Wenn die Angst zu groß wird

von | 14.05.2019 | Bilderbücher, Buchpranger

Wenn die Angst zu groß wird, nimmt sie so viel Platz ein, dass es unmöglich wird, sich zu bewegen oder zu schlafen. In Francesca Sannas neuem Bilderbuch „Ich und meine Angst“ erzählt die Protagonistin, die in ein anderes Land gekommen ist, von ihrer wachsenden Angst. Ein Gefühl, das Zeichensetzerin Alexa bekannt vorkommt.

Als ich als Kind mit meiner Familie nach Deutschland zog, hatte ich kleine und große Ängste. Am schlimmsten war für mich der Schulalltag. Abgesehen davon, dass ich Angst davor hatte, die Sprache nicht zu verstehen, wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Was ist angebracht und was nicht? Das Verhalten meiner Mitschülerinnen und Mitschüler entsetzte mich. Hatten sie denn keinerlei Manieren? Dass sie mitten im Unterricht aufstanden, um zum Mülleimer zu laufen, war für mich unbegreiflich.

„Ich verstehe niemanden, und niemand versteht mich.“

Aber warum erzähle ich das? Im Bilderbuch „Ich und meine Angst“ habe ich meine Erfahrungen und damit mich selbst wiedergefunden. Genauso wie die Protagonistin, ein Mädchen, das aus der Ich-Perspektive berichtet, bin ich in „dieses neue Land gekommen“. Die Angst hat sich immer weiter ausgebreitet und ist zum ständigen Begleiter geworden. Im Bilderbuch wird die Angst als ein weißes Wesen dargestellt, das je nach Befindlichkeit der Protagonistin mal mehr, mal weniger Platz einnimmt. Dieses Wesen mag weder die Schule, noch will es, dass dem Mädchen jemand näher kommt. Es fungiert symbolisch als Selbstschutzmechanismus.

Die Protagonistin fühlt sich immer einsamer, glaubt, dass sie niemand möge und will eigentlich auch gar nicht mehr hier sein. Da kommt ein Junge aus ihrer Klasse auf sie zu und gemeinsam finden sie eine andere Möglichkeit der Kommunikation: zeichnen und malen. Von da an entwickelt sich ihre Freundschaft – und das Mädchen merkt, dass auch andere Kinder Ängste haben.

Vielfältige Formen von Angst

„Ich und meine Angst“ ist ein berührendes, authentisches Buch, in dem sich viele Kinder, aber auch Erwachsene, wiederfinden können – unabhängig davon, aus welchem Grund sie in ein anderes Land gekommen sind. Außerdem lässt sich die Aussage des Bilderbuches auch auf andere Lebenssituationen übertragen: beispielsweise wenn Kinder die Schule wechseln oder in eine andere Stadt ziehen. Die Autorin, die mit ihrem Bilderbuchdebut „Die Flucht“ bereits große Erfolge gefeiert hat, erzählt eine einfühlsame Geschichte über Freundschaft, Ankommen und Zugehörigkeit. In der Übersetzung von Thomas Bodmer ist der Text in klaren Worten und einfachen Sätzen gehalten, sodass auch schon Kinder ab 4 Jahren Zugang zum Thema finden können.

Erfrischend angenehm sind die Illustrationen, die überwiegend in dezenten, ungesättigten Farben gestaltet sind. Die Kombination aus warmen und kalten Farben macht die Bilder abwechslungsreich und lebendig. Kleine Details, die auf beziehungsweise zwischen größeren Bildelementen zu finden sind, unterschiedliche Hautfarben, Gesichts- und Augenformen verdeutlichen die Individualität und Vielfalt der dargestellten Figuren.

Zwar sind die abgebildeten Angstwesen in ihrer Form und Farbe sehr ähnlich, sie stehen jedoch für unterschiedliche Arten von Angst und machen sichtbar: Egal wo wir herkommen und wie wir aussehen – wir alle haben unsere Ängste. Und manchmal hilft es, darüber zu reden. „Ich und meine Angst“ von Francesca Sanna ist ein sehr guter Gesprächsanlass dafür.

Ich und meine Angst. Francesca Sanna. Übersetzt von Thomas Bodmer. NordSüd Verlag. 2019.

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