Träumen Replikanten vom Menschlichsein?

von | 07.11.2017 | Filme, Filmtheater

1982 erschuf Regisseur Ridley Scott das cineastische Meisterwerk um den Blade Runner Rick Deckard. 35 Jahre später setzt Regisseur Denis Vulleneuve die dystopische Zukunftsvision mit „Blade Runner 2049“ fort. Wieder wird die Frage gestellt, was es bedeutet menschlich zu sein. Geschichtenerzähler Adrian und Geschichtezeichnerin Celina sind der Frage auf den Grund gegangen.

Das Jahr 2049: Der Film setzt 30 Jahre nach einer Replikantenrebellion – welche das Verbot der Nexus 8-Modellreihe zur Folge hatte – und einem kompletten Blackout, der jegliche Daten aus den vorangegangen Jahren ausgelöscht hat, ein. Nun hat sich die Gesellschaft wieder einigermaßen erholt. Geschäftsmann Niander Wallace – gespielt von Jared Leto („Requiem for a Dream“, „Dallas Buyers Club“) – hat die bankrottgegangene Firma des Unternehmers Doktor Eldon Tyrell übernommen und erschafft dort neue, verbesserte Replikanten.

Noch immer dringt kein Licht durch den Smog, der über der Metropole Los Angeles hängt. Ein Dauerregen überschwemmt die Stadt, die nun sowohl von Menschen als auch von Wallace‘ Replikanten bewohnt wird. Auch der junge Blade Runner Officer K – selbst ein Replikant und gespielt von Ryan Gosling („Drive“, „La La Land“) – wohnt und arbeitet in dieser komplett überbevölkerten Stadt. Seine Aufgabe ist es, veraltete Replikantenmodelle „in den Ruhestand zu versetzen“, vorrangig die vor Jahren rebellierenden Nexus 8-Modelle.

Während eines Einsatzes auf einer Proteinfarm, wo er auf den ehemaligen Feldarzt und Nexus 8-Replikanten Sapper Morton – gespielt von Wrestler Dave Bautista, ebenfalls bekannt als Drax aus „Guardians of the Galaxy“ – trifft, entdeckt K unter einem toten Baum eine alte, vergrabene Militärkiste. In dieser befinden sich die Knochen einer Frau, welche scheinbar nach der Geburt eines Kindes verstarb. Was vorerst recht banal klingt, entwickelt sich im Folgenden zu einem konfusen Verwirrspiel, denn die Frau war eine Replikantin. Diese künstlichen Menschen gelten eigentlich als unfruchtbar. K erhält den Auftrag, das so entstandene Kind zu finden, doch je tiefer er gräbt, desto mehr hinterfragt er seine eigene Entstehung und seine Existenz als Replikant. Er fragt sich, was einen Menschen zum Menschen macht und ob auch Maschinen menschlich sein können.

Wenn man einen Stein ins Wasser wirft

Ursprünglich basiert die Geschichte um die Blade Runner auf dem Roman „Träumen Androiden von elektronischen Schafen?“ von Philip K. Dick aus dem Jahre 1968. Später gab es auch noch eine Comicumsetzung des Romans. Dieser gilt zusammen mit Ridley Scotts Filmadaption als große Inspirationsquelle für viele dystopisch-philosophische Zukunftsvisionen. Etwa sind der Manga „Ghost in the Shell“ von 1989 sowie seine Animeadaption von 1995 stark von Dicks Roman beeinflusst. Gerade die Fragestellungen „Wie menschlich kann eine Maschine sein?“, „Was ist eigentlich eine Seele?“ oder „Was macht das Menschensein aus?“ definieren die Grundhandlung von „Ghost in the Shell“ ebenso stark wie Dicks Roman und Scotts Film.

Auch im Videospielbereich gehen Entwickler immer wieder auf diese Thematik ein. Ein Beispiel ist etwa die „Deus Ex“-Reihe und auch das noch erscheinende „Detroit: Become Human“ lässt derartige Ansätze vermuten. Offensichtlich geistern diese existentiellen, urphilosophischen Fragen immer wieder durch unsere Medienlandschaft und bieten viel Stoff für Interpretation.

Ein würdiger Nachfolger

Ryan Gosling als neuer Protagonist und Blade Runner beweist einmal mehr: Je weniger er schauspielern muss, desto besser schauspielert er. Schon im Film „Drive“ zeigte er, in seiner Rolle als emotionsloser Fahrer, dass er mit seinem Minimalismus am präsentesten ist. Nun kann er dieses Talent auch in „Blade Runner 2049“ ausspielen, wo er eine Maschine verkörpert, die ohne mit der Wimper zu zucken ihre „Artgenossen“ – andere Replikanten – tötet. Hierdurch wirken die Sequenzen, in denen er dann doch Emotionen zeigt, umso intensiver und effektvoller. Weiterhin ist Ks Beziehung zu seiner Hologramm-Frau Joi – dargestellt von Ana de Armas – ein grandioses Beispiel für ein harmonisierendes Schauspielpaar. Die beiden Charaktere ergänzen sich wunderbar, sodass man mit ihrer Liebesgeschichte mitfiebert.

Auch die neue Filmkulisse reicht an den ersten Teil heran. Spielt sich dieser noch konstant in den verregneten und überbevölkerten Straßen und teils baufälligen Gebäuden von Los Angeles im Jahr 2019 ab, erweitert man im aktuellen Teil den Aktionsradius. Der Zuschauer lernt nun auch Gebiete außerhalb der Stadt kennen und erfährt somit mehr über die Welt, in der sich alles abspielt.

Gleichfalls ist die Musik beeindruckend stimmungsvoll wie eh und je. Zum einen ist sie der Zeit und der Umgebung angemessen komponiert, zum anderen zieht sie einen auch immer wieder und immer mehr in diese sehr graue und nahe dem Abgrund liegende Welt hinein. So erzeugen etwa die dröhnenden Synthesizer innerhalb der Stadt eine unangenehm drückende und beklemmende Atmosphäre. Ebenfalls positiv zu erwähnen ist, dass der neue Film die langsame und ruhige Erzählweise seines Vorgängers beibehält. Lange Kameraeinstellungen und nur wenige hektische Schnitte geben dem Film selbst in seinen actionreichen Momenten eine angenehme Ruhe, welche einem als Zuschauer hilft, der Handlung zu folgen und nicht den Überblick zu verlieren.

Weiterentwicklung

Mit der Zeit hat sich auch die Szenerie weiterentwickelt. War Harrison Fords Charakter Deckart im ersten Teil noch auf dreckigen Straßen und in verfallenen Häusern unterwegs, ist dieses schmutzige und kaputte Chaos nun einer beinahe schon sterilen Ordnung gewichen. Auch die Farmen zu Filmbeginn oder die Ruinenstätte, welche wohl einst Las Vegas gewesen ist, wirken so, als ob ihnen eine Ordnung zugrunde liegt. Es scheint der Versuch zu sein, in all diesen Wirrungen der Ereignisse eine fast schon surreale Ordnung aufrecht zu erhalten. Selbst die Müllhalde außerhalb von Los Angeles wirkt „sauber“.

Beeindruckte der erste Teil noch mit dem Spiel von Licht und Schatten, so setzt Vulleneuve nun mehr auf Farben, um verschiedene Szenerien – wortwörtlich – zu untermalen. Dadurch heben sich die unterschiedlichen Orte des Films gut sichtbar voneinander ab. Beispielsweise behielt er das graue Stadtbild bei, taucht jedoch die Proteinfarmen in ein gespenstisches Weiß. Las Vegas umhüllt Vulleneuve mit einem gelbbraunen Sandnebel; selbst die Innenräume sind von dieser Farbe überzogen. Dies spiegelt eine von der Außenwelt abgeschirmte Trostlosigkeit wider.

In der Musik sind ebenso Veränderungen zu bemerken. War der erste Film noch geprägt von einer Kombination aus Synthesizern und traurigem Blues, so hält vermehrt modernere Musik Einzug in die Fortsetzung. Hin und wieder gibt es noch auf den Vorgänger bezogene Anleihen, die zum Wiedererkennungswert der Blad Runner-Filme beitragen. Darüber hinaus veränderte sich der Genre-Mix über die beiden Teile hinweg. Erinnerte der erste Teil eher an einen Sci-Fi-Noir-Krimi – wie die Detektivgeschichten aus dem Amerika der 20er Jahre – kommt „Blade Runner 2049“ mehr einer in der Zukunft spielenden Police-Story nahe.

All diese Veränderungen sind auch der langen Zeitspanne von 30 Jahren zu verdanken, welche im Film vergangen ist. Natürlich hätte man dem Original treu bleiben können, jedoch wäre dies nur eine Imitation gewesen. Durch diese Entwicklung erhält der Film neben einer zeitgemäßen Atmosphäre – wie etwa der Verwendung von Röhrenmonitoren statt Flachbildschirmen – auch eine eigene Persönlichkeit.

Zweifelhaftes Erbe

Obwohl der Film das Zeug zu einem zeitlosen Meisterwerk hat, gibt es einige Punkte, an denen etwas Kritik angebracht ist. Hauptsächlich bezieht sich diese auf die beiden Antagonisten Niander Wallace und seine rechte Hand Luv. Zum einen Wallace, welcher die Nachfolge von Joe Turkel als Doktor Eldon Tyrell antritt. Von der Glaubwürdigkeit Jared Letos schauspielerischen Talents mal ganz abgesehen, gelingt es kaum, Zugang zu seinem Charakter zu finden. Der blinde Unternehmer besticht höchstens durch seinen wahnhaften Gotteskomplex – welcher ihn dazu treibt, den perfekten Replikanten zu erschaffen – und das aggressive Zitieren kryptischer Bibelstellen. Es fehlt nur, dass er in einer Szene einen Apfel anbeißt und dann wegschmeißt.

Noch enttäuschender ist jedoch die Firmenexekutive und Wallaces Stellvertreterin, die Replikantin Luv. Einzig dadurch angetrieben, ihren Chef nicht zu enttäuschen und ihre Stellung als seine bisher am besten gelungenste Schöpfung beizubehalten, führt sie jeden Befehl seinerseits blind aus. Sie macht keinerlei Charakterentwicklung durch und verkommt zu einem uninteressanten und austauschbaren Handlanger. Eine solch grandiose Darbietung, wie sie Rutger Hauer als tragische Figur des Nexus-8-Replikanten Roy Betty im Meisterwerk von 1982 bietet, ist leider in keiner der Gegenparteien wiederzufinden. Einzig Officer K und seine Hologramm-Frau Joi machen eine wirklich merkliche Charakterentwicklung durch, wohingegen die restlichen Protagonisten dagegen verblassen.

Eine ganz und gar menschliche Einschätzung

„Blade Runner 2049“ ist trotz einiger Makel ein visuelles und erzählerisches Meisterwerk und sollte sich nicht hinter seinem Vorgänger verstecken, der zu seiner Zeit enorme Standards in der filmischen Science-Fiction-Landschaft gesetzt hat. Die Fortsetzung ist auf jeden Fall eine Empfehlung für jeden Filmfan, auch wenn das favorisierte Genre nicht das des Science-Fictions ist.

Blade Runner. Regie: Ridley Scott. Drehbuch: Hampton Fancher, David Webb Peoples. Darsteller: Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young u.a. Warner Bros. USA, Hong Kong 1982. FSK 16.

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