Vom Deutschsein der Literatur

von | 03.05.2016 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

Wo beginnt deutsche Literatur und wo endet sie? Alle, die sich an einem Punkt ihres Lebens mit der Literaturgeschichte eines bestimmten Staates oder einer bestimmten Nation auseinandergesetzt haben, stoßen zunächst auf das Problem der Definition. Wortklauberin Erika überlegt vor Christian Schöns „Illustrierten Geschichte der deutschen Literatur“.

Illustrierte Geschichte der deutschen LiteraturWo beginnt die deutsche Literatur?

Hat sie Grenzen? Die im Metzler Verlag erschienenen „Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur“ beginnt genau mit dieser Frage ihre Darstellung der deutschen Literaturgeschichte. Christian Schön macht zunächst in einem ersten Kapitel mit dem Titel „Wie ‚deutsch‘ ist die deutsche Literatur?“ auf das Problem aufmerksam, dass es schwierig ist, einen Beginn der deutschen Literatur zu fixieren, und weist auf Problematiken hin, die verschiedene Einordnungen verursachen. Während die Sprache wie ein offensichtliches Kriterium der Einordnung erscheinen mag, ist dies doch nicht ganz so leicht. So fragt Schön, ob in dem Falle die lateinischen Verse von Andreas Gryphius, die französischen Verse Heinrich Heines oder Hölderlins Übersetzungen aus dem Griechischen überhaupt als deutsche Literatur zählen sollten.
Neben der Sprache nennt Schön noch Eingrenzungen wie Landesgrenzen – und nimmt diesen Ansatz gleich wieder zurück, denn auch schweizer und österreichische Autoren wie Bernhard Schlink („Der Vorleser“), Ingeborg Bachmann, Robert Musil oder Hugo von Hofmannsthal können zur deutschen Literatur zählen, genauso Franz Kafka, der in Prag lebte und auf Deutsch schrieb, oder Paul Celan („Todesfuge“), der aus Lemberg stammte und sein Leben in Paris beendete.

Epochen und ihre Grenzen

Nach der Etablierung dieser ersten Schwierigkeiten teilt Christian Schön die deutsche Literaturgeschichte nach Epochen ein. Er versäumt nicht, in diese gründlich einzuführen und anschließend in ausführlich mit Bildern und Beispielen illustrierte Unterkategorien weiter auf die für die jeweilige Zeit spezifischen Phänomene einzugehen.
Zur Literatur des Mittelalters, die mit einem Zeitraum von 750 bis 1500 eigentlich nicht zu bewältigen scheint, erklärt Schön zunächst in einem Kapitel zur Epoche und ihren „typischen“ Merkmalen und Traditionen, dass Latein für lange Zeit die allgemein geläufige Verständigungssprache war, und Dichtung in Volkssprache nur mündlich bestand, ehe sie nachträglich schriftlich festgehalten wurde. Daran angeschlossen finden sich kleinere „Häppchen“ – eine weitere Unterteilung der Epoche, um die Entwicklungen der deutschen Literaturgeschichte an gründlich gewählten Beispielen und Bildern einzuführen.
Während sich Schön bemüht, den Epochen möglichst klare Grenzen zu geben – das Mittelalter endet bei ihm im Jahr 1500, woran sich die Reformation anschließt, und so weiter – wird gerade beim Eingang ins 20. Jahrhundert klar, dass Epochen nur ein vom Menschen gedachtes Konstrukt sind, um das Vergehen der Zeit beschreibbar zu machen. So verschwimmen die Grenzen der verschiedenen Strömungen gerade zu Beginn des anbrechenden 20. Jahrhunderts. Wenngleich Schön ein Kapitel auf die Frage verwendet, was denn „deutsch“ sei, findet sich leider kein Kommentar zur Einteilung der Literaturgeschichte in die Epochen wie sie hier vorliegt.

Bekannte Gesichter, gute Nachlese

Jede Unterkategorie der Epochen glänzt mit einem bis zwei berühmten Dichtern, welche besonders hervorgehoben werden. Dabei finden sich für Belesene kaum neue Gesichter, die in den „Info-Boxen“ genauer vorgestellt werden, auch mit Bild – Walther von der Vogelweide etwa in der allseits bekannten Darstellung aus dem Codex Manesse dargestellt, von Johann Wolfgang von Goethe gibt es mehrere Zeichnungen und Portraits, von Bert Brecht findet sich ein Foto mit seiner Partnerin.
Insgesamt ist die illustrierte Literaturgeschichte, die Christian Schön auf den Markt bringt, eine gute Ergänzung für das Regal eines jeden Literaturinteressierten. Für die Forschung ist es nicht sehr interessant, wenngleich die Auswahlbibliographie, welche unter „Literaturempfehlungen“ am Ende des schmalen Bandes zu finden ist, einen netten Einstieg in die Lektüre zu den jeweiligen Epochen bietet.
Christian Schön erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, und gibt einen guten Überblick über die deutsche Literaturgeschichte. Er spart hierbei auch weibliche Protagonistinnen der Literaturgeschichte nicht aus und erklärt ausführlich die jeweiligen sozialhistorischen Umstände. Hierbei hat man keineswegs ein Bilderbuch vor sich, sondern ein ausführlich recherchiertes Werk, wie man es aus dem Hause Metzler nur erwarten kann.

Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur. Christian Schön. J.B. Metzler. 2016.

Bücherstadt Magazin

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