„Mich inspiriert, was von Herzen kommt, authentisch ist und  wenn jemand etwas zu sagen hat.“

So viele Buchfiguren hat Rufus Beck schon mit seiner wandelbaren Stimme zum Leben erweckt. Im Interview mit Bücherstädterin Ann-Christin verrät das Multitalent, wie man den Überblick bei all den Charakteren behält und was bei Halsschmerzen hilft.

BK: Herr Beck, wissen Sie in etwa, wie vielen Charakteren Sie bereits Ihre Stimme geliehen haben, oder verliert man da nach all der Zeit den Überblick?

RB: Die Gefahr den Überblick zu verlieren besteht schon, im Zweifel höre ich natürlich noch einmal in eine alte Aufnahme. Bei Harry Potter waren es über achtzig wesentliche Figuren, genau weiß ich das gar nicht mehr. Ich habe erst, als wir die letzten beiden Bücher aufgenommen haben, zur Sicherheit um eine elektronische Archivierung der Stimmen gebeten. Eine Figur, die im zweiten Band nur fünf Sätze hatte, könnte ja im siebten Band überraschend wieder auftauchen und eine von der Autorin Joanne K. Rowling raffiniert vorausgeplante Bedeutung erlangen. Vielleicht hatte ich für den Kurzauftritt vor Jahren spontan einen Ton in Schweizerdeutsch gewählt – da muss man dann Glück haben, wenn das passt. Mit den Dialekten verbinden sich auch Mentalitäten und Vorstellungen bis hin zu körperlichen Eigenarten. Ein Franke klingt erst mal behäbiger, rundlicher als ein Hanseate.

BK: Die Harry-Potter-Reihe dürfte zu Ihren bekanntesten Hörbucharbeiten zählen – und sicherlich auch zu jener mit den meisten Figuren? Wie haben Sie es geschafft, jeden Charakter einzigartig zu sprechen? Gibt es da besondere Tricks, die Sie verraten können?

RB: Wie schon gesagt, ich arbeite mir meiner bildlichen Vorstellungskraft. Wie schauen die Charaktere aus? Wie bewegen und verhalten sie sich? Ich habe in meinem Kopf ein Fotoalbum. Die Figuren sind wie eine Familie – da kann man auch jedes Mitglied imitieren, weil es charakteristische Eigenschaften hat. Wenn bei „Harry Potter“ ein Name auftrat, betrachtete ich den als Teil einer grossen Familie, so wie in einem Photoalbum, mit all den verschiedenen Gesichtern, Kostümen, Haltungen und dann kommt die entsprechende Stimme wie von selbst. Ich würde sagen, das sind 90 Prozent Talent und zehn Prozent Handwerk. Die einzelnen Figuren markiere ich in verschiedenen Farben, und weil es nicht so viele Farben wie Figuren gibt, kommen Punkte, Striche und andere graphische Erkennungszeichen hinzu. Markiert werden auch ausdrückliche Hinweise im Text: „flüsterte er, hauchte sie, donnerte es…“.
Ich nehme alle Texte in einem Zug ohne technische Hilfsmittel und Effekte, die einzige Ausnahme machte ich bei Harry Potter und der Figur des „Lord Voldemort“. Da benutzte ich einen Hall-Effekt, den ich selbst während der Aufnahmen manuell bedienen konnte. Geschnitten wird nur, wenn ich mich mal verspreche. Ein Problem ist allerdings, dass beim deutschen Satzbau im Unterschied zum Englischen das entscheidende Verb oder das sinngebende Substantiv oft erst am Ende einer längeren Periode auftaucht und Sie einen 800-Seiten-Roman nie auswendig können. Da braucht es neben dem Gespür und der Erfahrung ein gutes inneres Navigationssystem. Außerdem entwickeln und verändern sich Figuren im Laufe eines Romans.

BK: Was war eigentlich der schwierigste Charakter, dem Sie bisher ihre Stimme verliehen haben? Und welche Figuren haben Sie in all den Jahren besonders ins Herz geschlossen?

RB: Ich liebe alle Hörbuchproduktionen, die ich gemacht habe. Harry Potter ist natürlich der grösste Erfolg, den man als Künstler überhaupt erreichen kann. Fast 4 Millionen Hörbücher, ein Wahnsinn!

BK: War unter den Hörbuchproduktionen auch eines ihrer Lieblingsbücher?

RB: Ich nenne Ihnen, abgesehen von Harry Potter, drei Titel: „Der Meteoritenlöffel“ von Philip Ridley, „Superhero“ von Anthony McCarten und „Garp und wie er die Welt sah“ von John Irving.

BK: Sie sind ja nicht nur als Hörbuchsprecher bekannt, sondern eben auch als Schauspieler, Produzent und Regisseur und sogar Autor. Wonach wählen Sie ihre Projekte aus?

RB: Ich mache das, was mir Spass macht, was mich berührt oder interessiert und bei allen meinen künstlerischen Produktionen, versetze ich mich in die Position des Zuhörers oder Zuschauers, ich stelle mir vor wie es auf mich wirken würde, wenn ich unten sässe.

BK: Auf ihrer Homepage bezeichnen Sie sich selbst als „Zehnkämpfer der darstellenden Künste“, aber wie schaffen Sie es, so viele Berufungen unter einen Hut zu bekommen? Und nun die knifflige Frage: Wenn Sie sich für eine Sache entscheiden müssten, welche würden Sie wählen – und warum?

RB: Das kann ich so nicht sagen. Ich mache ja ganz unterschiedliche Dinge, das war am Anfang meiner Karriere so nicht vorgesehen, scheint aber meinem Charakter zu entsprechen. Mich interessieren viele verschiedene Herausforderungen – von Musik, Theater, Film, Hörbuch, Moderation bis zu meinen Soloauftritten. Ich bin quasi ein kreativer Tante-Emma-Laden: Der alles im Sortiment hat.

BK: Sie schreiben auch, dass die Jazzgitarre eine Ihrer großen Leidenschaften ist. Wie sind Sie zur Musik gekommen? Spielen Sie auch noch andere Instrumente?

RB: Ich habe spät, erst mit 11 Jahren angefangen Gitarre zu spielen, anfangs Folk und ab 17 Jahren habe ich mich nur noch für Jazz Gitarre interessiert.

BK: Musik kann bekanntlich auch als Inspiration dienen. Wie ist das bei Ihnen? Was inspiriert Sie?

RB: Mich inspiriert, was von Herzen kommt, authentisch ist und wenn jemand etwas zu sagen hat.

BK: Derzeit treten Sie mit Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ auf. Einem Einpersonenstück mit „musikalischer Stand-up-Comedy“. Was verbirgt sich hinter diesem bunten Mix? Was sind die besonderen Herausforderungen während des Spiels?

RB: Der Sommernachtstraum ist zwar Shakespeares bekannteste, aber auch komplizierteste Komödie. Ich versuche die Geschichte zu entwirren, und spiele meine eigene, ironische, moderne Version des „Sommernachtstraums“. Dabei interpretiere ich die Figuren sehr plastisch, teils im Dialekt, schlüpfe dabei in die verschiedenen fantastischen Figuren Shakespeares:
“Zettel“ , “Oberon“, “Titania“, die Liebenden „Hermia“, “Helena“,“Lysander“, “Demetrius“ und begebe mich immer wieder in die Rolle des Conferencier und Erzähler.
Es ist ein riesen Spass und Gaudi, eine moderne Interpretation diese ewigen Dramas der Liebe. Am besten kann ich das anhand eines Gedichts von Heinrich Heine erklären, worum es geht.

„Ein Jüngling liebt ein Mädchen
Die hat einen anderen erwählt
der andere liebt eine andere
Und hat sich mit dieser vermählt

Das Mädchen heiratet aus Ärger
den ersten besten Mann
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran

Es ist eine alte Geschichte
Doch bleibt sie immer neu;
und wem sie just passieret
Dem bricht das Herz entzwei“

BK: Welche Projekte können wir in nächster Zeit von Ihnen erwarten?

RB: Ich spiele im Herbst zusammen mit meinem Sohn Jonathan ein Theaterstück in den Kammerspielen Hamburg und gastiere dort bis Anfang November.

BK: Ein Tipp für Vorleser, Musiker und Co.: Welches Hausmittelchen hilft Ihrer Meinung nach gegen Heiserkeit und Halsschmerzen?

RB: Schweigen und sich eine Auszeit gönnen.

BK: Und zu guter Letzt unsere Bücherstadt Kurier Spezialfragen: Stellen Sie sich vor, sie wären ein Buch – welches wären Sie? Und warum dieses?

RB: Ich wäre gerne Tausend und eine Nacht, Bibel, Koran und Mahabarata zugleich.

BK: Gibt es eine Frage, die Sie sich in einem Interview schon immer mal gewünscht haben? Wie würde Ihre Antwort darauf lauten?

RB: No comment.

Dieses Interview erschien erstmals in der 13. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto: Christian Kaufmann

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