Ungeschreiblich: Über nicht vollkommen schlechte Literatur – Teil 1

by Zeilenschwimmerin Ronja

In mei­nem ers­ten Arti­kel zu schlech­ter Lite­ra­tur habe ich mich an einem ein­zi­gen Buch abge­ar­bei­tet, das seit­dem in sei­ner Schlech­tig­keit unge­schla­gen ist. Nun möchte ich eine Zusam­men­fas­sung dar­über geben, wie sich meine „Stu­die der schlech­ten Lite­ra­tur“ wei­ter ent­wi­ckelt hat. – Von Zei­len­schwim­me­rin Ronja

Seit­dem ich „Ein Licht in der Dun­kel­heit“ gele­sen habe, sind über ein­ein­halb Jahre ver­gan­gen und die­sem Roman sind seit­her einige andere gefolgt, die auf die eine oder andere Weise schlecht genug waren, aber kei­ner davon reicht an die Schlech­tig­keit des ers­ten heran. Wenn ihr jetzt neu­gie­rig seid, fin­det ihr den ers­ten Bericht hier. Außer­dem könnt ihr euch auch einen klei­nen Exkurs zu einem schlech­ten Film antun.

Die­ser Bericht behan­delt die Lek­türe fol­gen­der Werke in chro­no­lo­gi­scher Rei­hen­folge: „H2O – Das Ster­ben beginnt“ von Ivo Pala, „Ster­nen­pfad“ von Ann-Kath­rin Kar­schnick und in Teil 2: „Der Rote“ von Bern­hard Kegel, „Fabula“ von Chris­toph Marzi sowie drei Bücher von Scar­lett Tho­mas. Ver­tre­ten sind damit die Gen­res Fan­tasy, Thril­ler bzw. Wis­sen­schafts­thril­ler (wenn man es so nen­nen möchte, dazu mehr in Teil 2) und im Falle von Scar­lett Tho­mas‘ Wer­ken etwas, das viele Erwar­tun­gen weckt und keine bedient. Falls euch der Name Chris­toph Marzi etwas sagt, seid ihr viel­leicht über­rascht, ihn hier zu lesen. Dazu kann ich nur sagen: Wir – das heißt meine Forschungskollegin/Mitbewohnerin, Bücher­städ­te­rin Kath­rin, und ich – waren auch überrascht.

Juli 2018/Drei Monate nach Rose*

Auf der Suche nach poten­ti­el­len Kan­di­da­ten in unse­ren Bücher­re­ga­len stie­ßen meine For­schungs­kol­le­gin und ich auf den Thril­ler „H2O – Das Ster­ben beginnt“ von Ivo Pala. Nun muss man sagen: Der Roman ist nicht schlecht im eigent­li­chen Sinne, er bie­tet durch­aus eini­ges, was man bei einem der­ar­ti­gen Thril­ler erwar­tet. Aller­dings ist er auch nicht direkt das, was ich als gut bezeich­nen würde. Inhalt­lich sieht sich hier Deutsch­land durch eine mys­te­riöse Grup­pie­rung bedroht, die im Besitz von radio­ak­ti­vem Mate­rial ist und damit Stau­seen und so das Trink­was­ser vergiftet.

Auf jeden Fall kann man die­sem Thril­ler nicht vor­wer­fen, dass nicht genü­gend Tote vor­han­den wären. Die Zäh­lung umfasst dabei ein­mal die Tode, die direkt beschrie­ben wer­den (162), sowie jene, die nur am Rande erwähnt wer­den (über 2000 plus Bonus-Aus­druck „zusätz­li­che Men­schen­le­ben“). Des Wei­te­ren haben sämt­li­che Figu­ren (unab­hän­gig davon, ob es zu ihrem eher schwach aus­ge­präg­ten Cha­rak­ter passt) eine beson­dere Vor­liebe für das Wort „Fuck“ (21). Lei­der haben wir nicht gezählt, wie oft unnö­tig prä­zise Infor­ma­tio­nen zu Waf­fen, Autos und Tech­nik gege­ben wur­den (voll­stän­di­ger Name der Waffe, Her­stel­ler, Art der Muni­tion, Mut­ter, Vater, Cou­sin drit­ten Gra­des – ihr ver­steht, was ich aus­drü­cken möchte?). Es hätte auch ein­fach gereicht zu schrei­ben: „Er trug eine Pis­tole.“ oder „Er blickte in den Lauf eines Gewehrs.“ Das reicht völ­lig, um ein Bild im Kopf ent­ste­hen zu lassen.

Über „Augen­schminke“ und Mobbing

Nicht zu emp­feh­len ist die­ser Thril­ler für alle, die auf ein aus­ge­gli­che­nes Rol­len­bild hof­fen, da es 1) wenige wich­tige weib­li­che Figu­ren gibt und 2) die weni­gen vor­han­de­nen ent­we­der kalte, berech­nende Kar­rie­ris­tin­nen (die ihren Kör­per in „ero­ti­schen“ Sze­nen für ihre Zwe­cke nut­zen) oder Opfer von sexu­el­ler bezie­hungs­weile psy­chi­scher Gewalt sind. Diese psy­chi­sche Gewalt an der ver­mut­lich wich­tigs­ten weib­li­chen Figur geht nicht zuletzt von der Haupt­fi­gur (Julian Berg) aus. Er nennt „Klöß­chen“ (ein­falls­reich so getauft, weil sie über­ge­wich­tig ist) nie bei ihrem rich­ti­gen Namen und macht sich auch sonst mit sei­nen Kol­le­gen zusam­men oft lus­tig über sie, beson­ders wegen ihrer auf­fäl­lig geschmink­ten Erschei­nung (wel­che ein­deu­tig offen­bart, dass der Autor von Kos­me­tika keine Ahnung hat). Statt sich kri­tisch mit Mob­bing aus­ein­an­der­zu­set­zen, wird zuletzt (Spoi­ler!) das Opfer zur Täte­rin dekla­riert und kei­ner hat etwas dar­aus gelernt. Das fühlt sich dann doch – um es mit den Wor­ten des Autors zu sagen – wie der „Schlag einer rie­si­gen Nil­pferd­peit­sche“ (S. 154) an.

Dar­über hin­aus zeich­net sich „H2O – Das Ster­ben beginnt“ durch einen (natür­lich voll­kom­men gerecht­fer­tig­ten) ein­ma­li­gen Per­spek­tiv­wech­sel, Stil­blü­ten wie „Psych­ia­trie für psy­chisch Kranke“ (S. 132) oder „Das Gesicht hatte er in Fal­ten gelegt.“ (S. 222)** und die Behaup­tung aus, sehr authen­tisch und kei­nes­wegs wie ein unrea­lis­ti­scher Hol­ly­wood­strei­fen zu sein.

„H2O – Das Ster­ben beginnt“ ist kei­nes­wegs das schlech­teste Buch, das wir in die­ser Stu­die behan­del­ten, kommt dem nicht ein­mal nahe. Aber es ist sti­lis­tisch und inhalt­lich ledig­lich unte­rer Durch­schnitt. Fol­gende Weis­heit möchte ich euch dabei aller­dings nicht vor­ent­hal­ten: „In den eige­nen Helm zu kot­zen, war jetzt keine Option.“ (S. 128)

Sep­tem­ber 2018/Fünf Monate nach Rose

Die liebe Buch­stap­le­rin Maike war so ange­tan von unse­rer Stu­die der schlech­ten Lite­ra­tur, dass sie uns das nächste For­schungs­ob­jekt zur Ver­fü­gung stellte: „Ster­nen­pfad“ von Ann-Kath­rin Kar­schnick. Sie hat selbst ein­mal eine Rezen­sion dar­über ver­fasst. Klickt hier, wenn ihr neu­gie­rig auf ihre Mei­nung zum Buch seid.

Von allen ande­ren Roma­nen kommt die­ser „Ein Licht in der Dun­kel­heit“ am nächs­ten. Die gewich­tigs­ten Unter­schiede sind dabei das Vor­han­den­sein eines nach­voll­zieh­ba­ren Hand­lungs­strangs und weni­ger Tipp- und Satz­feh­ler. Nichts­des­to­trotz gibt es auch hier Zwei­fel auf inhalt­li­cher Ebene. Ins­be­son­dere gilt dies für die grund­le­gende Not­wen­dig­keit, die Haupt­per­son – Ste­pha­nie, zufäl­lig eine Fan­ta­sy­au­to­rin – über­haupt in das Pro­blem der Elfen ein­zu­be­zie­hen (sie müs­sen ein Rät­sel lösen, das quer über Ber­lin ver­teilt ist, um den bösen Dun­kel­elf daran zu hin­dern, die Macht an sich zu rei­ßen). Im Ernst: Wozu braucht man eine mensch­li­che „Elfen­ex­per­tin“, um Elfen­rät­sel zu lösen, wenn man auch eine Elfe dabei hat? Wie der kli­schee­haft ver­wahr­loste Mathe­ma­tik­stu­dent Tobias ins Bild passt, ist mir auch immer noch nicht ganz klar. Davon abge­se­hen folgt die Hand­lung aber wenigs­tens ihrer eige­nen Logik und kommt sogar ohne Lie­bes­drei­eck aus.

Bevor ich gleich zum Haupt­kri­tik­punkt (dem Sprach­stil) komme, hier noch diverse Anmer­kun­gen: 1) Wie funk­tio­niert Elfen­fort­pflan­zung, wenn es auf Seite 59 heißt: „er gebar“? 2) Die stän­di­gen Ver­weise auf Ste­pha­nies kon­troll­süch­ti­gen Ex-Freund, der für die Geschichte über­haupt keine Rolle spielt, bil­den eine irrele­vante Pseu­do­hin­ter­grund­ge­schichte der Figur. 3) Es gibt 33 Fan­dom-Ver­weise (bspw. auf „Doc­tor Who“), die den ver­mut­lich gewünsch­ten komisch-inter­tex­tu­el­len Effekt lei­der ver­feh­len und statt­des­sen ledig­lich ner­vig sind. 4) Es gibt 29 Text­stel­len, an denen durch Ste­pha­nies Autorin­nen­da­sein auf recht plumpe Art eine Meta­ebene auf­ge­ru­fen wird, in der die Figu­ren ihre der­zei­tige Situa­tion mit Roma­nen oder Fil­men vergleichen.

Ste­pha­nie stoppte, spie, schluckte, starrte, schluchzte …

… stemmte, stol­perte, stöhnte, stockte … So könnte es noch eine ganze Weile wei­ter­ge­hen. Unter all die­sen Alli­te­ra­tio­nen, die mir ver­mut­lich nicht auf­ge­fal­len wären, hätte ich das Buch nicht laut vor­ge­le­sen, gefällt mir wohl fol­gende am bes­ten: „Ste­pha­nie beschlich ste­tig stei­gend der Wunsch …“ Ich glaube weder, dass diese gan­zen Kom­bi­na­tio­nen Absicht waren (es gibt ein­fach sehr viele Ver­ben mit st, sp und sch am Anfang), noch ist das ein Kri­tik­punkt. Eher im Gegen­teil, denn es zeigt, dass die Autorin durch­aus ein brei­te­res Voka­bu­lar nutzt.

Gleich­zei­tig macht aber gerade diese Erkennt­nis andere sprach­li­che Aus­drü­cke umso schmerz­haf­ter: „den Kopf seit­lich legen“ – Wie soll ich mir das vor­stel­len? –, „ver­schlin­gende Rosen­ran­ken“ – da nie­mand geges­sen wurde, sind ver­mut­lich ver­schlun­gene Ran­ken gemeint –, „[…] und starrte unre­gel­mä­ßig an der Gar­dine vor­bei.“ – hier bin ich ein­fach nur rat­los –, „die vier Sei­ten des Qua­ders“ – zuge­ge­ben, das ist eher ein mathe­ma­ti­scher Feh­ler, aber … du meine Güte! –, „römisch spre­chen“ – das Römi­sche Reich oder römi­sche Zah­len, aber die latei­ni­sche Spra­che! –, „starrte besorg­nis­er­re­gend in den Him­mel“ – ich würde wirk­lich gern wis­sen, wie das aussieht.

Ähn­lich schwer zu ertra­gen waren die „inno­va­ti­ven“ Meta­phern. Man­che Aus­drü­cke, die wir nut­zen, sind mitt­ler­weile wirk­lich zu Flos­keln ver­kom­men und man möchte sie in Roma­nen eigent­lich nicht mehr lesen. In Schreib­se­mi­na­ren hört man stän­dig, man solle dar­auf ach­ten, nicht in sol­che Stan­dard­phra­sen zu ver­fal­len. Das ist alles schön und gut, aber manch­mal ist eine schlechte neue Meta­pher schlim­mer als eine abge­nutzte. So passt bei­spiels­weise fol­gende Meta­pher über­haupt nicht in den Kon­text der Geschichte: „Die Worte surf­ten auf einer Welle der Erleich­te­rung durch sie hin­durch.“ (S. 105) Und diese hier ist – ich kann es nicht anders sagen – ein­fach nur lächer­lich: „Seine unaus­ge­spro­chene Ant­wort stand wie ein brei­ter Blu­men­strauß zwi­schen ihnen und ver­sperrte die Sicht auf das Ver­ständ­nis des ande­ren.“ (S. 239) Hier wäre weni­ger ein­deu­tig mehr gewesen.

„Ster­nen­pfad“ ist ein ein­fach gestrick­ter Urban-Fan­tasy-Roman, der in sei­ner erzwun­gen Komik und mit auf­dring­li­chen Fan­dom-Ver­wei­sen sowie der plum­pen Meta­ebene weder Witz noch Charme hat und zusätz­lich sprach­lich oft schwer ernst zu neh­men ist. Dabei hätte sicher nicht nur Ste­pha­nie gern fol­gen­den Satz über sich gehört: „Leg dich nie mit einer Her­rin der Worte an, sie ver­wen­det sie nur gegen dich.“ (S. 236)

Fort­set­zung folgt …

  • H2O – Das Ster­ben beginnt. Ivo Pala. Blan­va­let. 2014.
  • Ster­nen­pfad. Ann-Kath­rin Kar­schnick. Ulrich Bur­ger Ver­lag. 2015.

* Eine neue Zeit­rech­nung mei­ner Lese­kar­riere. Benannt nach der Autorin von „Ein Licht in der Dun­kel­heit“. Seit der Lek­türe die­ses Romans hat sich meine Wahr­neh­mung vie­ler Werke verändert.

** Ein Mops kann das Gesicht in Fal­ten legen. Es besteht ja bei die­ser Hun­de­art gera­dezu nur aus Fal­ten. Bei Men­schen ist das übli­cher­weise nicht der Fall. Sie run­zeln eher die Stirn, rümp­fen die Nase, schür­zen die Lip­pen, pres­sen die Lip­pen fest zusam­men, schmun­zeln, lachen und ver­zer­ren die Gesichts­mus­ku­la­tur noch auf diverse andere Arten. Aber das ganze Gesicht in Fal­ten legen … das hat wohl noch nie­mand geschafft.

Illus­tra­tion: Zei­len­schwim­me­rin Ronja

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