Schlaflos in Norwegen

von | 11.11.2020 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

Seit vielen Jahren liegt Anders Bortne nachts wach und kann nicht schlafen, oft tagelang am Stück. Auf seiner Suche nach einer Lösung entstand ein Sachbuch, bei dessen Lektüre Zeilenschwimmerin Ronja sogar ihren Tee vergessen hat.

Ich hatte mir einen Tee gemacht, mich in meinen Lesesessel gesetzt und wollte eigentlich nur mal ein neues Buch anlesen … Als ich wieder auftauchte, war mein Tee schon lange kalt. Ich leide zum Glück nicht unter Insomnie. Wie andere Menschen auch habe ich lediglich vereinzelte Nächte oder kurze Phasen, in denen ich schlechter schlafe. Dabei habe ich meistens das Problem, schlecht einschlafen zu können. Nach meiner Lektüre weiß ich nun, dass auch das schon zu den Schlafstörungen zählt und ein Anzeichen für Insomnie sein kann. Die Betonung liegt hier auf „kann“! (Kleiner Hinweis für alle Selbstdiagnostiker*innen da draußen.)

„Bei Insomnie geht es auch um Selbst-Bewusstsein. Ein schlafloses Gehirn ist ein Gehirn, das nicht aufhören kann, an sich selbst zu denken. Der Wunsch, den Schlaf kontrollieren zu können, kann das genaue Gegenteil bewirken.“ (S. 42)

Schlafentzug macht unaufmerksam, unkonzentriert und fahrig. Anhaltender Schlafentzug kann zu Halluzinationen und extremen Stimmungsschwankungen führen, verleitet zu ungesünderer Ernährung, kann Depressionen auslösen. Kurz: Schlaf ist für uns Menschen im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig. Und dennoch ist Schlaf ein Bereich unseres Lebens, der Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen nach wie vor viele Rätsel aufgibt.

„Wenn Sie dieses Buch dennoch lesen, dann lernen Sie etwas über Schlaf und Schlaflosigkeit, machen sich selbst einen Reim und bekommen eine Idee davon, wie es anderen schlaflosen Menschen ergeht.“ (S. 10)

Bortne warnt im Vorwort davor, dass sein Buch keines ist, das „leichtherzig Tipps zum besseren Schlafen gibt“ – wohl wahr. Von oberflächlichen Ratschlägen gibt es tatsächlich keine Spur. Stattdessen bietet „Schlaflos“ komplexe Antworten mit offenem Ende auf komplexe Fragen. Mit Fußnoten und Quellenangaben – etwas, das ich mir bei allen Sachbüchern wünschen würde.

So habe ich viel darüber gelernt, wie eng Schlaf und Schlafstörungen mit unserem Tagesleben verknüpft sind. Stress, Traumata und Depressionen können Schlafstörungen auslösen – oder umgekehrt aus ihnen hervorgehen. Es geht um Frühaufsteher und Nachteulen, die Auswirkungen von falschen Tabletten und die Auswirkungen von Schlaf auf unsere Evolution.

Doch wie mein vergessener Tee zeigt: „Schlaflos“ ist keineswegs ein trockenes Sachbuch. Vor allem ist es ein Erfahrungsbericht. Verfasst von jemandem, der mit Sprache umzugehen weiß. Leichtherzig mag es nicht sein, aber das bedeutet nicht, dass es nichts zum Schmunzeln gibt.

„[Der Tag-Nacht-Rhythmus] ist tief in unserem Erbmaterial verankert, in allem, was lebt – bis eines Tages ein Exemplar der zunehmend von sich selbst eingenommenen, widersprüchlichen Gattung Mensch mit den Beinen hoch gegen die Wand gelehnt und sich durch fünf Kissen abstützend in Norwegen auf einer Yogamatte liegt und denkt: Warum kann ich nicht schlafen?“ (S. 66 f.)

„Schlaflos“ ist kein Ratgeber, der DIE Lösung präsentiert, sondern ein Bericht, der keine Schwierigkeiten auslässt. Es gibt kein Erfolgsversprechen, dafür aber jede Menge Information, eine Prise Humor und – für alle, die Bortnes Schicksal oder ein ähnliches teilen – das Gefühl, verstanden zu werden.

Zuletzt möchte ich noch ein Hoch auf die Umschlaggestaltung von Marion Blomeyer aussprechen. Ein Cover mit einem Halbmond, der im Dunkeln leuchtet: Wer nicht schlafen kann, kann wenigstens etwas Cooles anstarren.

Schlaflos – Wie ich nach tausend Nächten endlich Ruhe fand. Anders Bortne. Aus dem Norwegischen von Sabine Richter. Mairisch. 2020. Erhältlich in der Buchhandlung eures Vertrauens. // Cover: www.mairisch.de

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