Verliert Ariadne den Faden? „Ich, Ariadne” von Jennifer Saint

by Buchstaplerin Maike

Nach- und Neu­er­zäh­lun­gen grie­chi­scher Mythen ste­hen spä­tes­tens seit „Das Lied des Achill“ hoch im Kurs. Ein femi­nis­tisch nach­er­zähl­ter Roman über Ari­adne hat daher bei Buch­stap­le­rin Maike große Erwar­tun­gen geweckt – die lei­der ent­täuscht wurden.

Cover Ich AriadneMinos regiert grau­sam auf der Insel Kreta. Der Stolz sei­ner Insel: der mons­tröse Mino­tau­rus im Innern von Däda­lus’ Laby­rinth, des­sen Hun­ger mit Kin­dern aus dem unter­wor­fe­nen Athen gestillt wer­den muss. Doch als The­seus sich (mit ein biss­chen Hilfe von Prin­zes­sin Ari­adne) in den Irr­gar­ten wagt, kann er als Held über die Krea­tur triumphieren.

Doch wo sind im alten Mythos die Frauen? Wieso wurde Minos’ Frau Pasi­phaë für des­sen Ver­bre­chen bestraft? Warum musste sie wahn­sin­nig wer­den und den Mino­tau­rus gebä­ren? Und was ist mit ihrer Toch­ter, Ari­adne? Wieso hilft sie The­seus, wieso will sie mit ihm von Kreta flie­hen? Kurz: Wo ist Platz für sie als Men­schen, statt als Werkzeuge?

„Heute würde ich mein Schick­sal selbst in die Hand neh­men. Ich würde bewei­sen, dass ich es wert war, die Frau eines legen­dä­ren Hel­den zu sein. Meine Geschichte würde nicht mit Tod, Leid und Opfern enden.” (S. 104)

All die­sen Fra­gen geht Jen­ni­fer Saint nach, indem sie Ari­adne, und spä­ter deren Schwes­ter Phä­dra über den Lauf der Jahr­zehnte als Ich-Erzäh­le­rin­nen zu Wort kom­men lässt. Dadurch gelingt es, den bei­den Frauen ein kom­ple­xes Innen­le­ben zu geben und sie ihre Welt hin­ter­fra­gen zu las­sen. Die Hand­lung folgt dem Lauf der Sage: Ari­adne ver­liebt sich in The­seus, lässt sich von Däda­lus den Faden geben, um The­seus zu hel­fen, und wird von ihm „zum Dank” auf einer unbe­wohn­ten Insel zurück­ge­las­sen. Dort wird sie bald die Gefähr­tin des Got­tes Dyo­nisus. Doch ist er wirk­lich anders als die ande­ren Män­ner, die sie kennt?

„Doch waren es immer nur die Frauen, ob Die­ne­rin oder Prin­zes­sin, die den Preis dafür zahl­ten, dazu ver­dammt, bis in alle Ewig­keit das Land zu durch­strei­fen, in einen schwer­fäl­li­gen Bären, eine brül­lende Kuh ver­wan­delt, oder von der rach­süch­ti­gen weiß­ar­mi­gen Göt­tin zu Asche ver­brannt zu wer­den.” (S. 122)

Den­noch scheint es, als würde Saint nicht die Gren­zen der alten Sage aus­lo­ten, wie es ihre Prot­ago­nis­tin­nen ver­die­nen. Aller Innen­sicht und Cha­rak­ter­ent­wick­lung zum Trotz wider­fährt ihren Hel­din­nen genau das, was sie kri­ti­sie­ren, und das lässt die Leser*innen zuneh­mend ent­täuscht zurück. Der Ein­druck ver­stärkt sich, dass Saint Ari­adne und Phä­dra in ver­al­tet schei­nende (Beziehungs-)Muster und Geschlech­ter­rol­len fal­len lässt, die mit dem Anspruch einer moder­nen Nach­er­zäh­lung kon­kur­rie­ren. Auch die teils sper­rige Spra­che und Zeit­sprünge las­sen die Leser*innen mit­un­ter schwer in die Geschichte kommen.

„Diese Män­ner, diese Göt­ter, die mit unse­ren Leben spiel­ten und uns ein­fach weg­war­fen, wenn sie uns nicht mehr brauch­ten, die über unser Leid lach­ten und dann ver­ga­ßen, dass es uns je gege­ben hatte.” (S. 138)

Wer sich für his­to­ri­sche und mytho­lo­gi­sche Frau­en­le­ben inter­es­siert, wird „Ich, Ari­adne” den­noch etwas abge­win­nen kön­nen. Das Buch ist zwar nicht das femi­nis­ti­sche Glanz­stück, das ich mir erwar­tet habe, bie­tet aber den­noch neue Per­spek­ti­ven auf alte Sagen und regt zum Nach­den­ken über Wahr­heit, Legende und die Macht der Erzäh­lung an.

Ich, Ari­adne. Jen­ni­fer Saint. Aus dem Eng­li­schen von Simone Jakob. List. 2021.

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