Wenn einen die Kälte packt

von | 10.12.2019 | #litadvent, Belletristik, Buchpranger, Specials

Das Debüt „Nachtfrost“ von Jessica Bradley ist eine Hommage an Hans Christian Andersens Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Gefühlvoll erzählt die Autorin die Geschichte der jungen Laura, die auf der Suche nach Liebe und Zuneigung ihr Zuhause verlässt, das fast ebenso kalt ist wie der Winter auf Berlins Straßen. – Von Stadtbesucherin Cathy

Die Wohnung ist dreckig, das Geld knapp und blaue Flecken keine Seltenheit, also beschließt die dreizehnjährige Laura abzuhauen. Weg von ihrem alkoholkranken Vater, der sie schlägt und dafür sorgt, dass sie sich klein und ungeliebt fühlt. Weg aus dem Leben, das ihr nichts bietet. Sie flieht und schlägt sich durch den eisigen Winter in Berlin. Doch wem kann sie jetzt vertrauen, wo sie niemals jemandem vertrauen konnte? Dem Punker Rufus, der Gruppe Obdachloser um Kalle, der Polizei?

Gedanklich betrat sie einen Raum, der sich ganz tief in ihrem Inneren befand. Einen Raum, in dem er keinen Zutritt hatte. Wo selbst seine Fäuste sie nicht erreichten. Wo die Einsamkeit ihre beste Freundin geworden war; die sie niemals verlassen würde. Hier fühlte sie sich sicher. (S. 10)

Man ist direkt drin in der Geschichte. Mit wenigen Sätzen schafft Jessica Bradley es, den Lesenden in die Welt von Laura zu ziehen. Das Gefühl des Unbehagens im Magen, die nervöse Angst im Nacken. Der Beginn des Buches ist packend und so tief, dass man komplett davon umschlungen wird. Leider wird diese Tiefe gelegentlich aufgebrochen von kurzen Passagen, die zu schnell erzählt werden und meiner Meinung nach mehr gekonnt und gebraucht hätten, um die Leser in der Tiefe gefangen zu halten. Darüber kann ich aber hinwegsehen, denn diese tragische Geschichte eines Mädchens, das nur geliebt werden möchte, hat mich trotzdem berührt und traurig gestimmt.

„Man hat mir mal gesagt, jedes Mal, wenn ein Mensch stirbt, fällt eine Sternschnuppe vom Himmel. Ich habe damals die ganze Nacht lang in den Himmel gestarrt …“ Kalles Blick glitt ins Nirgendwo. „War da eine? Ich meine, sind in der Nacht Sternschnuppen gefallen?“, wollte Laura wissen. „Ich weiß es nicht. Der Himmel war bewölkt und es regnete.“ (S. 75)

Eine tragische, dramatische, echte Geschichte. Voller Gefühle. Wut, Angst, Liebe, Trauer. Wunderbar zusammengeflochten, so wie es nur das Leben schafft. Und mit einem bittersüßen Ende.

„Nachtfrost“ ist ein lesenswertes Drama über die Verletzlichkeit einer Seele und die Bedeutung davon, sich ungeliebt zu fühlen, das die Vorfreude schürt auf alles, was noch von Jessica Bradley kommen wird.

Nachtfrost. Jessica Bradley. Books on Demand. 2019.

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #litadvent. Hier findet ihr alle Beiträge. Diese Rezension ist bereits auf Cathys Blog Mademoiselle Facettenreich erschienen. Schaut doch mal bei ihr vorbei![/tds_note]
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