Wie erklärt man das Unerklärliche?

von | 17.05.2016 | Filme, Filmtheater

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Einen Monat vor offiziellem Kinostart wurde das Filmdrama „Himmelskind“ in der Sneak Preview des Bremer Kinos Cinestar Kristallpalast gezeigt. Satzhüterin Pia war vor Ort. Achtung: Spoiler!

Christy Beam (Jennifer Garner) und ihr Ehemann Kevin (Martin Henderson) leben glücklich mit ihren drei Töchtern auf dem Land in Texas. Das idyllische Leben bekommt Risse, als die mittlere Tochter Anna krank wird. Der vermeintliche Virusinfekt wird zur angeblichen Laktoseintoleranz und dann endlich als das erkannt, was es ist: eine schwere Darmkrankheit ohne Aussicht auf Heilung.
Es beginnt ein langer und harter Weg auf der Suche nach Hilfe, die Christy und ihre zehnjährige Tochter am ehesten bei einem Spezialarzt in Boston zu finden scheinen. Linderung ist möglich, Heilung jedoch nicht. Doch dann passiert das Unerklärliche: Beim Klettern mit ihrer ältesten Schwester fällt das kleine Mädchen neun Meter tief mit dem Kopf voran in einen hohlen Baumstamm. Aber statt sich etwas zu brechen oder Schlimmeres, kommt das todkranke Mädchen mit wenigen Blessuren davon … und ist vollends geheilt.

„Himmelskind“ basiert auf einer wahren Begebenheit. Das gleichnamige Buch der US-Amerikanerin Christy Beam wurde im Februar dieses Jahres im SCM Haenssler-Verlag veröffentlicht – einer christlichen Onlinebuchhandlung. Es ist die Geschichte ihrer Familie, die in Buch und Film auch mit den richtigen Namen nacherzählt wird. Folgendes bezieht sich nur auf den Film.

Religiös…

Die Beams sind, wie auch ihre ganze Nachbarschaft, gläubige Menschen. Der Glauben steht zwar nicht unbedingt dauerhaft im Mittelpunkt, ist aber omnipräsent: Der Besuch in der Kirche, das Beten am Abend und zum Essen, die Glaubenskrise im Verlauf der Krankheit und die Versöhnung mit Gott, nachdem das Wunder passierte.
Amerikaner sind bekanntermaßen stets weit vorne mit dabei, wenn es um eine „God bless you“-Haltung geht. Texas ist mit etwa 64 Prozent streng gläubigen Erwachsenen ein sehr religiöser Staat der USA , in dem sogar die Tilgung der Evolutionslehre an Schulen zur Debatte steht.
Aus europäischer Sicht mutet der Film und die – möglicherweise sehr realistische – Darstellung stark religiösen Alltagslebens (welt)fremd an. In der Kirche tritt eine Band auf, die Predigt ist lebhaft und laut, wie es sonst vielleicht nur in Kirchen schwarzer Gemeinden vorkommt – oder zumindest in Filmen propagiert wird.

…und moralisierend

Das Recht auf diesen tiefen Glauben und die Thematisierung im Film kann und soll niemandem abgesprochen werden, allerdings wird alles stark moralisiert. Eine an Krebs erkrankte Zimmergenossin im Krankenhaus findet Kraft durch die Worte der kleinen Anna, die an dem Glauben an Gott zu keinem Zeitpunkt zu zweifeln scheint. Ben, der Vater des anderen Mädchens sieht den religiösen Einfluss nicht gerne und Christy, deren Glaube durch die Krankheit tief erschüttert ist, kann ihn verstehen. Das kleine Mädchen verstirbt und am Ende ist es eben dessen Vater, der der Geschichte Annas Glaubhaftigkeit verschafft. Es stirbt also ausgerechnet das eine der zwei Mädchen, welches aus einer nicht-gläubigen Familie kommt?
Anna, die nach ihrem Sturz von einem Kontakt zu Gott spricht, und ihre Familie werden berühmt. Ein ganzer Gottesdienst wird zu ihren Ehren und zudem von ihrer Mutter gehalten und zahlreiche Nachrichtenteams rücken mit ihren Videokameras an. Ein kurzer Moment des Zweifels wird durch Ben zerstreut.

Starke Symbolkraft

Starke Bilder in einem Filmdrama scheinen erst einmal gut zu sein. Wenn es jedoch um eine bereits so wundersame Geschichte geht, dass die Zuschauer auch ohne die hochgradig aufgeladene Symbolik kaum an einen wahren Kern glauben mögen, scheint es zu viel des Guten zu sein. Ein stets farbintensiver Filter liegt über den idyllischen Bildern texanischen Landlebens.
Nach Bekanntwerden der schweren Krankheit sind es Bilder, wie die einer sich einsam im Wind bewegenden Schaukel, die die tragische Ruhe symbolisieren sollen. Anna folgt einem weißen Schmetterling, als sie auf den Baum klettert und folgt diesem weiter in den Himmel, nachdem sie in den hohlen Stamm gestürzt war. Die Bilder des durch das paradiesisch anmutende Jenseits-Himmel-Gebilde hüpfenden Mädchens sind sogar noch stärker und intensiver gefiltert. Als bei der Rettung aus dem hohlen Baumstamm Unmengen an Rettungskräften, Nachbarn und Kamerateams um den Baum herumstehen oder agieren, findet Christy urplötzlich zu ihrem Glauben zurück. Sie stürzt mit einem intensiven „Oh Gott, oh Gott, oh Gott“ auf den Lippen zum Baumstamm hinüber und fängt inbrünstig an zu beten. Bald folgen ihr Familie und enge Freunde, sodass eine kleine Traube aus Menschen am Baumstamm klebend zum gemeinsamen Beten zusammenkommt.

Viel zu viel

Kurz gesagt: Es ist viel zu viel. Die omnipräsente Religiosität, die Menge der Symboliken und die farbintensiven Bilder hätte ein sowieso schon derart spezielles und wundersam anmutendes Thema nicht gebraucht.
Statt an Glaubhaftigkeit zu gewinnen, wirkt alles übertrieben und letztendlich wie ein 109-minütiger Werbefilm für Gott. Lediglich die Darstellung der Anna durch Kylie Rogers ist hervorzuheben. Bis hin zu dem Wunsch, endlich sterben zu dürfen, stellt sie ein dem Tode geweihtes Kind von zehn Jahren überzeugend dar. Aber auch die Zuschauer dürften sich mehr als einmal gewünscht haben, dass das arme, kranke Mädchen endlich sterben darf.
Nicht zuletzt sah es mindestens dreimal so aus, als könnte der Film nun enden, bevor immer wieder noch etwas oben draufgesetzt wurde: Die erlösende Diagnose im Krankenhaus. Eine jubelnde Gemeinde beim Gottesdienst nach der Rettung und Heilung Annas. Das idyllische Beisammensein der Familie. Der Eindruck, es könnte nicht mehr gesteigert werden, wurde vollkommen ausgereizt und vor allem überreizt. Bis am Ende auch noch fröhlich-glückliche Bilder der echten Familie Beam gezeigt wurden, in denen Anna ihre Familie vorstellt. Es hätte auch gereicht, einfache Bilder einzublenden.

Schlusswort

„Himmelskind“ ist überladen und langatmig und über die gesamte Distanz nur schwer auszuhalten. Statt mit der Familie mitzufühlen, wünschte ich mir die Erlösung des kranken Kindes und somit auch die eigene von diesem Film. Der naive Glaube, der mehr als einmal hochproblematisch aufgeladen war, zusammen mit dem medizinischen Wunder der Heilung waren über die Distanz nur durch wenige gute Momente des Films durchzustehen.

Himmelskind. Drama. USA.
Kinostart: 9. Juni 2016. 1 Std. 49 Min. Regie: Patricia Riggen.
Darsteller (u.a.): Jennifer Garner, Kylie Rogers, Martin Henderson.
Diese Rezension ist erstmals im Unimagazin ScheinWerfer erschienen.

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