Von der Hybris des Anzugträgers

von | 04.11.2020 | Bilderbücher, Buchpranger

„Die Fabel von Fausto“ von Oliver Jeffers wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der 25 schönsten deutschen Bücher 2020 ausgezeichnet. Worteweberin Annika war neugierig, was das Bilderbuch noch zu bieten hat.

Es ist eine Fabel von der Hybris des Anzugträgers, vom Habenwollen, vom Immermehr, die Oliver Jeffers erzählt. Fausto geht durch die Welt und möchte alle Dinge, die er sieht, besitzen. „Du gehörst mir“, sagt Fausto. Eine Blume, ein Schaf, ein Baum – diese drei lassen sich nicht zweimal bitten. Den Berg kann Fausto nur schwer überzeugen, doch den größten Widerstand leistet das Meer.

Dass Fausto letztendlich scheitern und ein schlimmes Ende nehmen muss, steht außer Frage. Die Welt, noch dazu die Natur, gehört niemandem – schon gar nicht einem Fausto, der mit Nadelstreifenanzug und Krawatte daherkommt und sie nicht versteht.

Oliver Jeffers erzählt diese Geschichte in einfachen Sätzen, die in großer Schrift gesetzt sind und sich oft über mehrere Seiten erstrecken. Auf einigen Seiten steht so nur ein einziges Wort, das ganz für sich wirken kann. Zusammen mit den reduzierten Illustrationen bleibt viel Weiß auf den Seiten; ein gewichtiges Weiß, das uns beim Lesen über Fausto und die Welt nachdenken lässt: Was braucht man wirklich im Leben und welche Rolle spielt Besitz? Kann man einen See oder einen Berg überhaupt besitzen? Fragen, die in unserer heutigen Welt viel öfter gestellt werden sollten. Ertappen wir uns nicht alle ab und zu bei dem Gedanken, unbedingt etwas besitzen zu wollen, das wir eigentlich gar nicht brauchen? Meistens sind das wohl keine Schafe, Berge oder gar das Meer, doch in seiner Fabel führt Jeffers uns allen den eigenen inneren Fausto vor Gesicht.

Unterstrichen wird die Geschichte durch eine wirkungsvolle Farbsymbolik. Die Illustrationen sind Ton in Ton gestaltet, erst in Sepiabraun, später auf dem Meer dann in Blautönen. Nur Faustos Wut und die Dinge, die er sich aneignet, werden in Neonrot dargestellt. Auch die restliche Gestaltung hat die Auszeichnung von der Stiftung Buchkunst redlich verdient. Das marmorierte Vorsatzpapier wirkt edel, das dicke Papier der Seiten passt zu den gewichtigen Sätzen. So blättert man gerne durch dieses Buch.

Vom Verlag wird das Bilderbuch ab 5 Jahren empfohlen und ab diesem Alter kann man sicherlich gut mit Kindern über die Geschichte und das Habenwollen ins Gespräch kommen. Doch Fausto geht besonders auch uns Erwachsene an, uns AnzugträgerInnen, die nicht genug bekommen können. Schließlich ist es viel schöner, im Meer zu schwimmen, als es zu besitzen.

Die Fabel von Fausto. Oliver Jeffers. Aus dem Englischen von Anna Schaub. NordSüd Verlag. 2020.

 

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