Unter dem Druck vergangener Bücherberge erhebt sich ein Diamant

by Seitenkünstler Aaron

Im Schat­ten der groß­ar­ti­gen Hel­den Blau­bär, Rumo, Hil­de­gunst und Echo betritt ein klei­ner Buch­ling die Platt­form der Zamo­nien­ro­mane von Wal­ter Moers. Ein bemer­kens­wer­tes Buch, das bes­ser mit einem Blick auf die zuvor erschie­ne­nen Werke vor­ge­stellt wer­den sollte. – Von Sei­ten­künst­ler Aaron

Eine kleine Abschwei­fung über die Kotexte: Es scheint, als sei der lite­ra­ri­schen Echse Hil­de­gunst von Mythen­metz vor etwa 12 Jah­ren die Puste aus­ge­gan­gen. Seit der Erzäh­lung „Der Schreck­sen­meis­ter“ sind keine opu­len­ten Zamo­nien­ro­mane mehr erschie­nen. „Das Laby­rinth der Träu­men­den Bücher“ ent­puppte sich als Satz mit drei Punk­ten, des­sen Fortsetzung …

Mit den neu­es­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen wie „Prin­zes­sin Insom­nia“ scheint Moers jedoch nicht nur Luft zu holen, son­dern auch Abwechs­lung zu suchen. Aus den Koope­ra­tio­nen mit Anja Dol­lin­ger, Flo­rian Biege und Lydia Rohde sind einige inter­es­sante Pro­jekte ent­stan­den. Sie funk­tio­nie­ren aber eher als Able­ger eines Fran­chi­ses, die vor allem im Stil von der zuvor auf­ge­bau­ten Welt Zamo­niens abweichen.

Ange­sichts der vom Autor selbst sorg­fäl­tig illus­trier­ten „Stadt der Träu­men­den Bücher“ erscheint eine Comic­ad­ap­tion zwar nett, aber auch über­flüs­sig. Gehalt­vol­ler waren hin­ge­gen die Ergeb­nisse der Zusam­men­ar­beit mit Lydia Rohde. Der gra­fi­sche Stil der bei­den Ill­lus­trie­ren­den ähnelt sich ebenso wie die hypo­chon­dri­schen Cha­rak­ter­züge von Hil­de­gunst und Prin­zes­sin Insom­nia. Ins­ge­samt beweist Moers mit den Koope­ra­tio­nen eine erfri­schende Expe­ri­men­tier­freude, doch wurde nach der „Wil­den Reise durch die Nacht“ kein Buch­ling mehr so rich­tig satt.

Mit dem „Bücher­dra­chen“ erschien die­ses Jahr nun wie­der eine ori­gi­näre Moers­sche Arbeit, mit den cha­rak­te­ris­ti­schen Illus­tra­tio­nen und einer kon­sis­ten­ten Ein­bet­tung in die zamo­ni­sche Literatur.

Tief in den Kata­kom­ben im Orm­sumpf soll er hau­sen, der Bücherdrache!

Der Schrift­stel­ler Hil­de­gunst von Mythen­metz berich­tet in „Der Bücher­dra­che“ von einem Traum. Darin erzählt ihm sein gleich­na­mi­ger Buch­ling – ein tele­pa­thie­be­gab­tes und lite­ra­tur­ab­hän­gi­ges Wesen – vom sagen­um­wo­be­nen Bücher­dra­chen. In die­ser Erzäh­lung wim­melt es von Ana­gram­men, minu­tiö­sen Umschrei­bun­gen und Abschwei­fun­gen. Dies sowie die skur­ri­len Cha­rak­tere und die mär­chen­haf­ten Bege­ben­hei­ten teilt die Geschichte mit den älte­ren Zamo­nien­ro­ma­nen. In die­sem Buch ist der Anteil der eigent­li­chen, aben­teu­er­li­chen Hand­lun­gen jedoch so gering, dass wei­tere Beschrei­bun­gen bereits zu viel ver­ra­ten wür­den. Mit die­ser rela­ti­ven Kürze und auch eini­gen Moti­ven wie Ora­kel, Traum und Zeit wirkt das Werk wie eine Para­bel von Wis­sen und Macht.

So erge­ben sich allein aus der ver­schach­tel­ten Erzähl­per­spek­tive Fra­gen zur Autor­schaft einer Geschichte, wie: Wer erzählt diese Geschichte in der Geschichte in der Geschichte nun wirk­lich? Die resul­tie­rende Unsi­cher­heit über Wahr­heit und Fik­tion ist gerade des­we­gen inter­es­sant, weil die Cha­rak­tere – neben ihrer Männ­lich­keit – nur eine wei­tere Gemein­sam­keit haben: Telepathie.

Da der Ort des Gesche­hens, die Kata­kom­ben von Buch­heim, und die in ihnen leben­den Buch­linge nicht genau erklärt wer­den, wird an eini­gen Stel­len Wis­sen aus der „Stadt der Träu­men­den Bücher“ (nicht jedoch aus des­sen Nach­fol­ger) vor­aus­ge­setzt. Des­we­gen rate ich drin­gend, diese Lek­türe falls mög­lich vor­an­zu­stel­len, denn so las­sen sich bei­spiels­weise alle Ebe­nen der Rah­men- und Bin­nen­er­zäh­lun­gen bes­ser verstehen.

Zur zzziiii­ischen­den Hörbuchfassung

In der Hör­buch­fas­sung ver­leiht Andreas Fröh­lich den Figu­ren seine sonore Stimme. Diese passt her­vor­ra­gend, um die Stim­mun­gen zu trans­por­tie­ren und die Cha­rak­tere dar­zu­stel­len. Eine Bebil­de­rung ist dadurch nicht nötig, aber einige Illus­tra­tio­nen sind im Bei­heft abge­bil­det. Sie wer­den auf diese Weise jedoch nicht wie im Buch an den dafür vor­ge­se­he­nen Stel­len prä­sen­tiert. Fröh­lichs Stimm­um­fang steht Moers‘ leben­di­gem Schreib­stil mit den mit­un­ter unge­wöhn­li­chen Lau­ten in nichts nach. Den­noch wäre es sinn­voll gewe­sen, zumin­dest für Hil­de­gunst und Hil­de­gunst II unter­schied­li­che Leser ein­zu­set­zen, da der Wech­sel zwi­schen den bei­den Sprech­stim­men auch stets einen Wech­sel zwi­schen den Erzähl­ebe­nen bedeu­tet. Die­ses Hin und Her lässt sich in den schrift­li­chen Dia­lo­gen im Buch leicht nach­voll­zie­hen, was in der gespro­che­nen Hör­fas­sung mit­un­ter schwer fällt.

„Der Bücher­dra­che“ ist ein wun­der­ba­rer, wenn auch kur­zer Aus­flug in die Welt der „Stadt der Träu­men­den Bücher“. Auch wenn diese Geschichte wie eine umrahmte und gestreckte Para­bel wirkt, bie­tet sie allen Charme der frü­he­ren Zamo­nien­ro­mane und ins­be­son­dere der Geschichte über die Kata­kom­ben von Buchhaim.

Der Bücher­dra­che. Wal­ter Moers. Spre­cher: Andreas Fröh­lich. der Hör­ver­lag. 2019.

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