(Un)holy trinity

von | 09.07.2014 | Kreativlabor

„[…] die letzte Uni-Woche, ergo eine Prüfung nach der anderen. Beim Gedanken daran verließ mich der Mut. Wie sollte ich es jemals schaffen?“

(Un)holy trinity

Wenn mich jemand fragt, ob ich religiös sei, antworte ich spontan immer mit „Nein“. Auch wenn ich dann im zweiten Moment eine Definition von „religiös“ verlange. Es ist ja schließlich alles relativ.
Ich selbst definiere mich nicht als religiös – Definition hin oder her. Ich glaube zwar an Gott und einige andere übernatürliche Phänomene und bin nebenher mehr oder weniger überzeugte Buddhistin, aber all dies ist für mich viel mehr eine Philosophie, eine Lebensweise, als eine Religion. Ich finde es auch nicht so wichtig, zwischen den beiden zu unterscheiden.
Wie auch immer; es gibt so Momente oder Phasen in meinem Leben, in denen ich das Gefühl habe, diesen „Wesen“, dieser „Macht“ sehr nahe zu sein. Dass dies meist in „schweren“ Zeiten passiert, wundert mich schon lange nicht mehr. Im Gegenteil, ich bin sogar sehr dankbar dafür. Es ist so, als ob jemand merken würde, dass ich in der Klemme stecke, dass ich ein „Zeichen“ brauche, einen Silberstreifen am Horizont, an dem ich mich festklammern kann.
So erging es mir auch in der folgenden Geschichte:

Die Prüfungszeit ist immer eine Herausforderung für mich. Nicht etwa, weil ich nicht effizient lernen kann oder weil ich Prüfungsangst habe. Mein Problem ist noch viel egoistischerer Natur: Ich bin – und das behaupte nicht nur ich – ein sehr ordentlicher und korrekter Mensch. Daraus folgt, dass ich keine halben Sachen mache, immer versuche mein Bestes zu geben und dabei auch noch sehr streng mit mir selbst bin. Das wäre ja vielleicht noch auszuhalten. Aber dazu kommt, dass es bei mir eine sehr enge Verbindung zwischen Geist, Seele und Körper gibt. Das heißt, beschäftigt mich etwas gedanklich zu sehr, spüre ich das auch körperlich. Ergo: Wenn ich meine Übermotivation und Übergenauigkeit in der Prüfungszeit nicht in den Griff kriege, habe ich Magenschmerzen, ich schlafe zu wenig und ich bin oft körperlich so angespannt, dass mir schlecht wird.
Nun habe ich es dieses Semester zum ersten Mal geschafft, meinen Drachen zumindest halbwegs zu zähmen und ihn nur sehr selten aufzuwecken. Es war unheimlich anstrengend, so gegen mich selbst zu arbeiten und ein dauerhaftes Gefühl von Entspanntheit und Gelassenheit aufrecht zu erhalten. Ich durfte meine Gedanken keine Sekunde lang aus dem Kopf verlieren und musste ständig die Kontrolle ausüben. Eine meiner schwierigeren Übungen.
Es gab Momente, da war ich kurz davor, alles hinzuschmeißen. Ich überlegte, ob es nicht etwa negative Konsequenzen haben könnte, wenn ich so gegen mich arbeitete und bestimmte Gedanken und Gefühle einfach unterdrückte. Ich zweifelte stark daran, ob das wirklich die richtige Methode war.

Eines Montagmorgens saß ich – wie jede Woche – im Zug. Da er wieder einmal überfüllt war, begab ich mich in den kleinen Bereich, der sich zwischen dem Wagon-Ende und dem Sitzplatz-Bereich befindet, von dem er durch eine Tür abgegrenzt ist. Außer mir hielten sich dort noch drei Männer auf, die Sportkleidung trugen und mit Radhelmen ausgerüstet waren.
Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand des Zuges. Es machte mir nichts aus, die vierzig Minuten bis zum nächsten Bahnhof, wo ich umsteigen musste, zu stehen. Vielmehr graute es mich vor der kommenden Woche: die letzte Uni-Woche, ergo eine Prüfung nach der anderen. Beim Gedanken daran verließ mich der Mut. Wie sollte ich es jemals schaffen? Wie konnte ich meinen Drachen im Zaum halten und mich gleichzeitig auf die Prüfungen vorbereiten? Es schien mir ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich bemühte mich, tief durchzuatmen und mir selbst Mut zuzusprechen. Da spürte ich einen Blick auf mir. Ich blickte hoch, aber keiner der drei Männer sah mich an. Wie ich sie so betrachtete, kam mir vor, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Irgendetwas an ihnen kam mir vertraut vor. Doch so sehr ich auch nachdachte, ich kam einfach nicht drauf, was es war.

Da klingelte ein Handy. Einer der drei Männer zog es aus dem Rucksack. Erst nach einigen Takten erkannte ich den Klingelton: „Unholy Trinity“ von „The Who“. Und da wusste ich plötzlich, woran mich die drei erinnerten. Die Heilige Dreifaltigkeit.
„Der Heilige Geist“ war am einfachsten zu erkennen. Er war derjenige, der ruhig und gelassen am Fenster stand und so gut wie nie ein Wort sagte. Außerdem war auf seiner Schildkappe ein Vogel abgebildet, der zwar mehr an eine Möwe als an eine Taube erinnerte, aber das schien mir irrelevant. „Jesus“ war der einzige der drei, der ein „menschliches Makel“ hatte; verständlich, da er ja einst ein Mensch geworden war: Er trug eine Sehbrille. Er lächelte vor sich hin und war mir auf Anhieb sehr sympathisch.
„Gottvater“ war der älteste der drei. Auf seinem T-Shirt war ein Dreieck abgebildet. Er wirkte sehr autoritär und auch ein wenig einschüchternd auf mich; an seinem ganzen Auftreten war irgendetwas Chef-Typisches. Im Gegensatz zu „Jesus“ wirkte er recht ernst, so als ob er unheimlich viel zu denken und zu tun hätte.
Ganz egal, wie viel Wahrheit in dieser Erkenntnis steckte oder auch nicht, ich fühlte mich auf einmal unheimlich erleichtert. Es war, als ob mir jemand wieder Mut eingeflößt hätte. Als sich „der Heilige Geist“ unter meinem Blick auch noch zu mir umdrehte und mir zuzwinkerte, wusste ich, dass ich es schaffen würde. Egal wie. Ich war nicht allein.

Silvia

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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