Schmerzliche, unerfüllte, utopische Sehnsucht

von | 20.02.2019 | Belletristik, Buchpranger

Die Sehnsucht ist etwas, das sich nicht so einfach erklären lässt. Es ist ein „sehr komplexes Gefühl“, wie Rafik Schami im Nachwort schreibt. „Ihr Kern ist das Verlangen nach dem Utopischen, Unerfüllbaren.“ In der Anthologie „Sehnsucht“ aus der Reihe „Sechs Sterne“ setzen sich die sechs Autorinnen und Autoren mit diesem Gefühl auseinander. – Von Zeichensetzerin Alexa

Nach der letzten Anthologie zum Thema „Tiere“, geht es im aktuellen Band nun um ein Gefühl, das sich einer klaren Definition entzieht: Die Sehnsucht ist etwas Individuelles und wird als schmerzlich, unerfüllt, aber auch süßlich wahrgenommen. Dabei kann sich das Sehnen auf „eine Person, eine Landschaft, ein[en] Ort, eine Zeit (z.B. die Kindheit) oder eine positive Zukunft“ (S. 160) beziehen. Sehnsucht ist das Gefühl, etwas haben oder erreichen zu wollen, das in dem Moment nicht möglich ist:

„Aber die Sehnsucht, diese Sehnsucht, ein grausamer Pächter, diese Sehnsucht – lebenslänglich. Denn der Körper erinnert sich an alles. Auch an einen Wunsch. Ein Begehren. An eine Erfüllung, die nie stattgefunden hat.“ (S. 97)

In den Kurzgeschichten von Rafik Schami, Franz Hohler, Monika Helfer, Root Leeb, Michael Köhlmeier und Nataša Dragnić geht es um Heimweh, unerfüllte Liebe, die Sehnsucht nach einem geliebten Menschen, nach einem Ort aus der Vergangenheit, aber auch um Sehnsucht als „Sucht“. So entwickeln die Protagonisten in den Geschichten „Liebe am falschen Platz“ (Monika Helfer) und „Wie Ultramarin“ (Root Leeb) eine Obsession. Das Verlangen, den anderen Menschen wiederzusehen, führt soweit, dass Alltag, Arbeit und Familie vernachlässigt werden. Alles dreht sich nur noch darum, den herbeigesehnten Menschen zu verfolgen und auszuspionieren.

Die Geschichten variieren nicht nur in ihrer Länge, sondern zeigen auch viele unterschiedliche Perspektiven auf die „Sehnsucht“ auf. Teils wirken sie sehr nüchtern, weit ab vom Kitsch, wie man ihn möglicherweise bei einem Thema wie diesem erwarten würde. Andere hingegen transportieren durch den Schreibstil große Emotionen. Die Vielfalt zeigt sich insbesondere durch die unterschiedlichen Interpretationen der „Sehnsucht“, welche allerdings auch nach der Lektüre ungreifbar bleibt. Es ist eben ein „sehr komplexes Gefühl“ und nicht jeder Geschichte in dieser Anthologie gelingt es, die Sehnsucht zu entschlüsseln oder zu vermitteln. Lesenswert ist dieser Band dennoch.

Sehnsucht. Rafik Schami, Franz Hohler, Monika Helfer, Root Leeb, Michael Köhlmeier, Nataša Dragnić. ars vivendi. 2018.

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