Leonardo da Vinci ist ein Name, den man mit vielem verbindet. Er ist bekannt und berühmt in der Welt der Kunst. Ein Erfinder, ein Maler, ein Genie. Dass der italienische Künstler allerdings nicht nur Beobachtungen in der Natur aufgeschrieben, verwissenschaftlicht oder für seine Erfindungen verwendet hat, sondern auch seine verträumte und kreative Seite gespeist hat, ist weniger bekannt.
Leonardo da Vinci schrieb Parabeln und Fabeln. Kurze kleine Geschichtchen, in welchen Pflanzen und Tiere sprechen. Sie erzählen von alltäglichen Vorgängen in der Natur, die klein und unscheinbar wirken, aber großen Effekt mit sich bringen, wenn die Zeit reif ist. Ein Pfirsichbaum, der auf einen Nussbaum neidisch ist und ebenfalls mehr Früchte tragen will, um dann an der Last dieser zusammenzubrechen. Ein Baum, der durch Egoismus all seine Nachbarn aus dem Weg räumen lässt, um allein den Platz und die Bewunderung anderer einzuheimsen, um dann vom nächsten großen Sturm niedergerissen zu werden. Ein vom Winter weiß gefärbtes Hermelin, das eitel genug ist, um nicht in seine Höhle zurück zu kehren, da sich Schlamm davor befindet und es sich beschmutzen könnte – um deshalb vom Jäger erschossen zu werden.
Es sind verschiedenste Geschichten, kleine Weisheiten, die mit dem Leben und mit dem Tod zu tun haben. Geschichten, die nicht in Flora und Fauna bleiben müssen, die für den Menschen genauso gelten. Der Eitle, der Schöne, der Barmherzige und der Egoistische. Eigenarten, die da Vinci von den Zweibeinern entlehnt hat, um seine Beobachtungen in der Natur zu personifizieren und dadurch kleine, kluge und lehrreiche Sprüche und Gleichungen zu schaffen.
Das Buch lässt viel Platz und Raum für jede einzelne Parabel und Fabel. Die Schrift ist groß, die Seite nicht vollgestopft. Dadurch erhalten die kleinen Texte noch mehr Wert und Gewicht. Die Zeichnungen, die sich keineswegs in das Buch zwängen, sondern sich ausbreiten dürfen, passen sehr gut und stimmig zu den einfach gehaltenen Texten. Dieses Buch, ein kleiner Schatz, lädt dazu ein, es immer wieder in die Hand zu nehmen, es nicht in einem Zug zu lesen, sondern Geschichte für Geschichte zu genießen, zu verweilen, nachzudenken.
Der Esel auf dem Eis – Miniaturen
Leonardo da Vinci, Unionsverlag, 2015