Wenn digitale Medien verteufelt werden

von | 01.02.2022 | Bilderbücher, Buchpranger

Puh, ich musste jetzt einige Wochen überlegen, was ich mit dem Bilderbuch „Komm, wir wollen spielen!“ von Ilan Brenman und Rocio Bonilla mache. Denn der hier dargestellte Medienumgang kann natürlich problematisch werden, aber ich bin grundsätzlich kein Fan von medienpessimistischen Betrachtungen. – Von Zeichensetzerin Alexa

Im Kern geht es durchgängig nur darum, dass der Protagonist Paul viel Zeit am Bildschirm verbringt – und dabei alles um sich herum ausblendet. Wenn andere ihn zum Spielen einladen, reagiert er mit dem immer gleichen Satz: „Aber ich spiele doch schon.“ Was in diesem Bilderbuch vermittelt wird, sind Wertunterschiede: Analoges Spielen sei wichtiger als digitales. Spielen im Freien und mit anderen zusammen sei fantasievoller und spaßiger als das, was das Kind am Bildschirm tut.

Diese Ansicht wird nicht nur inhaltlich vertreten, sondern auch bildlich: Während Paul stets grau und einsam dargestellt wird, werden die spielerischen Tätigkeiten anderer Kinder und Familienmitglieder auf ganz- oder aufklappbar-doppelseitigen, mit vielfältigen Farben fast komplett ausgefüllten Illustrationen präsentiert. Da ist Pauls Schwester, die sich in der Badewanne vorstellt, mit Meerestieren in den Tiefen des Meeres zu schwimmen. Sein Freund Markus, der eine Rakete und einen Astronautenanzug gebastelt hat und sich ausmalt, wie er im Weltall Außerirdischen begegnet. Oder seine Eltern, die Abenteuer in der Natur erleben. Niemand kann Paul zum Mitspielen animieren, bis seine Großeltern sich etwas Besonderes ausdenken: Sie gestalten einen Familienzirkus.

Warum ausgerechnet diese Idee Paul überzeugt, wird nicht klar. Und am Ende bleiben einige weitere Fragen für das bessere Verständnis offen: Zeigt sich in Pauls Medienverhalten Suchtpotenzial? Warum widmet er sich lieber digitalen Medien? Und was konkret spielt er da eigentlich? Kann das, was er da macht, nicht auch die Kreativität und Fantasie anregen? Warum spielt niemand mit ihm zusammen ein digitales Spiel?

Die Kritik, die hier geübt wird, richtet sich einzig auf das Verhalten von Paul, aber niemand versucht auch nur in Kommunikation mit ihm zu treten. Der in der Medienpädagogik oft vertretene Ansatz, sich mit dem Kind zusammen mit Medien zu beschäftigen, um die davon ausgehende Faszination zu verstehen und diese im Alltag aufzugreifen, wird in diesem Bilderbuch komplett ignoriert. Ich hätte mir in dieser Hinsicht eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema frühkindliches Medienverhalten gewünscht – auch mit Blick auf die Vermittlung von Medienkompetenz. So wie das Bilderbuch jedoch gestaltet ist, ist es nichts weiter als die Verteufelung digitaler Medien, was aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß ist. Damit kann ich weder in der (medien)pädagogischen Arbeit noch als Mutter eines Kleinkindes etwas anfangen – und somit auch keine Empfehlung für das Buch aussprechen.

Komm, wir wollen spielen! Text: Ilan Brenman. Illustration: Rocio Bonilla. Jumbo. 2021. Ab 4 Jahren.

Alexa Sprawe

Alexa Sprawe

Alexa ist als Chefredakteurin an den verschiedensten Orten der Bücherstadt anzutreffen, vor allem dort, wo die Redaktionsmitglieder an neuen Ideen tüfteln, ein kritischer Blick auf Texte gefragt ist oder es um Gestaltungsfragen geht. Sie hat Germanistik und Kunst-Medien-Ästhetische Bildung an der Uni Bremen studiert und den Bücherstadt e.V. mitgegründet. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Halle an der Saale und ist als freiberufliche Kunst- und Medienpädagogin in unterschiedliche Projekte eingebunden.

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