Unter dem Mistelzweig (Teil 1)

von | 07.12.2019 | #litadvent, Kreativlabor, Specials

[ads_color_box color_background=“#ededed“ color_text=“#444″]Was bisher geschah …
Vor etwa einem halben Jahr schloss sich Marian der Riege Außergewöhnlicher Charaktere, kurz RAC, an. Die Riege ist eine Gruppe von Elite-Cosplayern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, einige Comic-Charaktere realistisch in ihre Welt zu bringen. Letzten Monat musste Marian in einer Prüfung unter Beweis stellen, ob er dem Mantel des „Jokers“ würdig war. Dies wurde ihm nicht nur durch zwei andere Cosplayer erschwert, auch Kommissar Darius Kolb war schneller als gedacht vor Ort, denn er hatte von seinem Neffen Moritz, Marians Partner, den entscheidenden Hinweis und damit Hilfe bei Marians Festnahme bekommen.[/ads_color_box]

 

– 1 –

Marian sah noch einmal auf sein Telefon, als er vor der großen Doppeltür der Kässach-Villa stand. Noch immer keine Nachricht von Momo. Die Einladung war mit Partner gewesen und noch war das Momo. Marian hatte ihn angefleht mitzukommen, ihrer Beziehung neues Vertrauen zu geben, indem Momo seine Welt kennenlernte und verstand, warum er es getan hatte. Seit Marians Festnahme vor einem Monat und dem Freispruch mit Bewährungsauflage war ihre Beziehung nicht mehr die gleiche wie zuvor. Kleine Gesten, die zu ihrem Alltag gehörten, waren verschwunden. Anstatt nächtelanger Gespräche herrschte nun Stille zwischen ihnen.
Laut hallte klassische Musik durch das Anwesen und es dauerte nicht lange, bis er gedämpfte Schritte hinter den Türen hörte. Kurz darauf sprach jemand zu ihm, aber kaum ein Wort war verständlich. Marian rollte mit den Augen, seine Gedanken huschten kurz zu den beiden Störenfrieden, die sich ihm bei seiner Prüfung in den Weg gestellt hatten, dann schrie er nahezu: „Jules, du weißt genau, dass die Tür zu massiv ist für deine Spielchen.“
Schwungvoll öffneten sich die Türflügel und vor ihm stand der Sohn des Hauses in piekfeinem, grünem Anzug mit passendem Hut, aber ohne die Dominomaske, die er normalerweise als Riddler trug. „Bevor du eintreten darfst, musst du erst ein Rätsel lösen: Für Verliebte eine Ausrede, für Druiden eine Zutat, für Vögel ein Nest. Was bin ich?
Erwartungsvoll sah er auf Marian herab.
„Ich hoffe, ihr habt keine aufgehängt, dafür bin ich echt nicht in der Stimmung.“
„Nope, jegliche Versuche wurden untermauert.“ Julius seufzte und trat zur Seite, sodass Marian eintreten konnte.
Neugierig sah Marian sich um, als er den Flur betrat. Wirkte das Haus von außen eher alt, so glänzte es innen minimalistisch und modern, auch wenn die ausschweifende Weihnachtsdekoration viele Schätze überdeckte. Girlanden aus Papierschneeflocken und Tannengrün schmückten die Wände. Direkt vor ihm erstreckte sich das offene Wohnzimmer, an dessen Ende Kunstschneebilder auf die große Fensterfront zum Garten aufgesprüht waren. Um einen niedrigen Tisch verteilt standen Sofas, Sessel und Sitzsäcke. Rechts davon stand ein großer Weihnachtsbaum, dessen Lichterkette noch halb herunterhing und um den herum Kartons voller Schmuck standen. Viktor nutzte seine beachtliche Größe, um eine Kerze auf einem der oberen Äste zu befestigen. Eine junge Frau mit lose gewickeltem Kopftuch, die ihm kaum bis zu den Schultern reichte, gab ihm dabei Anweisungen. Es roch nach Punsch, Orangen und Nüssen und leise Saitenklänge ertönten aus der Richtung eines der Sitzsäcke, in dem ein dunkelhäutiger junger Mann saß und auf einer Ukulele zupfte.
„Marian!“, zog Loki schließlich die Aufmerksamkeit auf sich, als er sich ihm von links näherte und ihn freundschaftlich drückte.
„Momo wollte doch nicht kommen?“, fragte er vorsichtig und Marian sah betreten zur Seite.
„Er heißt wirklich Momo?“, fragte die Kopftuchträgerin amüsiert. „So wie das kleine Mädchen aus Michael Endes Buch?“
„Eigentlich Moritz, aber nachdem wir Avatar gesehen haben, ist das irgendwie hängen geblieben”, erklärte Marian und ein Stich durchfuhr seine Brust, als er an die Stunden dachte, die sie mit der Serie verbracht hatten.
„Was hältst du eigentlich von den blauen Dingern?“, fragte Viktor skeptisch.
„Pocahontas im All?“, entgegnete Marian und erntete sogleich ein breites Grinsen und eine in die Luft gestoßene Faust als Reaktion.
„Viktooor! Kannst du es nicht ein Mal lassen!“, jammerte Julius, der sich an ihnen vorbei schob und seitlich auf einen Sessel plumpsen ließ.
„Dieser Film hat den ganzen Rummel nicht verdient“, begründete dieser nur stur und widmete sich wieder der Lichterkette.
Loki schnaubte belustigt, bevor er fragte: „Brauchst du noch ne Vorstellungsrunde?“
Marian zuckte mit den Schultern. Ihm war zwar von den Heroes erzählt worden, aber außer Julius’ Schwester hatte er noch niemanden von ihnen kennengelernt.
„Okay. Diese junge Dame hier ist Alisa oder auch Miss Marvel.“ Sie winkte kurz, bevor auch sie sich wieder dem Weihnachtsbaum widmete.
„Das da hinten ist Tony, aber er hört auch auf Miles.“ Als Reaktion gab er ein Pling, pling, pliiiing aus der Ukulele von sich. „Leider weigert er sich standhaft, vernünftige Musik mit seinem Lieblingsinstrument zu spielen.“
„Metal auf der Ukulele klingt scheiße!“, erwiderte Miles in einem Tonfall, der deutlich Ablehnung zeigte. Es war also nicht das erste Mal, dass er diesen Vorwurf widerlegte.
„Gar nicht, schau dir endlich die Videos an, die ich dir geschickt hab!“
Anstatt weiter darauf einzugehen, spielte Miles Jingle Bells an.
Gerade als Loki zu einer Erwiderung ansetzte, unterbrach ihn ein aufgeregtes: „Ey, Pupsgesicht, hol den Erste Hilfe Kasten!“ Juliane kam aus der Tür zu seiner Linken.
„Was ist passiert?“ Julius sprang auf.
Im Hintergrund hörte Marian Jackie laut fluchen.
„Nur ein kleiner Schnitt“, beruhigte Juliane die anderen.
Wenig später kam Julius mit dem Verbandszeug zurück. „Hier!“
„Julius’ Zwillingsschwester kennst du ja“, kommentierte Loki den Austausch zwischen den beiden wie eine Naturdoku. „Es sind Momente wie diese, in denen ich froh bin, Einzelkind zu sein.“
„Amen!“, stimmte Viktor ihm von der Seite zu.
„Setz dich“, bot Loki an und Marian ging zu einem der Sofas. Von hier aus konnte er gut auf den weitläufigen Garten sehen, der sich zwischen den Seitenflügeln der Villa erstreckte. Ein Springbrunnen stand mittig und war von kleinen Solarlampen beleuchtet, um ihn herum waren feine Lichtnetze über den Büschen drapiert.
„Es ist immer wieder cool hier“, bemerkte Marian.
„Das kommt mit dem Leben eines Multimillionärs.“ Miles klang alles andere als begeistert.
Alisa meinte daraufhin: „Das haben sich die Kässachs hart erarbeitet und die Villa haben sie vor fünfzehn Jahren zu einem Spottpreis gekauft, weil sie baufällig war und abgerissen werden sollte.“
„Nur weil du für Kerber arbeitest, brauchst du die Kässachs nicht verteidigen“, grummelte Miles unberührt.
„Kerber? Unser Anwalt?“, warf Marian ein. Er dachte kurz an den Mann, der es geschafft hatte, dass seine Prüfung während der ComicCon als dummer Jungenstreich ohne Schaden abgetan wurde.
„Das ist kein Verteidigen, das ist Fakt. Falls du dich erinnerst, arbeite ich direkt für Herrn Kässach“, unterstützte Loki Alisas Meinung. „Und ja, Kerber ist der Anwalt der Familie und Alisas Chef.“
„Sollte Max nicht auch hier sein oder ist euer Pinguin schon flügge geworden?“, fragte Alisa in die Runde.
Wie sie den Sprung von ihrem Arbeitgeber zu seinem Mitanwärter bei den RAC-Villains machte, verstand Marian nicht. Er kannte die Leute aber auch hauptsächlich nur bei ihrem Cosplay- oder Vornamen.
„Der hat andere Verpflichtungen“, antwortete Loki spöttisch.
„Er hat ‘n Date mit ‘nem Mädel aus ‘ner Dating-App“, führte Viktor genauer aus.
„Oh … Oh!“ Neugierig horchte Alisa auf. „Es gibt wirklich noch Leute, die mit ihm ausgehen wollen?”
„Mehr weiß ich auch nicht“, winkte Viktor ab.
„Und das als sein Mentor, Mr. King Pin“, kommentierte sie neckend.
Viktor streckte ihr die Zunge aus. „Vermutlich besser so, so müssen wir uns nicht seine hilflosen Versuche, mit Julius zu flirten, antun …“, beschloss Alisa und reichte Viktor eine Kugel, da dieser mit der Kette fertig war.
„Was?“, erkundigte sich Marian, davon hatte Julius ihm noch nichts erzählt.
„Hast du die beiden noch nie zusammen erlebt? Max steht sowas von auf Julius, aber Jules begreift das so überhaupt nicht! Das ist so lustig!“ Sie beugte sich über die Sofalehne neben Marian. „Auch ein bisschen traurig, aber meistens lustig, wenn er irgendwelche dummen Sprüche bringt, die Jules einfach komplett anders auffasst.“ Bevor sie noch mehr erzählen konnte, schwang die Küchentür auf und Julius kam mit einem Tablett voller Tassen heraus.
„Die erste Fuhre“, präsentierte er und begann sie zu verteilen. Alkoholfreier Punsch für Alisa und Loki, eine heiße Schokolade für Viktor und Punsch für Miles. Bevor er in die Küche zurückkehrte, nahm er die Bestellung von Marian auf. „Mit Schuss?“
„Gern.“ Vielleicht würde ihm der Alkohol helfen, seine Sorgen mit Momo für einen Moment zu vergessen.
Kurz darauf kam Julius wieder, gefolgt von seiner Schwester und Jackie.
Sie trugen Tabletts mit Unmengen an Essen. Die Speisen wurden auf den niedrigen Couchtisch gestellt, während alle einen Platz auf einem der Sitzmöbel fanden.
„Jackie, das riecht echt mega lecker“, kommentierte Alisa, nachdem sie einmal tief eingeatmet hatte.
„Und alles halal“, erklärte diese stolz und reichte ihr einen Teller und Besteck, damit sie sich etwas nehmen konnte.
„Sei froh, dass wir heute nicht incharacter sind und ich dir solche Nettigkeiten durchgehen lasse“, warf Loki ein, als er sich eine große Portion Ente mit Rotkohl auf den Teller legte.
„Zu gütig.“
„Zählt das eigentlich schon als Kannibalismus, wenn du Ente isst?“, überlegte Marian laut und sah Jackie an, die für ihn merkwürdig aussah ohne ihre Gundel-Gaukeley-Maske.
„Genaugenommen ist es Cartoon-Kanon, also von daher.“ Sie zuckte nur mit den Schultern.
„Ah, deshalb heißt es Entenhausen, weil da die Enten hausen und von Enten schmausen“, teilte Julius seine Erkenntnis mit und sorgte für Gekicher.
„Ich seh schon, heute kommen die Witze auch wieder Schlag auf Schlag“, stellte Alisa fest und nippte ungerührt an ihrem Punsch.
Viktor pflichtete ihr wortlos bei.

– Fortsetzung folgt am 14.12.19 –

Text: June Is (@ypical_writer) & Anne Zandt (PoiSonPaiNter)
Illustration: Seitenkünstler Aaron

[tds_note]Ein CLUE-Beitrag zum Special #litadvent. In diesem Jahr haben wir vier Clues vorgegeben, die in den kreativen Texten auftauchen sollten: Schlag, auf dünnem Eis, Kaktus, roter Eimer. Was sich die AutorInnen ausgedacht haben, könnt ihr an den Advents-Wochenenden hier in der Bücherstadt erfahren. Dazwischen erwarten euch u.a. Buch- und Filmtipps zur Winter- und Adventszeit und einige spannende Buchverlosungen. Hier werden alle Beiträge zum #litadvent gesammelt. Wir wünschen allen eine besinnliche, ruhige Adventszeit und viel Freude beim Lesen![/tds_note]
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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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