So bunt ist Schwarz: „Schwarz wird großgeschrieben“

von | 19.02.2022 | #OwnVoicesBK, Buchpranger, Sach- und Fachbücher, Specials

Es ist ein facettenreiches Werk Schwarzer Perspektiven und Lebensrealitäten in Deutschland, das das Schwarzsein einer neuen Generation definiert: „Schwarz wird großgeschrieben“ (Hrsg. Evein Obulor, in Zusammenarbeit mit RosaMag). In dem bemerkenswerten Sammelband kommen Schwarze FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binäre, trans, Agender) zu Wort. – Von Satzhüterin Pia

„Schwarz wird großgeschrieben“ bietet einen Perspektivwechsel und bricht damit allgemein gegebene Strukturen auf. Es ist ein Buch von Schwarzen Personen für Schwarze Leser:innen und wenn es weiße¹ Menschen lesen, sollten sie sich bereits aus „Happyland“² verabschiedet haben. Wie sehr auch innerhalb der Schwarzen Communities Unterschiede und Machtgefälle existieren, wird bei der Lektüre der Texte deutlich. Und spätestens damit wird Nichtbetroffenen bewusst, wie schwierig es für Schwarze Menschen ist, sich und ihre eigene Lebensrealität repräsentiert zu sehen.

Foto: Satzhüterin Pia

Vom „Hinterfragen“ bis zum „Erträumen“

Die Texte sind thematisch sortiert zusammengestellt – Zwischenüberschriften leiten jeweils einen neuen Abschnitt ein. Diese Schwerpunkte schaffen einen roten Faden, durch den die Textreihenfolge sinnvoll strukturiert und die unterschiedlichen Inhalte der Leserschaft besser zugänglich gemacht werden. So viele Eindrücke, Aspekte und Facetten vom Schwarzsein sowie anderen Themen, wie beispielsweise trans- oder fettfeindliche Übergriffe, die von den Autor:innen aufgegriffen werden, prasseln auf Leser:innen ein.

Die Themenabschnitte bauen aufeinander auf und gestalten so einen „therapeutischen“ Weg: Hinterfragen, Entschlüsseln, Offenlegen, Heilen, Lieben, Aussprechen, Wahrnehmen und schließlich Erträumen.

Unter dem Oberpunkt „Hinterfragen“ steigen Alice Hasters („Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten.“, Hanser, 2019) in ihrem Text „Who’s Black?“ und Celia Parbey (u.a. Redaktionsleiterin vom RosaMag³) mit „Die Sache mit den Privilegien“ ins Thema ein. Statt darüber zu sprechen, wie weiße Menschen das Schwarze Selbstbild negativ geprägt haben, geht es in Hasters Text auch darum „wie Schwarze Menschen es untereinander getan haben.“ (S. 19)

„Es ist wichtig, über Unterschiede im Schwarzsein zu sprechen. Dazu gehört auch die berechtigte Kritik, dass Erfahrungen von mixed Menschen oft stellvertretend für alle Schwarze Menschen wahrgenommen werden.“ – Alice Hasters: „Who’s Black?“ (S.26)

Parbey greift in „Die Sache mit den Privilegien“ ebenfalls den Aspekt der biracial4 Schwarzen auf. Sie schreibt unter anderem, dass in den sozialen Medien regelmäßig diskutiert wird, „ob Menschen mit einem weißen und einem Schwarzen Elternteil überhaupt Schwarz sind.“ (S. 29) Eine Antwort hat sie nicht, nähert sich in ihrem Beitrag aber über verschiedene Aspekte dem kritischen Hinterfragen des eigenen Weißseins und damit einhergehenden Privilegien an.

Foto: Satzhüterin Pia

Sichtbarkeit

Die Schreibenden greifen in ihren Texten immer wieder ein bestimmtes Ereignis auf, thematisieren oder erwähnen es auf die eine oder andere Art: der Mord an George Floyd, der internationale mediale Aufschrei und die sich in Bewegung setzenden Proteste. Derartige rassistisch motivierte Polizeigewalt kam 2020 bei Floyd nicht das erste Mal vor und existiert auch nicht nur in den USA. So stellen sich einige Schreibende die Frage, warum es erst jetzt ein Echo gab, warum erst nach Floyds Tod Schwarze Menschen Leitartikel schreiben durften oder in Talkshows eingeladen wurden.

„Im Jahr 1999 erstickte Aamir Ageeb in Frankfurt am Main aufgrund einer brutalen Fixierung durch Beamte des Bundesgrenzschutzes. Er sollte abgeschoben werden. Aamir war 30 Jahre alt.“ – Shaheen Wacker: „Wer zählt hier eigentlich?“ (S. 53)

In „Entschlüsseln“, dem zweiten Teil des Sammelbands, schreibt Shaheen Wacker in ihrem Text „Wer zählt hier eigentlich?“ über „Anti-Schwarze[n] Rassismus in Deutschland“. Auf den ersten eineinhalb Seiten erzählt sie mit jeweils wenigen Sätzen die Geschichten ermordeter Schwarzer Menschen in Deutschland, zeigt ihre Namen und führt vor Augen, wie sehr Deutschland von rassistischen Strukturen geprägt ist. Es geht um kolonialrassistische Kontinuitäten, die auf rassentheoretischen Grundlagen fußen und an so vielen Ecken und Enden noch immer das Leben Schwarzer Menschen in Deutschland bestimmen. „Deutscher Rassismus tötet und vergisst“, betont sie in ihrem Essay. „Bevor er physisch tötet, tötet er sozial.“ (S. 58)

Dass Schwarz zu sein aufgrund von rassistischen Aussagen und Handlungen sowie vorurteilsbehafteten Menschen eine permanente Belastung ist, zeigen Texte wie der von Anna Dushime. In „Wir verstehen uns ohne Worte … oder?“ schreibt sie über das Dating und die ewige Erklärungsnot durch unterschiedliche Lebensgeschichten und -realitäten: „Das Ding ist: Ich bin 24/7 Schwarz, das kann ich nicht ablegen. Nicht, dass ich das jemals wollen würde. Aber ich bin nicht 24/7 politisch.“ (S. 124) Aggressionen – ob Mikro- oder größer – belasten das Gemüt unentwegt und sie „werden [einem] ohne Vorwarnung jederzeit und überall entgegengeschleudert.“ (S. 124)

Andere Texte, wie der von Katya Lwanga („Die Bürden unserer Flügel“) thematisieren rassistische und diskriminierende Stereotype wie den der „starken Schwarzen Frau“. Mit jedem Satz dieses Buches wird man als Leser:in klüger.

Foto: Satzhüterin Pia

Rassismus, Colorism, Sexismus, Queerfeindlichkeit

In „Schwarz wird großgeschrieben“ kommen überwiegend darkskinned und queere Schwarze Menschen zu Wort. Ihre Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen sind vielfältig und ihre Texte so verschieden, wie ihre persönlichen Erfahrungen und die eigenen Gedanken. SchwarzRund (eingetragener Künstlername) schreibt zum Beispiel in „Mein zweites Schwarz“ darüber, wie unterschiedlich das eigene Schwarzsein wahrgenommen und ausgelebt werden kann. „Eher sichtbar, statt privilegiert“ sei ihr afrolateinamerikanisches Schwarz – ein anderes Schwarz als das Afrodeutsche. Die Essays geben sehr viele Denkanstöße, die für die eigene Horizonterweiterung und Sensibilisierung auch weiße Leser:innen spannend finden werden.

„Ich finde es cool, wenn Schwarze Kids sich im Angesicht rassistischer Herkunftsfragen als deutsch bezeichnen. Aber es ist auch kein Scheitern, sich nicht so zu verorten […]. In welcher Situation ist es wichtiger, dem Gegenüber etwas beizubringen, und wann ist es wichtiger, ganz unabhängig davon du zu sein?“ – SchwarzRund: „Mein zweites Schwarz“ (S. 49)

Ein Essay über Colorism ist Winnie Akeris „Über Befreiungsschläge, Bleaching Crème und den afrikanischen Weihnachtsmann“ aus ihrer eigenen darkskinned Perspektive. Viele Jahre nahm sie Colorism-Vorfälle schweigend hin, ehe sie durch andere Stimmen das eigene Schweigen beendete. Auch ihr Textanfang ist von persönlichen Begegnungen, Erfahrungen und Erkenntnissen gestützt – danach steigt sie in die Entstehungsgeschichte des Colorism-Konzepts ein, um aufzuzeigen, dass dieser weltweit in vielen gesellschaftlichen Bereichen verankert ist.

Jenner Hendrixx schreibt in ihrem Essay „Black & Queer? Das gibt es bei uns nicht!“ über ihre Queerness, ihr Transsein, und ihre Erfahrungen. Damit zeigt sie eindrucksvoll, wie viel Kraft ein Leben als Schwarze trans Frau erfordert und wie viele Hindernisse selbst die eigene Community in den Weg legen kann:

„Wir sind Schwarz. Wir sind traumatisiert. Wir erleben so viel. Jeden Tag. Trotzdem verstehe ich nicht, wie wir, wenn wir doch selbst Diskriminierungen, Rassismus erleben, den Hass weitergeben können?“ – Jenner Hendrixx: „Black & Queer? Das gibt es bei uns nicht!“ (S. 186)

Auch ein Interview findet sich in dem Sammelband: Meret Weber führte ein Gespräch mit Katharin Oguntoye, die als Mitherausgeberin des Buches „Farbe bekennen“ Ende der 80er Bekanntheit erlangte und seither eine zentrale Figur für die afrodeutsche Bewegung ist. Zwischen den überwiegend jungen Mitwirkenden an „Schwarz wird großgeschrieben“, bringt sie, geboren 1959, den Blick einer anderen Generation mit ein und erweitert das eh schon breite Spektrum auch noch in diese Richtung.

Foto: Satzhüterin Pia

Dringende Leseempfehlung!

Neben rassismuskritischen Auseinandersetzungen, die sich vornehmlich an weiße Personen richten (zum Beispiel „exit RACISM“ von Tupoka Ogette) oder fiktiven Geschichten, die zum Beispiel in afrikanischen Ländern spielen und sich an alle Menschen richten, die sie gerne lesen möchten (zum Beispiel „Der Ort, an dem die Reise endet“ von Yvonne Adhiambo Owuor) ist „Schwarz wird großgeschrieben“ anders: Während ich es als weiße Person lese, wird mir überdeutlich, dass ich (bis auf „Sulwe“ von Lupita Nyong’o) wohl noch nie etwas gelesen habe, das so explizit nicht an mich adressiert ist. Ich stehe nicht im Fokus, werde nicht angesprochen, denn ich bin weiß und diese Erfahrung sollte die weiße Mehrheitsgesellschaft eindeutig häufiger machen.

„Schwarz ist großgeschrieben“ ist ein Buch von Schwarzen für Schwarze. Aber es ist auch ein Weckruf an die weiße Mehrheitsgesellschaft, sich der eigenen Privilegien, der Sicht auf Black People of Color, der vielschichtigen Problematiken über Rassismus hinaus, bewusst zu werden, sich selbst zu reflektieren, umzudenken und den Mund aufzumachen.

Ich möchte euch diesen bunten Sammelband an vielfältigen Themen und Sichtweisen, spannenden Perspektiven und Schreibweisen und so wahnsinnig vielen Emotionen und Informationen unbedingt ans Herz legen.

Schwarz wird großgeschrieben. Evein Obulor (Hrsg.). &Töchter. 2021.

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #OwnVoicesBK. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]

Fußnoten

¹ Ich übernehme hier bewusst die Schreibweise weiß aus „Schwarz wird großgeschrieben“: „Der Begriff hat nichts mit der tatsächlichen Farbe der Haut zu tun. Weiß beschreibt eine soziale Position und Privilegien, die weißen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zugeschrieben werden. Je nach gesellschaftlichem Kontext unterscheidet sich, wer als weiß zählt. Um die Konstruktion des Begriffes hervorzuheben, wird weiß kursiv und klein geschrieben.“ (S. 224)

² Tupoka Ogette, Exit Racism: „Happyland“ ist der Zustand, in dem weiße Menschen leben, bevor sie sich bewusst mit Rassismus auseinandersetzen.

³ „RosaMag ist ein Online-Lifestylemagazin, dass [sic] afrodeutsche Frauen und Freunde informiert, inspiriert und empowert.“ https://rosa-mag.de/schwarz-wird-grossgeschrieben-wir-machen-ein-buch-warum-eigentlich/

4 „Als biracial werden Menschen bezeichnet, deren Eltern zweier verschiedener Races angehören, also beispielsweise das Kind einer Schwarzen und einer weißen Person. Biracial bezieht sich auf den englischen Begriff Race und lässt sich daher nicht wörtlich ins Deutsche übersetzen.“ (S. 218)

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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