Wehre dich, denn „Bitches bite back“

von | 17.03.2022 | Belletristik, Buchpranger

Nachdem die 18-jährige Izzy O’Neill in das Zentrum eines politischen Sexskandals geraten und Opfer von Racheporno, Slutshaming und Victim blaming geworden ist („Speak up“, Laura Steven), sind zwei Monate vergangen. Als schließlich ein anderes Mädchen ihrer Schule ganz Ähnliches erfahren muss, möchte sie ihre hilflose Wut in Energie umwandeln: Bitches bite back. – Von Satzhüterin Pia

Die laute, oftmals überzogen-witzige Art der Highschoolschülerin Izzy hat einen Dämpfer bekommen. Ihr Leben hat sich nach dem Skandal um ein geleaktes Foto von ihr mit einem Senatoren-Sohn beim Sex auf einer Gartenbank sowie einer Nacktaufnahme, die sie an ihn geschickt hatte, nahezu komplett verändert. Noch immer leben sie und ihre Großmutter in Armut, aber sie hat nicht nur ihren besten Freund seit Kindertagen verloren, mit Meg eine neue Freundin gefunden und mit Carson einen festen Freund, sondern vor allem hat ihr unerschütterliches Selbstvertrauen einen großen Dämpfer bekommen. Die lustige Maske, die sie sich angelegt hat, hat Risse bekommen und Izzy, die niemals Gefühle zeigen konnte, ist nun zumindest nicht mehr immer für sarkastische und vorlaute Kommentare zu haben.

„Aber im Ernst, es kommt mir vor, als würde mir ein Spiegel vor mein eigenes Benehmen vorgehalten. Anders als beim Blick in einen echten Spiegel gefällt mir nicht, was ich da sehe. Kommen andere Leute sich so vor, wenn sie mit mir reden? Wenn ich dauernd Witze reiße, anstatt mich richtig auf Gespräche einzulassen? Denn es ist verdammt nervig.“ (S. 115)

Ihren Mut hat Izzy nicht gänzlich verloren, denn es gibt Hoffnung: Die Website „Bitches bite back“, die sie mit ihren Freundinnen Ajita und Meg am Ende von Band 1 gegründet hatte, ist inzwischen sehr erfolgreich und nachdem das Sexvideo eines anderen Mädchens an ihrer Schule veröffentlicht wurde, möchte Izzy nicht mehr nur für sich kämpfen, sondern besonders für Hazel und alle anderen Mädchen, denen es in der Zukunft noch so ergehen könnte. Während Revenge Porn in den meisten amerikanischen Staaten verboten ist, gibt es in ihrem eigenen Bundesstaat kein Gesetz dagegen. Ajita, Meg und sie möchten dies ändern und eine wirkliche Veränderung bewirken. Als wäre dieses Vorhaben nicht schon herausfordernd genug, wird Izzy gezwungen, sich ihrer Verletztheit, der Angst und Scham zu stellen.

„Wenn ich alles sein lasse, dann lasse ich jeden im Stich. Dann gebe ich der Welt nach, dem Patriarchat, Ted Vaughan und Danny und jedem anderen eingebildeten Arschloch da draußen. Aber wenn ich durchhalte, wird es fürchterlich. Es könnte all meine Hoffnungen begraben, die ich für meine Zukunft habe.“ (S. 248)

Die Entwicklung der Protagonistin ist während des Buches, aber besonders im Vergleich zum ersten Band, deutlich zu spüren. Immer wieder wird sie von Gefühlen und Ängsten überwältigt, hat selbst Probleme damit, sich im Spiegel nackt zu betrachten. Die Ziele der Bitches-bite-back-Bewegung zerren die Inhalte des Skandals wieder hervor und erschweren es Izzy, all das zu überwinden und Verletzungen heilen zu lassen. Dass genau dies Teil der Heilung werden muss, nämlich sich zu wehren, Unterstützung zu erfahren und einen Schritt zu einer besseren Welt für junge Frauen in Amerika zu machen, offenbart sich ihr erst nach und nach. Umso mehr darf man ihren Mut bewundern.

Gegen Sexismus, Diskriminierung und das Patriarchat

Genau wie bereits in „Speak up“ strotzt auch dieser Band vor wichtigen Themen und diversen Figuren. Armut, Rassismus, Sexismus, Diskriminierungen und Angst aufgrund von Androhungen von Gewalt sind nur einige der Themen. Der Fokus bleibt klar beim Thema des Buches, nämlich Gewalt an jungen Frauen aufgrund von Racheporno, aber die anderen ebenso wichtigen Themen werden dabei nicht einfach ausgeblendet. Die Autorin gibt auch ihnen einen gewissen Raum, wie zum Beispiel Rassismus: Carson hat Angst, bei einer Demonstration mitzulaufen – als Schwarze, männliche Person. Eine weitere Stärke der beiden Bücher ist es, die Diversität der Figuren als selbstverständlich darzustellen (was sie in zu vielen Lebensrealitäten sicher nicht ist). Es wird jeweils erst zum Thema, wenn es zum Beispiel um die Diskriminierungsformen geht. Ajita, die sich aufgrund der Ablehnung ihrer Familie nicht offen als lesbisch outen kann (ein Konflikt, der leider nicht wirklich aufgelöst wird). Meg, die in ihrem Rollstuhl wegen des hohen Schneeaufkommens nicht mitdemonstrieren kann. Und Izzy, deren gesamte Zukunft auf der Kippe steht, weil sie sich kaum eine neue Zahnbürste leisten kann …

Bitte mehr von Izzy

Trotz ihres jungen Alters und all der an den Tag gelegten Komik, ist Izzy eine bemerkenswert reflektierte Figur, die es zum Beispiel nicht bei ungesteuerter Wut belässt. Sie kann dem Menschen, der die verheerende Website gegen sie ins Leben rief, nicht verzeihen, aber auch nicht in blindem Hass gegen ihn verweilen. Sie erkennt auch seinen Schmerz und wünscht ihm Genesung, ohne dabei die Taten oder ihren Schaden zu relativieren. Die Entwicklung im Verlauf der Geschichte zu betrachten, macht neugierig auf die Person, die Izzy einmal werden dürfte: selbstbestimmt, humorvoll, reflektiert und durch und durch feministisch. Ich würde gerne mehr von ihr lesen.

Am Ende gelingt es Laura Steven mit Izzys Geschichte erneut, die Balance zwischen Witzereißen und Ernsthaftigkeit zu finden. Obwohl beide Bände leicht zu lesen sind, bleiben die Themen sehr im Gedächtnis und durch die tendenziell aufgedrehte Art der Protagonistin fühlt sich die Lektüre recht wild an. Die Menge an Themen ist nicht ohne, obwohl die Linie erkennbar bleibt. Besonders gelungen finde ich die Inklusion verschiedener Lebensrealitäten und die Bandbreite an schweren Themen, die viele Gedankenanstöße und Grund zur eigenen Reflektion bieten.

Empfehlen kann ich beide Bände – besonders für die Figurenentwicklung –, aber auch für sich gelesen dürfte die Geschichte in „Bitches bite back“ stimmig zu verstehen sein.

Bitches bite back. Laura Steven. Übersetzung: Henriette Zeltner Shane. Droemer HC. 2021.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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