Bücherstädterin Vera freut sich, dass endlich „Loveless” von Alice Oseman auf Deutsch erschienen ist. Der Young-Adult-Roman stellt das A in LGBTQIA+ ins Rampenlicht – und Romantik und Drama kommen trotzdem nicht zu kurz.

„Neu in Romantik? Ich wollte auflachen. Ich hatte Romantik studiert wie eine Akademikerin.” (S. 34)

Georgia liebt Romantik. Also in der Theorie. Filme, Fantasien, Fanfiction – sie kann nicht genug Herzklopfen bekommen, wenn es um Fiktion geht. Daher versteht sie nicht, warum sie noch nie so richtig verliebt war und auch nicht wie ihre Mitschüler*innen von Sex besessen ist. Die tun doch bestimmt alle nur so, oder? Denn der Gedanke, in echt jemanden zu küssen, ist richtig eklig. Hat Georgia etwa wichtige Meilensteine des Erwachsenwerdens verpasst? Aber das kommt noch, wenn sie endlich mit ihren besten Freund*innen Pip und Jason auf die Uni geht. Oder? Doch mit ihrer extrovertierten neuen Mitbewohnerin Rooney (und deren Zimmerpflanze Roderick) ziehen bei ihr Zweifel ein. Was, wenn sie sich nicht genug anstrengt, um endlich so zu sein wie die anderen in ihrem Alter? Und was, wenn sie sich nie genug anstrengen kann, weil sie anders ist? Und was, wenn das okay ist?

„Wieso war mir das vorher nicht aufgefallen? Fast alle Songs, die je geschrieben wurden, handeln von Romantik oder Sex. Es fühlte sich an, als wollten sie mich verhöhnen.” (S. 86)

Zwischen Dramen auf der Bühne (denn Shakespeare und seine romantischen Stücke spielen eine eigene Hauptrolle im Roman) und auf dem Campus (Verwechslungen, Fehlkommunikation, Eifersucht und Herzschmerz) kommen die anderen Figuren nicht zu kurz. Was knistert da zwischen der lesbischen Pip und Rooney? Könnte Jasons Crush auf Georgia die Freundschaft in Gefahr bringen? Oder bricht sie ihm das Herz, wenn sie ihn datet, ohne ihn so zu mögen, wie er sie mag? Und dann ist da noch Georgias nonbinärer Mentor Sunil, durch den bei ihr endlich der Knoten platzt: Sie ist nicht kaputt. Sie ist einfach ace und aro*. Und die echte, wahre Liebe findet auch dann einen Weg, sie sieht nur vielleicht ein bisschen anders aus.

„Ich wusste genau, wie schlimm es sich anfühlte, noch nie geküsst zu haben.

Und wie es sich anfühlte, so unter Druck zu stehen, dass man etwas tat, nur weil alle anderen es machten.

Weil du abartig bist, wenn du es nicht machst.

Weil es einzig und allein darum geht, wenn du ein menschliches Wesen bist.

Zumindest sagten das alle anderen.” (S. 196)

Alice Oseman folgt in „Loveless“ Georgia in ihrem ersten Uni-Jahr und begleitet sie auf der Suche nach sich selbst. Mit ihr zusammen lernt man die schrulligen College-Traditionen und queeren Studi-Communities kennen. Die Ich-Perspektive ist dabei perfekt, um Georgias Lernprozess zu verstehen und alle Stationen zwischen Angst, Wut, Trauer und Akzeptanz hautnah zu erleben. Das Tempo ist zügig und klammert den Uni-Alltag im Hörsaal und damit verbundene Sorgen aus. Der Roman setzt ganz auf die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen aller Art und nutzt Popkultur als Aufhänger für die aufgeworfenen Fragen. Sehr explizit und erfrischend kritisiert Oseman dabei Slutshaming, das Rassismus-Problem und Gatekeeping queerer Communities und natürlich, wie groß der Druck unserer Gesellschaft ist, romantische und sexuelle Beziehungen über alle andere zu stellen. Und gerade diese direkte Art, die für manche fast wie ein Pride-Wörterbuch wirken könnte, ist notwendig, um überhaupt erst einmal die Diskussion zum Thema Asexualität und Aromantik in Gang zu bringen. Deshalb kann man über einige störenden Tropes, allen voran „Missverständnisse” und „Eifersucht” hinwegsehen.

„Nur Freunde hörte sich an, als wäre es schlechter, Freunde zu sein.” (S. 386)

Dieses Buch hätte mir als Teenager sehr geholfen, mir darüber klar zu werden, wie ich in das Chaos rund um Dating, Beziehung und Erstes Mal passe und es hätte mir viele Selbstzweifel erspart. Und sicher bin ich nicht allein mit den Gedanken. Umso schöner, dass jugendliche Leser*innen auf dem asexuellen und aromantischen Spektrum mit „Loveless” jetzt positive Repräsentation finden. Und auch für alle anderen ist das Buch eine große Empfehlung, um eigene Vorurteile und Normen zu hinterfragen und eine bisher viel zu oft übersehene Minderheit kennenzulernen.

Loveless. Alice Oseman. Aus dem Englischen von Vanessa Walder. Loewe. 2021.

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*ace: kurz für asexuell = wenn jemand keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen spürt

aro: kurz für aromantisch = wenn jemand keine romantische Anziehung zu anderen Menschen spürt

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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