Schöne Worte – leere Worte

von | 28.11.2018 | Belletristik, Buchpranger

Der Inhalt von Anja Kampmanns Debütroman „Wie hoch die Wasser steigen“ steht im Prinzip im Klappentext. Viel mehr brauchen Leser nicht zu wissen. Aber es geht auch nicht um die Geschichte selbst, sondern um die Art der Erzählung, die Atmosphäre. Eindrucksvolle sprachliche Bilder, die Satzhüterin Pia dennoch nicht fesseln konnten.

Es ist eine Geschichte, die nach Roadmovie klingt: Der polnische Wanderarbeiter Waclaw, wahlweise auch Wenzel genannt, verliert bei einem Job auf einer Bohrinsel vor Marokko seinen langjährigen Freund und Kollegen Mátyás. Die Betreiber der Plattform machen sich nicht einmal die Mühe, nach dem Vermissten zu suchen – über Bord zu gehen, bedeutet den sicheren Tod – und schicken Waclaw an Land in einen mehrwöchigen Urlaub. Über dem Anfang 50-Jährigen macht sich die Einsamkeit, die die physische Abgeschnittenheit der Ölbohrinsel mit sich bringt, schlagartig breit.

Ohne seinen Freund verloren auf der stählernen Insel, begibt er sich auf eine Reise. Eine Reise, die ihn nach Ungarn, Malta, in die Alpen, ins Ruhrgebiet und zurück in ein kleines Dorf in Polen führt. Es beginnt damit, dass er die Sachen seines toten ungarischen Freundes zu dessen Angehörigen bringen möchte.

Kein Platz für eine klassische Plot- und Figurenentwicklung

 Nur gemächlich entfaltet sich die Geschichte. Schon der Einstieg ist langatmig, denn Leser wissen bereits aus dem Klappentext um den Verlust Waclaws. Es kann keine Spannung aufkommen, was die Autorin wohl auch nicht beabsichtigt, mich als Leserin aber ungeduldig werden ließ.

Trotz der Form der Roadnovel kommt die Autorin nicht auf die klassische Plot- oder Figurenentwicklung zurück, die üblicherweise dadurch vorangetrieben wird. Erinnerungseinschübe und Momentaufnahmen des Hier und Jetzt in Form einzelner Bilder drosseln das Tempo, durchbrechen das lineare Erzählen.

Dabei will Kampmann nah an dem Protagonisten bleiben und schildert seine Geschichte aus seinen Gedanken, seinem Blick heraus. Ich bin dennoch etwas verloren, er bleibt mir fremd und unzugänglich. Zwar sehen Leser durch seinen Blick die Welt, betrachten und erleben seinen Weg – den inneren und äußeren. Doch ein wenig scheint er nur das Instrument, sein Inneres leer genug, um gut hindurchblicken zu können. Waclaw bleibt irgendwie fad, seine schönen Worte doch letztendlich leer.

Bildhafte, lyrische Sprache

 Kampmanns Debüt ist sprachgewaltig. Es verwundert kaum, dass sie bisher als Dichterin, als Lyrikerin bekannt ist. Ihre Erzählung strotzt vor Vergleichen und wirkt dadurch schwerer als sie müsste. Nahezu jeder Satz ist stark konstruiert, bildgewaltig, könnte großartig für sich stehen und überlädt den Text letztendlich in der Summe. Die dabei emotionslose Erzählweise bewahrt die Sprache vor Kitsch und kommt dem doch sehr nahe. Ein Detail, was mich persönlich sehr gestört hat, war die fehlende Interpunktion in der wörtlichen Rede. Sie fügt sich so gut in den trägen Fluss der Geschichte ein. Motive wie die Taube und überhaupt Vögel, die die Autorin einfließen lässt, passen gut in den Roman, sind aber leider nicht neu oder erfrischend.

Ungewöhnlich ist dieser Kandidat des Deutschen Buchpreises (Longlist) sicherlich. Sprachlich schön gestaltet und mit einer Geschichte, so kurz sie erzählt sein könnte, in ihrer Intensität und Aktualität eines Wanderarbeiters, der in der modernen Welt verloren zu gehen scheint, bemerkenswert. Meinen Geschmack trifft die bildgewaltige, aber überladene Sprache nicht – wo ist der Biss, das Tempo? Zu leicht und melancholisch dümpelt man als Leserin oder Leser durch die Seiten. Und warum Waclaw auf seinem Weg letztendlich zurück zu seiner großen Liebe, seiner Frau Milena reisen muss, verstehe ich auch nicht ganz. Braucht er diesen Antrieb wirklich? Kann es nicht auch eine Reise zu sich selbst bleiben?

Wie hoch die Wasser steigen. Anja Kampmann. Carl Hanser Verlag. 2018.

 

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