Ungeschreiblich: Über nicht vollkommen schlechte Literatur – Teil 1

von | 18.03.2020 | Belletristik, Buchpranger

In meinem ersten Artikel zu schlechter Literatur habe ich mich an einem einzigen Buch abgearbeitet, das seitdem in seiner Schlechtigkeit ungeschlagen ist. Nun möchte ich eine Zusammenfassung darüber geben, wie sich meine „Studie der schlechten Literatur“ weiter entwickelt hat. – Von Zeilenschwimmerin Ronja

Seitdem ich „Ein Licht in der Dunkelheit“ gelesen habe, sind über eineinhalb Jahre vergangen und diesem Roman sind seither einige andere gefolgt, die auf die eine oder andere Weise schlecht genug waren, aber keiner davon reicht an die Schlechtigkeit des ersten heran. Wenn ihr jetzt neugierig seid, findet ihr den ersten Bericht hier. Außerdem könnt ihr euch auch einen kleinen Exkurs zu einem schlechten Film antun.

Dieser Bericht behandelt die Lektüre folgender Werke in chronologischer Reihenfolge: „H2O – Das Sterben beginnt“ von Ivo Pala, „Sternenpfad“ von Ann-Kathrin Karschnick und in Teil 2: „Der Rote“ von Bernhard Kegel, „Fabula“ von Christoph Marzi sowie drei Bücher von Scarlett Thomas. Vertreten sind damit die Genres Fantasy, Thriller bzw. Wissenschaftsthriller (wenn man es so nennen möchte, dazu mehr in Teil 2) und im Falle von Scarlett Thomas‘ Werken etwas, das viele Erwartungen weckt und keine bedient. Falls euch der Name Christoph Marzi etwas sagt, seid ihr vielleicht überrascht, ihn hier zu lesen. Dazu kann ich nur sagen: Wir – das heißt meine Forschungskollegin/Mitbewohnerin, Bücherstädterin Kathrin, und ich – waren auch überrascht.

Juli 2018/Drei Monate nach Rose*

Auf der Suche nach potentiellen Kandidaten in unseren Bücherregalen stießen meine Forschungskollegin und ich auf den Thriller „H2O – Das Sterben beginnt“ von Ivo Pala. Nun muss man sagen: Der Roman ist nicht schlecht im eigentlichen Sinne, er bietet durchaus einiges, was man bei einem derartigen Thriller erwartet. Allerdings ist er auch nicht direkt das, was ich als gut bezeichnen würde. Inhaltlich sieht sich hier Deutschland durch eine mysteriöse Gruppierung bedroht, die im Besitz von radioaktivem Material ist und damit Stauseen und so das Trinkwasser vergiftet.

Auf jeden Fall kann man diesem Thriller nicht vorwerfen, dass nicht genügend Tote vorhanden wären. Die Zählung umfasst dabei einmal die Tode, die direkt beschrieben werden (162), sowie jene, die nur am Rande erwähnt werden (über 2000 plus Bonus-Ausdruck „zusätzliche Menschenleben“). Des Weiteren haben sämtliche Figuren (unabhängig davon, ob es zu ihrem eher schwach ausgeprägten Charakter passt) eine besondere Vorliebe für das Wort „Fuck“ (21). Leider haben wir nicht gezählt, wie oft unnötig präzise Informationen zu Waffen, Autos und Technik gegeben wurden (vollständiger Name der Waffe, Hersteller, Art der Munition, Mutter, Vater, Cousin dritten Grades – ihr versteht, was ich ausdrücken möchte?). Es hätte auch einfach gereicht zu schreiben: „Er trug eine Pistole.“ oder „Er blickte in den Lauf eines Gewehrs.“ Das reicht völlig, um ein Bild im Kopf entstehen zu lassen.

Über „Augenschminke“ und Mobbing

Nicht zu empfehlen ist dieser Thriller für alle, die auf ein ausgeglichenes Rollenbild hoffen, da es 1) wenige wichtige weibliche Figuren gibt und 2) die wenigen vorhandenen entweder kalte, berechnende Karrieristinnen (die ihren Körper in „erotischen“ Szenen für ihre Zwecke nutzen) oder Opfer von sexueller beziehungsweile psychischer Gewalt sind. Diese psychische Gewalt an der vermutlich wichtigsten weiblichen Figur geht nicht zuletzt von der Hauptfigur (Julian Berg) aus. Er nennt „Klößchen“ (einfallsreich so getauft, weil sie übergewichtig ist) nie bei ihrem richtigen Namen und macht sich auch sonst mit seinen Kollegen zusammen oft lustig über sie, besonders wegen ihrer auffällig geschminkten Erscheinung (welche eindeutig offenbart, dass der Autor von Kosmetika keine Ahnung hat). Statt sich kritisch mit Mobbing auseinanderzusetzen, wird zuletzt (Spoiler!) das Opfer zur Täterin deklariert und keiner hat etwas daraus gelernt. Das fühlt sich dann doch – um es mit den Worten des Autors zu sagen – wie der „Schlag einer riesigen Nilpferdpeitsche“ (S. 154) an.

Darüber hinaus zeichnet sich „H2O – Das Sterben beginnt“ durch einen (natürlich vollkommen gerechtfertigten) einmaligen Perspektivwechsel, Stilblüten wie „Psychiatrie für psychisch Kranke“ (S. 132) oder „Das Gesicht hatte er in Falten gelegt.“ (S. 222)** und die Behauptung aus, sehr authentisch und keineswegs wie ein unrealistischer Hollywoodstreifen zu sein.

„H2O – Das Sterben beginnt“ ist keineswegs das schlechteste Buch, das wir in dieser Studie behandelten, kommt dem nicht einmal nahe. Aber es ist stilistisch und inhaltlich lediglich unterer Durchschnitt. Folgende Weisheit möchte ich euch dabei allerdings nicht vorenthalten: „In den eigenen Helm zu kotzen, war jetzt keine Option.“ (S. 128)

September 2018/Fünf Monate nach Rose

Die liebe Buchstaplerin Maike war so angetan von unserer Studie der schlechten Literatur, dass sie uns das nächste Forschungsobjekt zur Verfügung stellte: „Sternenpfad“ von Ann-Kathrin Karschnick. Sie hat selbst einmal eine Rezension darüber verfasst. Klickt hier, wenn ihr neugierig auf ihre Meinung zum Buch seid.

Von allen anderen Romanen kommt dieser „Ein Licht in der Dunkelheit“ am nächsten. Die gewichtigsten Unterschiede sind dabei das Vorhandensein eines nachvollziehbaren Handlungsstrangs und weniger Tipp- und Satzfehler. Nichtsdestotrotz gibt es auch hier Zweifel auf inhaltlicher Ebene. Insbesondere gilt dies für die grundlegende Notwendigkeit, die Hauptperson – Stephanie, zufällig eine Fantasyautorin – überhaupt in das Problem der Elfen einzubeziehen (sie müssen ein Rätsel lösen, das quer über Berlin verteilt ist, um den bösen Dunkelelf daran zu hindern, die Macht an sich zu reißen). Im Ernst: Wozu braucht man eine menschliche „Elfenexpertin“, um Elfenrätsel zu lösen, wenn man auch eine Elfe dabei hat? Wie der klischeehaft verwahrloste Mathematikstudent Tobias ins Bild passt, ist mir auch immer noch nicht ganz klar. Davon abgesehen folgt die Handlung aber wenigstens ihrer eigenen Logik und kommt sogar ohne Liebesdreieck aus.

Bevor ich gleich zum Hauptkritikpunkt (dem Sprachstil) komme, hier noch diverse Anmerkungen: 1) Wie funktioniert Elfenfortpflanzung, wenn es auf Seite 59 heißt: „er gebar“? 2) Die ständigen Verweise auf Stephanies kontrollsüchtigen Ex-Freund, der für die Geschichte überhaupt keine Rolle spielt, bilden eine irrelevante Pseudohintergrundgeschichte der Figur. 3) Es gibt 33 Fandom-Verweise (bspw. auf „Doctor Who“), die den vermutlich gewünschten komisch-intertextuellen Effekt leider verfehlen und stattdessen lediglich nervig sind. 4) Es gibt 29 Textstellen, an denen durch Stephanies Autorinnendasein auf recht plumpe Art eine Metaebene aufgerufen wird, in der die Figuren ihre derzeitige Situation mit Romanen oder Filmen vergleichen.

Stephanie stoppte, spie, schluckte, starrte, schluchzte …

… stemmte, stolperte, stöhnte, stockte … So könnte es noch eine ganze Weile weitergehen. Unter all diesen Alliterationen, die mir vermutlich nicht aufgefallen wären, hätte ich das Buch nicht laut vorgelesen, gefällt mir wohl folgende am besten: „Stephanie beschlich stetig steigend der Wunsch …“ Ich glaube weder, dass diese ganzen Kombinationen Absicht waren (es gibt einfach sehr viele Verben mit st, sp und sch am Anfang), noch ist das ein Kritikpunkt. Eher im Gegenteil, denn es zeigt, dass die Autorin durchaus ein breiteres Vokabular nutzt.

Gleichzeitig macht aber gerade diese Erkenntnis andere sprachliche Ausdrücke umso schmerzhafter: „den Kopf seitlich legen“ – Wie soll ich mir das vorstellen? –, „verschlingende Rosenranken“ – da niemand gegessen wurde, sind vermutlich verschlungene Ranken gemeint –, „[…] und starrte unregelmäßig an der Gardine vorbei.“ – hier bin ich einfach nur ratlos –, „die vier Seiten des Quaders“ – zugegeben, das ist eher ein mathematischer Fehler, aber … du meine Güte! –, „römisch sprechen“ – das Römische Reich oder römische Zahlen, aber die lateinische Sprache! –, „starrte besorgniserregend in den Himmel“ – ich würde wirklich gern wissen, wie das aussieht.

Ähnlich schwer zu ertragen waren die „innovativen“ Metaphern. Manche Ausdrücke, die wir nutzen, sind mittlerweile wirklich zu Floskeln verkommen und man möchte sie in Romanen eigentlich nicht mehr lesen. In Schreibseminaren hört man ständig, man solle darauf achten, nicht in solche Standardphrasen zu verfallen. Das ist alles schön und gut, aber manchmal ist eine schlechte neue Metapher schlimmer als eine abgenutzte. So passt beispielsweise folgende Metapher überhaupt nicht in den Kontext der Geschichte: „Die Worte surften auf einer Welle der Erleichterung durch sie hindurch.“ (S. 105) Und diese hier ist – ich kann es nicht anders sagen – einfach nur lächerlich: „Seine unausgesprochene Antwort stand wie ein breiter Blumenstrauß zwischen ihnen und versperrte die Sicht auf das Verständnis des anderen.“ (S. 239) Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen.

„Sternenpfad“ ist ein einfach gestrickter Urban-Fantasy-Roman, der in seiner erzwungen Komik und mit aufdringlichen Fandom-Verweisen sowie der plumpen Metaebene weder Witz noch Charme hat und zusätzlich sprachlich oft schwer ernst zu nehmen ist. Dabei hätte sicher nicht nur Stephanie gern folgenden Satz über sich gehört: „Leg dich nie mit einer Herrin der Worte an, sie verwendet sie nur gegen dich.“ (S. 236)

Fortsetzung folgt …

  • H2O – Das Sterben beginnt. Ivo Pala. Blanvalet. 2014.
  • Sternenpfad. Ann-Kathrin Karschnick. Ulrich Burger Verlag. 2015.

* Eine neue Zeitrechnung meiner Lesekarriere. Benannt nach der Autorin von „Ein Licht in der Dunkelheit“. Seit der Lektüre dieses Romans hat sich meine Wahrnehmung vieler Werke verändert.

** Ein Mops kann das Gesicht in Falten legen. Es besteht ja bei dieser Hundeart geradezu nur aus Falten. Bei Menschen ist das üblicherweise nicht der Fall. Sie runzeln eher die Stirn, rümpfen die Nase, schürzen die Lippen, pressen die Lippen fest zusammen, schmunzeln, lachen und verzerren die Gesichtsmuskulatur noch auf diverse andere Arten. Aber das ganze Gesicht in Falten legen … das hat wohl noch niemand geschafft.

Illustration: Zeilenschwimmerin Ronja

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