Streng genommen ein „Bilderbuch“

von | 22.12.2019 | Bilderbücher, Buchpranger

Was ist, wenn man einen Text illustriert … und dann den Text weitestgehend weglässt? Seitenkünstler Aaron stellt ein Buch vor, das einen anderen Weg geht: „Die Dschungelbücher“, gesammelte Illustrationen von Gabriel Pacheco.

Mit „Die Dschungelbücher“ hat der Bohem Verlag etwas gewagt: In einer Buchbindung wird hier eine Hommage an J. R. Kiplings Werke präsentiert. Zwischen den großen Buchdeckeln im A3-Format (ca. 40x30cm) befinden sich herausnehmbare Kunstdrucke von Illustrationen zu berühmten und weniger bekannten Erzählungen Kiplings. Auf den Rückseiten sind jeweils passende Textstellen zitiert. Das Konzept wird auch auf den ersten Seiten erklärt – zweisprachig in Englisch und Deutsch, also ganz wie in Kunstbüchern und Museen üblich. Demnach gebe es genügend Ausgaben und Adaptionen von Kiplings Texten, weswegen man sich gedacht habe, hier visuelle Anreize zu schaffen, über die bereits bekannten Geschichten zu sinnieren.

Die einzelnen Bilder zeigen die natürliche Wildnis zwar auf phantastische Weise, aber in unverkitschten Farben und Strukturen. Collagierte Textabschnitte in sehr kleiner Schrift sind in angepassten Farben und Formen dezent eingefügt worden. Der schwarze Rahmen und die ungesättigten Farbtöne vermitteln den Eindruck, als blicke man ins Dämmerlicht des Dschungels. Auf diese Weise wirkt die dargestellte, unbekannte Natur geheimnisvoll und latent bedrohlich. Dieser Eindruck verfliegt, wenn man sich in den Details verliert: Die auf den ersten Blick dominierenden Tierportraits verschmelzen beim näheren Betrachten mit der sorgfältig detaillierten Pflanzenwelt. So haben die Bilder sowohl eine Fernwirkung, laden aber auch zum genaueren Beschauen ein.

Das vorgestellte Buch setzt klar auf Qualität und nicht auf Gewinn oder Quantität. Für den doch nicht geringen Preis von fast sechzig Euro bietet die Bildersammlung aber auch einen anderen Wert als ein herkömmliches schrifttextliches Buch. Das Produkt eignet sich zwar zur dauerhaften Ausstellung, aber weniger zur Wiederverwendung, wie etwa beim Bücherei-Verleih. Es wird nicht die Absicht verfolgt, die Geschichten neu zu erzählen. Stattdessen wird ihre Kenntnis vorausgesetzt und die Bilder dienen einzig als Projektionsfläche der Erinnerungen an die Texte. Diese Voraussetzung ist gewagt, stehen doch die anderen Dschungelbuchgeschichten im Schatten der populären Mowgli-Verfilmungen. Zumindest mir sagten die Namen Kotick, Rikki-Tikki-Tavi und Toomai erst einmal nichts.

Das Produkt wirkt wie feines Merchandise und gleichzeitig wie ein nobler Versuch, den (in Deutschland gemeinfreien) Primärtext zu ehren. Natürlich eröffnen diese Bilder einen neuen Zugang an die Inhalte, aber gäbe es nicht sinnvollere Umgangsformen mit den über 100 Jahre alten Dschungelbüchern? Die Bilder würden sich hervorragend dafür eignen, einen Text zu illustrieren, der Mowglis Geschichte neu erzählt mit einem weniger kolonialisierten Pathos und dafür mit einer Kritik an der Reduzierung der Tierwelt auf ihren Nutzen oder ihre Gefahr für den Menschen. Ebenfalls denkbar wäre, Mowglis Erlebnisse einmal hintanzustellen und stattdessen den weniger bekannten Protagonisten des Dschungelbuchs eine Bühne zwischen den Buchdeckeln zu bieten.

Die hier vorgestellte Veröffentlichung ist in ihrem Konzept gewagt und fragwürdig, aber präsentiert geschickt die gekonnt erstellten Bilder Pachecos. Damit ist das Buch unbedingt zu empfehlen für Dschungelbuchfans und Menschen, die keine Zeit zum Lesen finden. Für Lesefreudige ist es jedoch ungeeignet.

Die Dschungelbücher. Herausgeberin: Katharina Große-Hülsewiesche. Text: Rudyard Kipling. Illustration: Gabriel Pacheco. Bohem. 2019. // Verwendete Illustrationen: Gabriel Pacheco / Bohem Verlag.

 

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