Vom Deutschsein der Literatur

by Bücherstadt Kurier

Wo beginnt deut­sche Lite­ra­tur und wo endet sie? Alle, die sich an einem Punkt ihres Lebens mit der Lite­ra­tur­ge­schichte eines bestimm­ten Staa­tes oder einer bestimm­ten Nation aus­ein­an­der­ge­setzt haben, sto­ßen zunächst auf das Pro­blem der Defi­ni­tion. Wort­klau­be­rin Erika über­legt vor Chris­tian Schöns „Illus­trier­ten Geschichte der deut­schen Literatur“.

Illustrierte Geschichte der deutschen LiteraturWo beginnt die deut­sche Literatur?

Hat sie Gren­zen? Die im Metz­ler Ver­lag erschie­ne­nen „Illus­trierte Geschichte der deut­schen Lite­ra­tur“ beginnt genau mit die­ser Frage ihre Dar­stel­lung der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schichte. Chris­tian Schön macht zunächst in einem ers­ten Kapi­tel mit dem Titel „Wie ‚deutsch‘ ist die deut­sche Lite­ra­tur?“ auf das Pro­blem auf­merk­sam, dass es schwie­rig ist, einen Beginn der deut­schen Lite­ra­tur zu fixie­ren, und weist auf Pro­ble­ma­ti­ken hin, die ver­schie­dene Ein­ord­nun­gen ver­ur­sa­chen. Wäh­rend die Spra­che wie ein offen­sicht­li­ches Kri­te­rium der Ein­ord­nung erschei­nen mag, ist dies doch nicht ganz so leicht. So fragt Schön, ob in dem Falle die latei­ni­schen Verse von Andreas Gry­phius, die fran­zö­si­schen Verse Hein­rich Hei­nes oder Höl­der­lins Über­set­zun­gen aus dem Grie­chi­schen über­haupt als deut­sche Lite­ra­tur zäh­len sollten.
Neben der Spra­che nennt Schön noch Ein­gren­zun­gen wie Lan­des­gren­zen – und nimmt die­sen Ansatz gleich wie­der zurück, denn auch schwei­zer und öster­rei­chi­sche Autoren wie Bern­hard Schlink („Der Vor­le­ser“), Inge­borg Bach­mann, Robert Musil oder Hugo von Hof­manns­thal kön­nen zur deut­schen Lite­ra­tur zäh­len, genauso Franz Kafka, der in Prag lebte und auf Deutsch schrieb, oder Paul Celan („Todes­fuge“), der aus Lem­berg stammte und sein Leben in Paris beendete.

Epo­chen und ihre Grenzen

Nach der Eta­blie­rung die­ser ers­ten Schwie­rig­kei­ten teilt Chris­tian Schön die deut­sche Lite­ra­tur­ge­schichte nach Epo­chen ein. Er ver­säumt nicht, in diese gründ­lich ein­zu­füh­ren und anschlie­ßend in aus­führ­lich mit Bil­dern und Bei­spie­len illus­trierte Unter­ka­te­go­rien wei­ter auf die für die jewei­lige Zeit spe­zi­fi­schen Phä­no­mene einzugehen.
Zur Lite­ra­tur des Mit­tel­al­ters, die mit einem Zeit­raum von 750 bis 1500 eigent­lich nicht zu bewäl­ti­gen scheint, erklärt Schön zunächst in einem Kapi­tel zur Epo­che und ihren „typi­schen“ Merk­ma­len und Tra­di­tio­nen, dass Latein für lange Zeit die all­ge­mein geläu­fige Ver­stän­di­gungs­spra­che war, und Dich­tung in Volks­spra­che nur münd­lich bestand, ehe sie nach­träg­lich schrift­lich fest­ge­hal­ten wurde. Daran ange­schlos­sen fin­den sich klei­nere „Häpp­chen“ – eine wei­tere Unter­tei­lung der Epo­che, um die Ent­wick­lun­gen der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schichte an gründ­lich gewähl­ten Bei­spie­len und Bil­dern einzuführen.
Wäh­rend sich Schön bemüht, den Epo­chen mög­lichst klare Gren­zen zu geben – das Mit­tel­al­ter endet bei ihm im Jahr 1500, woran sich die Refor­ma­tion anschließt, und so wei­ter – wird gerade beim Ein­gang ins 20. Jahr­hun­dert klar, dass Epo­chen nur ein vom Men­schen gedach­tes Kon­strukt sind, um das Ver­ge­hen der Zeit beschreib­bar zu machen. So ver­schwim­men die Gren­zen der ver­schie­de­nen Strö­mun­gen gerade zu Beginn des anbre­chen­den 20. Jahr­hun­derts. Wenn­gleich Schön ein Kapi­tel auf die Frage ver­wen­det, was denn „deutsch“ sei, fin­det sich lei­der kein Kom­men­tar zur Ein­tei­lung der Lite­ra­tur­ge­schichte in die Epo­chen wie sie hier vorliegt.

Bekannte Gesich­ter, gute Nachlese

Jede Unter­ka­te­go­rie der Epo­chen glänzt mit einem bis zwei berühm­ten Dich­tern, wel­che beson­ders her­vor­ge­ho­ben wer­den. Dabei fin­den sich für Bele­sene kaum neue Gesich­ter, die in den „Info-Boxen“ genauer vor­ge­stellt wer­den, auch mit Bild – Walt­her von der Vogel­weide etwa in der all­seits bekann­ten Dar­stel­lung aus dem Codex Manesse dar­ge­stellt, von Johann Wolf­gang von Goe­the gibt es meh­rere Zeich­nun­gen und Por­traits, von Bert Brecht fin­det sich ein Foto mit sei­ner Partnerin.
Ins­ge­samt ist die illus­trierte Lite­ra­tur­ge­schichte, die Chris­tian Schön auf den Markt bringt, eine gute Ergän­zung für das Regal eines jeden Lite­ra­tur­in­ter­es­sier­ten. Für die For­schung ist es nicht sehr inter­es­sant, wenn­gleich die Aus­wahl­bi­blio­gra­phie, wel­che unter „Lite­ra­tur­emp­feh­lun­gen“ am Ende des schma­len Ban­des zu fin­den ist, einen net­ten Ein­stieg in die Lek­türe zu den jewei­li­gen Epo­chen bietet.
Chris­tian Schön erhebt kei­ner­lei Anspruch auf Voll­stän­dig­keit, und gibt einen guten Über­blick über die deut­sche Lite­ra­tur­ge­schichte. Er spart hier­bei auch weib­li­che Prot­ago­nis­tin­nen der Lite­ra­tur­ge­schichte nicht aus und erklärt aus­führ­lich die jewei­li­gen sozi­al­his­to­ri­schen Umstände. Hier­bei hat man kei­nes­wegs ein Bil­der­buch vor sich, son­dern ein aus­führ­lich recher­chier­tes Werk, wie man es aus dem Hause Metz­ler nur erwar­ten kann.

Illus­trierte Geschichte der deut­schen Lite­ra­tur. Chris­tian Schön. J.B. Metz­ler. 2016.

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