Tasten nach Carter

von | 06.12.2018 | Belletristik, Buchpranger

Mit einem Ausschnitt aus ihrem Debütroman „Carter“ sorgte Ally Klein beim diesjährigen Bachmannpreis für Aufsehen. Worteweberin Annika hat den intensiven Roman über eine faszinierende Frau gelesen.

Carter wohnt in einer Scheune zwischen Feldern, alle paar Meter muss sie sich die Schnürsenkel neu binden, Carter liest Bücher von hinten nach vorne und schlägt die Menschen in ihren Bann. So auch das namenlose Ich, das diesen Roman erzählt. In einigen Rezensionen wird dieses Ich als eine Erzählerin beschrieben, tatsächlich bleibt die Geschlechtsidentität der Figur aber ungeklärt. Das Medizinstudium hat das Ich kurz vor dem Abschluss abgebrochen, nun lebt es in einer kleinen, unbeheizten Wohnung, verbringt viel Zeit mit Büchern und vertrödelt ansonsten die Tage.

Als es in der Kneipe „Bodo“ auf Carter trifft, verfällt es ihr sofort: „Ich liebte Carter mittendrin, anfangslos.“ (S. 53) Carter hingegen ist flatterhaft, begehrt von vielen, und auch wenn sie in einer Beziehung zu sein scheint, gibt sie sich verschiedenen Personen hin. Obschon das Ich – soweit möglich – ebenfalls eine intensive Beziehung zu Carter aufbaut, bleibt diese doch rein freundschaftlich.

Worte finden

Während die Geschichte des Romans ziemlich knapp zusammengefasst werden kann, überzeugt „Carter“ vor allem auch sprachlich. Die Sprache des Romans ist sehr bildlich und nach den richtigen Wendungen tastend. Dadurch entstehen treffende, ungewöhnliche Beschreibungen, gleichzeitig manchmal aber Längen:

„Ich will Dinge sehen, wie sie es tut, dachte ich, ihre Worte in meinem Mund nachsprechen, ob’s das Gleiche wäre, das gleiche Gewicht, selbstverständlich. Wonach ihr Mundinneres wohl schmeckt, wie ihre Kleidung riecht, wie grün ihr Grün ist und wie kalt ihr Kalt. Alles öffnen würde ich und alles sehen. Über sie schreibt man Bücher, dachte ich, man schreibt Bücher über sie, das Ü in Bücher zog ich lang, ich wollte ihr das sagen, ich wollte sagen: Über dich schreibt man Bücher, ja.“ (S. 31)

Durch diesen Stil eignet sich der Roman sicherlich weniger für ungeübte LeserInnen. Kleins Roman ist sehr körperlich, was sich durch die intensive Sprache noch verstärkt. Das erzeugt einen Sog, der die Lesenden erfasst, ähnlich wie Carter auf das Ich wirkt. Manchmal geht es aber so weit, dass es abstößt und ich den Roman kurz zur Seite legen musste. Nachdem auch Carter die Menschen in ihrem Umfeld immer wieder zurückstößt, spiegelt sich dieses Gefühl beim Lesen auch in der Handlung wider.

Fiebertraum

Am Ende des Romans überschlägt sich die Handlung noch einmal und weckt Zweifel. Das Ich verfällt in einen Fiebertraum, nimmt die Realität anscheinend verzerrt wahr und entpuppt sich so als zumindest in Teilen unzuverlässige Erzählfigur. Hier bleibt einiges offen, doch wie das Ich sagt: „Wenn man eine Geschichte versteht, ist sie nur schlecht erzählt…“ (S. 56) Demnach ist „Carter“ genau das Gegenteil, nämlich sehr gut erzählt! Interessant ist zum Beispiel auch der Rahmen, in den Klein ihren Roman eingebettet hat: Mit der chronologisch letzten Szene beginnt „Carter“ und nimmt so schon vorweg, wie es enden wird – wobei sich gleichzeitig viele Fragen ergeben, auf die man erst im Laufe des Romans eine Antwort finden kann.

[tds_note]Was unsere Partner, die Feuilletöne, zu „Carter“ sagen, hört ihr übrigens in der Sendung 262 – so viel darf man schon verraten, hier äußert sich ein sehr begeisterter Herr Martinsen.[/tds_note]

Carter. Ally Klein. Droschl. 2018.

 

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