„Tack Tack Tack!“

von | 16.12.2019 | Bilderbücher, Buchpranger

„Zikade erzählt Geschichte. Geschichte gut. Geschichte einfach. Geschichte, die sogar Mensch versteht. Tack Tack Tack!“, lautet die Kurzbeschreibung des Buches. Ja, die Geschichte ist gut, sehr gut sogar. Aber alles andere als einfach. Zeichensetzerin Alexa hat in die trist-grauen Abgründe gesehen, die die Zikade umgeben.

Shaun Tans neues Bilderbuch „Zikade“ ist ein graues Buch – in mehrfacher Hinsicht. Triste Grautöne durchziehen die Seiten, lassen keinen Raum für weitere Farben. Lediglich die Haut der Zikade ist grün, kaum wahrnehmbar inmitten des Graus. Später weicht das Grün einem Rot und ganz am Ende, eigentlich schon außerhalb der Geschichte, vermischen sich die Farben, werden vielfältiger, lebendiger. Im Grunde kann die Geschichte allein schon anhand der Farben interpretiert werden, aber auch der Text spielt hierbei eine große Rolle.

Zikades Geschichte – Achtung, Spoiler!

Seit siebzehn Jahren arbeitet die Zikade in einer Firma, in der sie schlecht behandelt wird. Sie ist das einzige Tier, alle anderen Angestellten sind Menschen und diskriminieren sie auf verschiedene Weise: Obwohl die Zikade nie krank ist, keine Fehler macht und die Arbeit immer beendet, gibt es weder einen Dank noch eine Beförderung. Sie darf noch nicht einmal die Bürotoilette benutzen und muss dafür raus. Da sie sich von ihrem Gehalt keine Miete leisten kann, lebt sie im Büro. Ihre Kollegen behandeln sie wie Dreck.

Dann geht sie in Rente. Es gibt weder eine Rede noch eine Feier. „Keine Arbeit. Kein Zuhause. Kein Geld. Zikade geht auf Hochhausdach. Zeit für Abschied. Tack Tack Tack!“ Was passiert auf diesem Hochhausdach? Abschied? Verabschiedet sie sich vom Leben? Nimmt sie Abschied von ihrem jetzigen Dasein? Ist das eine Andeutung auf Suizid? Sichtbar wird nur, dass sich aus dem Körper der im grauen Anzug gekleideten Zikade eine rot leuchtende Zikade entpuppt. Diese lässt ihre alte Hülle auf dem Hochhausdach zurück und fliegt davon.

Interpretation?

Die Geschichte der Zikade spricht mit wenigen Worten, brüchigen, verknappten, teils unvollständigen Sätzen und wenigen Farben auf sehr prägnante, dichte Weise ernste Themen an: Es geht um Diskriminierung und fehlende Akzeptanz dem „Anderen“ oder „Fremden“ gegenüber. Es geht um die Sinnlosigkeit einer Bürotätigkeit, um das triste Arbeitsleben. Es geht um Unzufriedenheit, Unglück, Selbstfindung und Freiheit. Und obwohl die Zikade am Ende dorthin zurückkehrt, wo sie glücklich ist, nämlich in die Natur, bleibt offen, wie sie dorthin gelangt ist – an diesen Ort, einem Paradies aus Farben gleich.

Mit „Zikade“ ist Shaun Tan erneut ein tiefsinniges Werk gelungen, das viel Interpretationsfreiraum lässt. Ein Bilderbuch, das sich vorrangig an Erwachsene richtet und zur Selbstreflexion anregt.

Zikade. Shaun Tan. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Aladin. 2019.

 

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