Sinn oder Wahnsinn – Digitale Taschenmonsterjagd

by Bücherstadt Kurier

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Die Welt ist ver­rückt gewor­den und der Handy-Wahn­sinn hat einen neuen Namen. Man sieht sie über­all auf den Stra­ßen, in Ein­kaufs­zen­tren und in den Parks: Leute – meist jugend­lich, aber eine Alters­grenze ist schon lange nicht mehr gesetzt – die auf ihr Handy star­ren, sich immer wie­der still in sich hin­ein ärgern oder grund­los freu­dig zu grin­sen begin­nen. Zwi­schen die­sen Stim­mungs­schwan­kun­gen herrscht Starr­heit, den Blick voll­kom­men in die Ereig­nisse auf dem Dis­play ver­tieft. Auch was man in den Medien hört, lässt einen nicht gerade an eine Wei­ter­ent­wick­lung den­ken. Poké­mon-Jäger stür­men eine Poli­zei­sta­tion, machen auch vor Fried­hö­fen nicht Halt und die ers­ten Todes­op­fer soll es auch schon gege­ben haben. Nichts, was man sich wirk­lich wün­schen würde als nor­mal den­ken­der Mensch. Oder?

Ja, ich war auch skep­tisch, ich habe sie auch gese­hen, wie sie saßen und gin­gen wie Zom­bies, und wie sie starr­ten. Wie sie trotz vie­ler Men­schen um sich herum allein waren, mit sich und ihrem Handy beschäf­tigt und voll­kom­men ver­tieft. Ver­rückte Welt, zum Kopf­schüt­teln. Bis man mir ein Handy in die Hand drückte. Aber alles von vorne.
Ein Wochen­ende bei Freun­den, eigent­lich wegen eines knall­har­ten Film-Mara­thons. Ich sah meine Bewe­gungs­freude schon in Gefahr, als man mich fragte, ob ich denn Poké­mon Go spie­len würde. Die ver­neinte ich zwar, erkannte aber meine Chance und mel­dete mich gern dazu bereit, die Freunde zu beglei­ten und mir genauer anzu­se­hen, wie das denn so läuft mit dem Taschen­mons­ter­ja­gen. Gesagt, getan. Gleich vor­weg sollte erwähnt sein, dass besagte Freunde Poké­mon Go auf sehr ver­nünf­tige und „intel­li­gente“ Weise spie­len. Was ich damit meine, erkläre ich später.
Gedul­dig wurde mir erklärt, dass es ver­schie­dene Punkte gibt, an denen man Gegen­stände wie Poke-Bälle sam­meln kann, und manch­mal auch ein Poké­mon vor einem auf­taucht, das man ein­fan­gen kann. Auf den ers­ten Blick sah es ganz lus­tig aus. Bis wir die ers­ten Schritte in den Park wag­ten. Da hätte sich bei­nahe Kopf­schüt­teln ein­ge­stellt. Alle, denen wir begeg­net sind, starr­ten auf ihr Dis­play, waren kaum für die Umwelt zu begeis­tern, oder ver­sam­mel­ten sich auf einem bestimm­ten Platz, um zu war­ten. Auch da wurde mir erklärt, warum das so ist – aber das habe ich nicht genau ver­stan­den. Da war etwas mit Bestäu­ben. Alles muss ich nun auch wie­der nicht wissen.

Immer wie­der wur­den Stopps gemacht, weil man Poké­mon fan­gen musste. Ansons­ten dreh­ten wir eine ansehn­li­che Runde von meh­re­ren Kilo­me­tern und unter­hiel­ten uns über viele Dinge. Auch dar­über, dass es wirk­lich man­che Dumm­köpfe gibt, die Poké­mon auf Fried­hö­fen jagen oder in eine Poli­zei­sta­tion gehen. Mit Hirn spie­len mache viel mehr Spaß. Und ja, das tat es. Meine Freunde und ich mach­ten aus­führ­li­che Spa­zier­gänge – denn je wei­ter man zu Fuß geht, umso schnel­ler wer­den Eier aus­ge­brü­tet und es schlüp­fen neue Mons­ter­chen. Auch das ist ziem­lich span­nend und man freut sich über den „Nach­wuchs“. Das Dis­play war aller­dings sel­ten inter­es­sant, wir waren also durch­aus fähig, auf den Weg vor uns und bei unse­ren Gesprä­chen auch in die Augen zu sehen.
Ansons­ten wischte man nur mit dem Dau­men ein­mal über das Dis­play, um das Spiel aktiv zu hal­ten. Genug Zeit also, um zu läs­tern, Neu­ig­kei­ten zu erzäh­len und sogar Urlaubs­pläne zu machen. Als dann eine der Freun­din­nen schon ein­mal zum Kochen vor­aus­ging, über­nahm ich kur­zer­hand ihr Handy und wir ver­län­ger­ten unse­ren Spa­zier­gang. Ja, es macht Spaß, die­ses Spiel, bei dem man sich ärgern kann, wenn das Mons­ter­chen wie­der aus dem Poke-Ball springt. Man kann sich aber auch mit­ein­an­der freuen, wenn gerade ein neues Tier­chen schlüpft oder wenn es gerade irgendwo sitzt, wo es sehr lus­tig aussieht.

Fazit: Es gibt sie natür­lich, die Men­schen, die das Spiel so ernst neh­men, dass sie sogar vor Ver­rückt­hei­ten nicht zurück­schre­cken oder sich in Gefahr brin­gen. Wenn man Poké­mon Go aber als ein net­tes Spiel sieht, dann bringt es außer Spiel­freude noch einige andere Dinge. Die Spie­ler gehen wie­der vor die Tür, an die fri­sche Luft, durch den Park oder in die Stadt. Sie machen Spa­zier­gänge. Die kleins­ten Eier wer­den nach 2 km Fuß­weg aus­ge­brü­tet, die größ­ten nach 10 km, man muss also doch Stre­cken lau­fen, um dies zu bewerk­stel­li­gen. Sieht man das Spiel also vom Bewe­gungs­aspekt, ist die­sem auch Genüge getan.

Spa­ziert man seine Run­den mit Freu­den oder der Fami­lie, kann man auch den sozia­len Aspekt nicht außer Acht las­sen. Nicht jeder Trend ist also sofort schlecht und gefähr­lich. Natür­lich geht es aber darum, das gesunde Maß zu fin­den. Ach­tet man nicht auf den Weg oder schreckt vor nichts zurück, bekommt das Spiel schlechte Sei­ten, die mit Sicher­heit so auch nicht gewollt sind. Aber das kennt man ja auch von den ver­irr­ten Autos, die von einem Len­ker mit tüch­ti­gem Navi­ga­ti­ons­sys­tem in dem Fluss gesteu­ert oder an die Mauer geklebt wer­den. Dabei ist das Navi gar kein Trend, son­dern ein Gebrauchs­ge­gen­stand. Aber über das Aktiv­hal­ten des mensch­li­chen Gehirns geht eben doch nichts. Ergo: Mit Maß und Ziel macht alles Spaß.

Bücher­bän­di­ge­rin Elisabeth
Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

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7 comments

magico 6. Oktober 2016 - 11:18

Ent­we­der wohne ich in dem Land, das hin­ter dem Land, hin­ter dem Mond liegt oder ich achte nicht genü­gend dar­auf, denn mir ist noch nie­mand begeg­net, der sich so selt­sam ver­hal­ten hat, wie es hier beschrie­ben wird.

Ansons­ten, ein prima Arti­kel, der sowohl die posi­ti­ven, als auch die nega­ti­ven Sei­ten die­ses Spiels beleuchtet.

Da du aller­dings davon schreibst, dass man erst ab 10 Kilo­me­ter die gro­ßen Eier aus­brü­ten kann (oder so) ... Kann man das Sys­tem nicht hin­ter­ge­hen, indem die 10 Kilo­me­ter ein­fach per Fahr­rad oder gar Auto zurücklegt?

Danke und Grüße

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Zeichensetzerin Alexa 9. Oktober 2016 - 22:56

In Bre­men war die­ser Poké­mon-Hype weit ver­brei­tet, zumin­dest am Anfang. Über­all waren Kin­der, Jugend­li­che und junge Erwach­sene (ältere sind mir, soweit ich mich erin­nere, nicht begeg­net – oder sie haben sich gut ver­steckt ;)), die an Pokestops an ihren Smart­phones hingen.
Da ich selbst eine Zeit lang gespielt habe, wusste ich natür­lich, dass die Spie­len­den nicht ohne Grund aus­ge­rech­net an die­ser einen Stra­ßen­ecke stan­den und aufs Dis­play starr­ten. 😉 Manch­mal kam ich mit ande­ren Spie­len­den so ins Gespräch. Ich glaube, das war das Span­nendste an die­sem Hype – eine Gemein­sam­keit mit sehr vie­len Men­schen zu haben, wie blöd das Spiel auch erschei­nen mag. 

Zu dei­ner Frage: man darf sich nicht zu schnell bewe­gen; nur Schritt­tempo wird vom Gerät erfasst. Also könnte man mit dem Fahr­rad (außer man fährt sehr lang­sam) und mit dem Auto kaum etwas bewirken.

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Marco 11. Oktober 2016 - 21:28

Ich muss meine Ant­wort etwas revi­die­ren. Heute haben mir ein paar jün­gere (oh, wie das klingt) Leute erzählt, dass es in unse­rer Stadt schon eine groß ange­legte Poké­mon-Nacht­wan­de­rung gab, die von der Poli­zei auf­ge­löst wer­den musste, da sich die Spie­ler um die bes­ten Plätze strit­ten. Und das teil­weise mit kör­per­li­cher Gewalt.

Es ist wie immer und Leben. Alles hat seine guten und schlech­ten Seiten.

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Zeichensetzerin Alexa 13. Oktober 2016 - 19:02

Ohja, da hast du natür­lich Recht. :/

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Satzhüterin Pia 17. Oktober 2016 - 14:51

Der Hype um das Spiel war am Anfang echt beängs­ti­gend! Inzwi­schen scheint es aber auch wie­der sehr abge­flaut zu sein. Ich selbst habe zwar nicht exzes­siv, aber doch gerne gespielt und mache es inzwi­schen gar nicht mehr an... So ist das mit Trends, sie ver­ge­hen so schnell, wie sie gekom­men sind 😉

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Erzähldetektivin Annette 1. November 2016 - 19:37

Da habe ich jetzt aber das Bedürf­nis mich für die App und natür­lich Poké­mon im All­ge­mei­nen Stark zu machen! Als gro­ßer Fan der Taschen­mons­ter hat mir Poké­monGo einen Kind­heits­traum erfüllt: ein­mal selbst als Trai­ner durch die Welt ziehen.

Mit­läu­fer­tum um einen gro­ßen Hype herum ist ja nichts neues und auch nicht per se schlecht. Ich fand es auch toll, unter­wegs viele Leute zu tref­fen, mit denen es zumin­dest diese eine Gemein­sam­keit gab. Nun bin ich jedoch froh, die Poké­s­tops und Are­nen nicht mehr mit so vie­len ande­ren tei­len zu müs­sen – das erhöht den Spiel­spaß, wie ich finde!

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Zeichensetzerin Alexa 4. November 2016 - 19:22

Ich fand das aus nost­al­gi­schen Grün­den auch super! Aber irgend­wie blieb dann das Erfolgs­er­leb­nis aus, bzw. diese Wei­ter­ent­wick­lung. Es war im Grunde immer nur das glei­che. Aber span­nend fand ich es am Anfang dennoch!

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