Schwimmen lernen

von | 30.04.2017 | Belletristik, Buchpranger

Was hat das Meer mit der Liebe und Eheproblemen zu tun? In Claire Fullers Roman „Eine englische Ehe“ hat Worteweberin Annika einige Hinweise gefunden.

Die Studentin Ingrid verliebt sich in ihren um viele Jahre älteren Literaturprofessor Gil. Nach einem leidenschaftlichen Sommer in der Küste ist sie schwanger. Als das an der Universität bekannt wird, müssen Gil und Ingrid ihre Koffer packen. Damit haben sich Ingrids Pläne vom Reisen, von Freiheit, Selbstbestimmung, von „auf keinen Fall Kinder und Ehe“ erledigt. Stattdessen sitzt sie bald in einem kleinen Dorf am Meer, kümmert sich um den Haushalt und erst eine Tochter, Nan, dann um zwei Töchter, als Flora geboren wird. Währenddessen sitzt Gil in der Gartenhütte an seinem neuen Roman und betrügt seine Frau immer wieder. In ihrer Unzufriedenheit beginnt Ingrid, ihm Briefe zu schreiben, die sie in den Büchern im Haus versteckt. Darin erzählt sie von ihrem Kennenlernen, von den Kindern, von ihrer Wahrheit:

„Was ich liebe: wie wir damals waren und wie wir hätten werden können.“ (S. 59)

Irgendwann schreibt Ingrid einen letzten Brief, geht raus zum Schwimmen und kehrt nie wieder zurück. Die Polizei erklärt sie für tot, doch das mag Flora nicht glauben. Von nun an übernimmt Nan die Rolle der Mutter und so geht die Zeit ins Land. Viele Jahre später erhält Flora einen Anruf, Gil hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Angeblich habe er vorher Ingrid gesehen und sei ihr gefolgt. Stimmt das? Flora fährt in das Haus an der Küste, um sich mit ihrer Schwester um Gil zu kümmern. Nebenbei versucht sie, die Vergangenheit besser zu verstehen, ohne zu wissen, dass sie nur eines der Bücher aufschlagen müsste.

In „Eine englische Ehe“ wechseln sich die Kapitel in der Gegenwart mit Ingrids Briefen aus der Vergangenheit ab. So entsteht ein komplexes Bild der Figuren, die alle nicht einfach schwarz oder weiß sind, sondern jede mit eigenen Fehlern irgendwo dazwischen liegen. Ebenso nuanciert ist die Vergangenheit, die für Flora ganz anders aussieht, als in Ingrids Briefen und in Nans Erinnerung. Nach und nach ergibt sich beim Lesen ein Bild vom Leben dieser Familie und auch von Ingrids und Gils Ehe. Trotzdem, auch am Ende bleiben einige Fragen offen. Besonders schön sind außerdem die spielerischen Bezüge zu den Büchern, in denen die Briefe versteckt werden.

So emotional und traurig die Geschichten dieser Menschen auch sind, Claire Fullers Roman gelingt es, nicht in den Kitsch abzurutschen. Zum Beispiel erhält die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Flora und dem Buchhändler Robert nur eine Nebenrolle und auch in Nans Schicksal als Ersatzmutter bleiben viele Leerstellen.

Ein wichtiges Motiv im Roman sind das Meer und das Schwimmen. Für Ingrid ist das Schwimmen der schönste Teil ihres Alltags und auch Flora liebt es, im Wasser ihre Bahnen zu ziehen. Während Gil dem Wasser eher skeptisch gegenübersteht und Ingrid die Ausflüge gerne verbieten möchte, kann Robert, Floras neuer Freund, gar nicht schwimmen. Aber vielleicht kann er es lernen. Der Originaltitel des Romans ist demnach treffenderweise auch „Swimming Lessons“.

„Eine englische Ehe“ ist unterhaltsam, spannend und nachdenklich stimmend.

Eine englische Ehe. Claire Fuller. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. Piper. 2017.

 

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