Weltliteratur für Kinder: „Der Sandmann“

von | 25.06.2022 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

Passend zum 200. Todestag von E.T.A. Hoffmann am 25. Juni 2022 hat sich Satzhüterin Pia eine Adaption von „Der Sandmann“ angesehen: Für die Reihe „Weltliteratur für Kinder“ hat Anna Kindermann die schaurige Romantik-Kritik kindgerecht neuinterpretiert.

Große Weltliteratur für kleine Leser:innen aufzubereiten, ist an sich schon keine leichte Aufgabe. Hoffmanns furchteinflößende Erzählung „Der Sandmann“ (1816) rund um den Studenten Nathanael, dessen kindliches Trauma und späterer Wahnsinn zum frühen Selbstmord führen, ist aber sicherlich eine ganz besondere Herausforderung. Anna Kindermann gelingt dies sehr gut in ihrer Neuinterpretation: Die Mutter des kleinen Nathanaels erwähnt eines Abends den Sandmann, weil die müden Augen der Kinder wie mit Sand bestreut seien. Der Gedanke an den unbekannten Sandmann lässt Nathanael nicht los und so fragt er Monate später die alte Kinderfrau nach ihm. Diese ahnt nichts Böses, als sie verschmitzt erzählt:

Ei, Thanelchen, weißt du das noch nicht? Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Hände voll Sand in die Augen. Dann raubt er ihnen die Augen und verschwindet damit auf den Mond.“

Nathanael bleibt der Sandmann in gruseliger Erinnerung – dank des schaurigen Coppelius, der dem Sandmann ähnelt und der immer wieder unter merkwürdigen Umständen bei der Familie auftaucht, überträgt er die Fantasiefigur unweigerlich in seine Realität. Es scheinen sich in Zusammenhang mit Coppelius auch Unglücksfälle zu häufen, die in einer Katastrophe gipfeln. Jahre später – Nathanael hat die Gruselgestalt und alles, was damit einherging vermeintlich hinter sich gelassen – brechen die Wunden des alten Traumas wieder auf. Nathanaels Leben wird erneut davon bestimmt.

Alt und neu eng verwoben

Die kursiven Sätze im Text sind Zitate aus Hoffmanns Erzählung, womit Kindermann die Verbindung zum Original präsent hält. Die Autorin greift auch die schaurigen Elemente auf, wie das Stehlen der Augen, den Tod des Vaters bis hin zum Selbstmord Nathanaels. Ihr gelingt es dabei, für Kinder verständlich aufzuzeigen, wie der Junge die Figur des Sandmanns als Inbegriff des Bösen kennenlernt und arbeitet nachvollziehbar heraus, wo Realität in Wahnvorstellung übergeht. Sprachlich und inhaltlich ist der Text modernisiert worden, doch trotzdem holt er uns Leser:innen in eine andere Welt vergangener Zeiten.

Tragende Illustrationen

Diese Welt wird maßgeblich durch die Illustrationen von Dorota Wünsch mitgestaltet und getragen. Die gedeckten und leuchtenden Farben bringen zusammen mit dem dynamischen Layout, das sowohl ganzseitige Illustrationen als auch kleinere Szenen und Motive auf den Seiten verteilt, Leben in die Seiten. Wünschs Figuren haben eine ausdrucksstarke, fast karikative Mimik und transportieren Gefühle ebenso deutlich, wie sie den Text bildlich stützen.

Anna Kindermanns Neuinterpretation von „Der Sandmann“ ist für Kinder ab etwa acht Jahren geeignet – auch ich habe mich als Erwachsene gut unterhalten gefühlt – und durch das stimmige Zusammenspiel von Text und Bild ein sehr empfehlenswerte „Weltliteratur für Kinder“ geworden.

Der Sandmann nach E.T.A Hoffmann. Neu erzählt von Anna Kindermann. Illustrationen: Dorota Wünsch. Kindermann Verlag. 2022. Ab 8 Jahren.

[tds_note]Mehr über die Reihe und den Verlag könnt ihr im Interview mit Barbara Kindermann nachlesen.[/tds_note]

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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