Von Bluttransfusion zu Blutextraktion

von | 19.10.2018 | #Todesstadt, Digitale Spiele, Specials, Spielstraße

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In „Vampyr“, dem neuesten Werk aus dem Hause Dontnod („Life is Strange“), lassen wir uns nach London ins Jahre 1918 mitnehmen. Wortspieler Nico schlüpft für euch in die Rolle des Dr. Jonathan Reid, britischer Kriegsveteran und Feldarzt, der als einziger seines Trupps aus Frankreich zurückkehrt. Doch dauert es nicht lange und der Biss eines Vampirs verändert unser ganzes (fortan untotes) Leben.

Wir erwachen inmitten einer Masse von leblosen, verwesenden Körpern, die der Spanischen Grippe erlegen sind. Sehr geschwächt taumeln wir aus der Leichengrube, um unseren Blutdurst zu stillen. Während wir eines unserer Opfer leer trinken, werden wir von einem der Friedhofswärter beobachtet. Dieser schlägt direkt Alarm. Nun heißt es für uns Obacht, denn alle Vampirjäger Londons sind jetzt hinter uns her. Es ist uns selbst überlassen, ob wir uns menschliche Opfer suchen, damit viel mehr Aufsehen erregen, jedoch auch sehr viel stärker werden oder ob wir unseren Durst nach dem roten Lebenssaft lieber mit dem der Ratten stillen und damit eher im Hintergrund bleiben und uns nur langsam entwickeln. Mit unserer Entscheidung legen wir den Grundstein für den Verlauf der Geschichte.

Auf der Suche nach unserem Erschaffer begegnen wir dem Direktor und leitenden Arzt des Pembroke Hospital, einem Londoner Krankenhaus. Dieser erkennt sofort, dass wir nicht mehr allein der auf Bluttransfusion spezialisierte Arzt sind, der wir einst waren. Doch hat er nicht die Absicht uns zu verpfeifen oder zu lynchen, eher ist er darauf aus, mit uns London von der Spanischen Grippe zu befreien. Er bietet uns nicht nur eine Stelle in seinem Krankenhaus an, die wir dankend annehmen, sondern unterstützt uns auch auf der Suche nach demjenigen, der für unser Schicksal verantwortlich ist.

Dank unserer neuen Stellung haben wir nun auch einen Unterschlupf, an den wir am Tage zur Ruhe kommen und unsere Fähigkeiten entwickeln können. Ebenso haben wir dort die Möglichkeit, Impfstoffe und Tinkturen herzustellen, um damit der Bevölkerung und auch uns zu helfen. Denn das reinere Blut einer gesünderen Bevölkerung bringt uns mehr Erfahrungspunkte, die wir wieder in unsere Fähigkeiten investieren können. In unserer Basis gibt es zudem noch eine Werkbank, an der wir unsere gesammelten Waffen mit gefundenen Gegenständen aus Mülltonnen oder geplündert von erledigten Gegnern verbessern und erweitern können.

Open World? Nicht wirklich!

Das, was wir in London erkunden dürfen, ist zwar nicht allzu viel, doch die vier Stadtteile mit ihren Unterbezirken bieten ein sehr abwechslungsreiches Bild. Es ist beispielsweise schon an der Architektur der Viertel zu erkennen, ob wir uns durch eine gehobenere Gegend bewegen oder in ärmlicheren Kreisen verkehren. In allen Bezirken sind kleine Verstecke verteilt, in denen wir dieselben Möglichkeiten haben wie in unserer Basis, dem Pembroke Hospital. Denn sonst müssten wir für jedes Mal, wenn wir Medizin herstellen wollen, wieder zurücklaufen, Schnellreisepunkte suchen wir in diesem Spiel nämlich vergeblich. Während wir durch die Gassen Londons laufen, wird uns meist eine Open World nur vorgegaukelt, denn viele Türen lassen sich gar nicht oder nur umständlich von der anderen Seite öffnen, weshalb wir dann doch etwas länger brauchen, um in einen neuen Bereich zu gelangen.

Geraten wir in den Straßen Londons doch einmal an einen Vampirjäger oder einen dämonischen Gegenspieler, haben wir mehrere Möglichkeiten, unser untotes Leben zu schützen. Wir sind im Besitz einer Haupt- und einer Nebenwaffe. Während wir in der Haupthand ein Schwert, eine Axt oder eine Säge führen, halten wir in der Nebenhand beispielsweise einen Pflock oder einen Revolver, mit denen wir nicht nur Schaden machen, sondern unseren Gegner taumeln lassen und so den Moment nutzen und zum blutsaugenden Biss ansetzen können. Dieser schwächt nicht nur unseren Gegenspieler, sondern gibt uns Blutpunkte, die wir für die Nutzung von Spezialfähigkeiten benötigen, welche Schaden oder Heilung bringen. Wir können allerdings auch auf Zweihandwaffen zurückgreifen. Mit diesen können wir gegnerische Attacken parieren, sind in der Handhabung allerdings langsamer, verursachen dafür aber wesentlich mehr Schaden als eine Einhandaxt.

Sollten wir in eine größere Gruppe von Kontrahenten kommen, müssen wir unbedingt immer wieder auf unseren Ausdauerbalken achten. Denn Angriffe und Ausweichmanöver verbrauchen unsere Ausdauer und wir werden ein leichtes Ziel. Dies lässt die Kämpfe allerdings nicht langweilig werden. Ebenso bei Bosskämpfen: Hier sollten wir immer mit Bedacht reingehen, denn sonst haben wir keine Überlebenschance. Sind wir doch einmal unaufmerksam und werden besiegt, bleibt nur zu hoffen, dass der Checkpoint nicht zu ungünstig gesetzt wurde und wir nicht direkt wieder überrannt werden.

Synchro top, Grafik flop

London wurde nicht nur mit unzähligen Antagonisten Leben eingehaucht, sondern auch mit insgesamt über 60 Personen, deren Hintergrundgeschichten und Verbindungen zueinander erforscht werden wollen. Es ist nicht immer einfach, die Beziehungen, die sie zueinander haben, zu entschlüsseln, dennoch hat jeder dieser Charaktere eine interessante und einzigartige Geschichte. Wir müssen uns durch Gespräche neue Hinweise zu anderen Personen erarbeiten und können diese dadurch wiederum in ein neues Gespräch verwickeln. Dies kann so einige lange Dialoge beinhalten und ist sehr zeit- und arbeitsaufwendig. Die Dialoge sind alle in englischer Tonausgabe gehalten, während wir uns nur die Sprache des Untertitels aussuchen können. In diesem finden sich aber hin und wieder Rechtschreibfehler und die Charaktere sind sich manches Mal nicht einig, ob sie uns duzen oder siezen wollen. Die Sprachausgabe macht dagegen einiges her. Unterhalten wir uns mit einem Iren, hat dieser auch einen irischen Dialekt, treffen wir auf einen Rumänen, spricht dieser mit Akzent.

Grafisch hätte das Spiel noch besser werden können. Befinden wir uns in einem Dialog, zeigen sich die Gesichtszüge unseres Gegenübers recht emotionslos – trotz Motion Capture – während die Synchro recht aufgeregt klingt. Ton und Mimik gehen hier deutlich auseinander. Dazu kommt, dass in den Straßen ganze Gebäude wie aus dem Nichts auftauchen, weil sie nachgeladen werden müssen oder eine Dampflok vorbeischwebt, weil die Brücke, auf der sie fahren soll, noch nicht geladen wurde. Ladezeiten erwarten uns auch, wenn wir uns gesammelte Schriftstücke anschauen wollen, dessen Schrift zuerst unscharf ist und erst nach kurzer Ladezeit leserlich wird.

Einmal in den Gassen Londons gefangen, ist es trotz der grafischen Einbußen schwer wieder aufzuhören, da durch die musikalische Untermalung die Synchro und die Geschichte vieles wieder wettgemacht wird. Trotz voll angerissener Helligkeit in den Einstellungen, ist und bleibt dieser Titel düster – bildlich und auch geschichtlich.

Vampyr. Entwickler: DONTNOD Entertainment. Publisher: Focus Home Interactive. 2018. PC, PS4, Xbox One. Action RPG. Einzelspieler. Ca. 15 Stunden.

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #Todesstadt. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]
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