Mit „Somorra –Stadt der Lüge“ wartet das Autoren-Duo Christian und Florian Sussner mit ihrem dritten Spielbuch im Mantikore-Verlag auf und wirft die Leser*innen/Spieler*innen dieses Mal in das Szenario einer korrupten Stadt, welche an Sin City oder Gotham City erinnert. Geschichtenerzähler Adrian stürzt sich in diesen Sündenpfuhl.

In „Somorra – Stadt der Lüge“ schlüpft man als Leser*in/Spieler*in in die Rolle einer Polizistin, die ihr Geld noch mit ehrlicher Arbeit verdient. Dadurch ist sie jedoch all jenen ein Dorn im Auge, die dies nicht tun, sondern tief im Pfuhl von Korruption und Gewalt stecken. Zu diesen Personen gehört auch ihr Boss, der Polizeichef.

Nachdem ein Haufen Geld im Arbeitsspint der Protagonistin gefunden wird, welches anscheinend dort platziert wurde, hat ihr Boss sie in der Hand. Mit einem Spezialauftrag, der sich als Falle entpuppt, lässt er seine ungeliebte Mitarbeiterin ins Messer laufen, um sie endgültig aus dem Verkehr zu ziehen.

Doch hat er nur teilweise Erfolg. Zwar gelingt es ihm, die Polizistin gegen ihren Willen mit Somorin anzufixen, einer extrem schnell süchtig machenden Droge, aber sie entkommt den beiden Polizisten, die die Protagonistin als korrupte Süchtige vor Gericht schleppen wollen. Nun gilt es nicht nur deinen Namen wieder reinzuwaschen, sondern auch die Drogensucht zu überwinden. Ob du bei der Aufdeckung der Machenschaften deines Bosses mit oder außerhalb des Gesetzes agierst, bleibt dir überlassen.

Spielend lesen

Somorra ist Spiel und Buch zugleich. Das bedeutet, als Leser*in/Spieler*in entscheidest du über den Verlauf dieses Abenteuers. Welche Entscheidungen willst du treffen? Welchen Weg willst du gehen? Ermöglicht wird dies durch das Pen-and-Paper-Prinzip, wie es von analogen Rollenspielen bekannt ist. Wie der Name schon vermuten lässt, wird dafür sowohl ein Stift als auch Papier benötigt – Würfel, die sonst häufig zu dieser Art von Spielen dazugehören, werden bei „Somorra“ nicht gebraucht.

Das Buch ist in nummerierte Abschnitte unterteilt. Am Ende jedes Abschnittes stehen verschiedene Wahlmöglichkeiten zur Verfügung, die zu unterschiedlichen Abschnitten führen. So wird zwischen den Nummern hin und her geblättert. Dabei erlebt man eine Version der Geschichte.

Mehr Individualität

Während viele Spielbücher nur mit Nummern arbeiten, aus denen gewählt werden kann, bringt „Somorra“ zwei weitere Faktoren ins Geschehen ein: Codewörter und die Zeit. Beides soll ein individuelleres Spielerlebnis fördern und den Wiederspielwert erhöhen.

Die Codewörter kehren in einzelnen Abschnitten immer wieder und bekommen eine Nummer zugeschrieben, zum Beispiel SCHUSS 120. Sollte eines dieser Wörter im aktuellen Abschnitt auftauchen, gilt es, dieses mit der Zahl zu notieren. Sobald dann am Ende eines Abschnittes etwa die Bemerkung auftaucht „Weiter bei SCHUSS“, muss man zu dem Abschnitt blättern, der notiert worden ist. Je nach Entscheidungen können gleiche Codewörter jedoch unterschiedliche Nummern besitzen.

Der zweite Faktor ist die Zeit, von der nicht viel zur Verfügung steht. Alles kostet Zeit, sei es eine Fahrt mit der U-Bahn, das Besorgen von Geld oder einer Waffe. Manchmal muss man zu bestimmten Uhrzeiten an bestimmten Orten sein und wie die Zeit zwischen den Terminen genutzt wird, ist zwar frei zu wählen, alles ist jedoch selten zu schaffen.

Der Kampf gegen die Sucht

Neben den Codewörtern und der Zeit bietet das Spielbuch „Somorra“ eine weitere Besonderheit: den Kampf gegen die Droge Somorin. Diese offenbart sich in bestimmten Abschnitten, in denen das Verlangen nach der Droge überhandnimmt und einen als Leser*in/Spieler*in ohnmächtig werden lässt – diese Abschnitte beinhalten das Codewort ERWACHEN.

In diesem Ohnmachtszustand besteht die Möglichkeit, gegen die Sucht anzukämpfen. Unterstützung kommt hier von einer mystischen Schreckgestalt, dem Schrammenschreck¬ ähnlich dem Hutmacher aus „Alice im Wunderland“, nur mit viel längeren Fingernägeln und spitzeren Zähnen. Er stellt Aufgaben, die es zu lösen gilt. Bestehen heißt leben – und man kommt in dem Abschnitt zu sich, dessen Nummer hinter dem vorherigen Codewort ERWACHEN notiert wurde. ¬Versagen bedeutet den Tod.

Eine Mischung aus Sin City und Gotham City

Allein, dass der Name „Somorra“ eine Kombination aus den beiden biblischen Sündenstädten Sodom und Gomorra ist, indiziert bereits, dass diese Stadt nicht die sauberste ist. Überall gibt es Gewalt, Kriminalität und Korruption. Diese Atmosphäre transportieren Christian und Florian Sussner in ihrem aktuellen Spielbuch wunderbar.

Sei es im Prolog, in dem die Korruption und die Gewalt deutlich gemacht werden, oder durch den schmalen Grat zwischen Gesetz und Kriminalität, auf dem man sich als Leser*in/Spieler*in während der Abenteuer bewegt. Es ist so einfach, den Abzug einer Pistole zu drücken, doch mit den Konsequenzen sollte man auch leben können.

Zudem ist ständig dieser Zeitdruck da, der immer wieder bewusst macht, dass man nur ein Spielball jener Mächte von Somorra ist, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Ein zu spätes Erscheinen zu einem Termin kann schnell mit einer Kugel im Kopf enden, zudem ist weglaufen meist keine langfristige Option.

Hürden und andere Spielverderber

Zwar bieten die Codewörter und die Zeitvorgabe eine größere Motivation, „Somorra“ mehrere Male zu spielen, da es immer wieder neue Möglichkeiten zu entdecken gibt, jedoch hat diese Innovation auch ihre Probleme. So war es mir persönlich nicht möglich, trotz drei verschiedener Anläufe das Buch fertigzuspielen, da mir in allen drei Versuchen immer wieder ein Codewort fehlte. Recherchen zufolge ist es jedoch möglich, das Spielbuch durchzuspielen.

Ein weiterer Kritikpunkt, der dem zweiten und spätestens dem dritten Spieldurchlauf die Spannung nimmt, ist, dass die Rätsel des Schrammenschrecks immer dieselben sind. Das heißt, wer beim ersten Durchspielen genau aufpasst, kann die Drogen-Entzugs-Passagen einfach lösen oder ignorieren.

Stimmige Bebilderung

Neben einer atmosphärischen Geschichte bietet „Somorra“ auch immer wieder passende Illustrationen von Helge Balzer und Hauke Kock. Schon auf den ersten Seiten – vor dem Impressum – gibt es beispielsweise eine Abbildung der Stadt selbst sowie Bilder von Abscheulichkeiten. Das verwaschene Grau der Zeichnungen fängt die Stimmung wunderbar ein.

Die einzelnen Kapitel werden von stimmigen Bildern im Stil eines Noir-Filmplakats eingeläutet. Ebenso steht am Anfang jedes Kapitels, in dem man als Leser*in/Spieler*in gegen die Drogensucht kämpft, ein kleiner Comic, der in etwa illustriert, was einen erwartet.

So viel Potential

„Somorra – Stadt der Lüge“ ist ein Spielbuch, welches mal etwas anderes versucht. Durch die Codewörter und die Zeitvorgabe ist ein wirklich individuelles Spielerlebnis möglich. Ebenso haben die Atmosphäre der Geschichte und die Erzählung selbst einen immersiven Effekt, sodass es nicht schwer ist, sich in dieser Welt zu verlieren, wenn man möchte.

Jedoch trübt die Flut an Codewörtern, welche leicht dazu führt, den Überblick zu verlieren, das Spielvergnügen. Spätestens wenn einem ein Codewort fehlt und man versucht es zu finden, kann schnell Frust entstehen. Ebenso sind die in jedem Spieldurchlauf gleichbleibenden Rätsel ermüdend.

Das Spielbuch „Somorra – Stadt der Lüge“ ist nichts für Einsteiger in dieses Buchgenre, doch wer etwas Erfahrung hat und das Sin City-Setting mag, wird hiermit gut bedient sein.

Somorra – Stadt der Lüge. Christian und Florian Sussner. Illustration: Helge Balzer und Hauke Kock. Mantikore Verlag. 2019.

 

Bücherstadt Magazin

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