Genauso setzt sich die Verteilung auch unter den Rezensent*innen fort. Mehr Rezensenten als Rezensentinnen, mehr besprochene Autoren als Autorinnen, in allen Bereichen – außer der Kinder- und Jugendliteratur. Wer mehr dazu erfahren oder Belege sehen möchte, sollte sich einmal die Pilotstudie „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ der Universität Rostock ansehen. Dort wurden über zweitausend Kritiken ausgewertet. Auch die Vergabe von Literaturpreisen haben sie ins Auge gefasst: „In allen Medien, mit Ausnahme von Frauenzeitschriften, werden männliche Autoren häufiger und ausführlicher besprochen: Zwei Drittel der besprochenen Bücher sind von Männern verfasst worden. Dieses Verhältnis von ‚2 zu 1‘ trifft auf alle Mediengattungen zu.“ (Ein Teilergebnis des Projekts #Frauenzählen)

Der Schuber der SZ ist nicht das Problem. Er ist bloß ein Ausdruck des eigentlichen Problems.

[tds_note]Hier geht es zum Interview mit Nicole Seifert.[/tds_note]

Ronja Storck

Ronja Storck

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