Eine junge Frau verschwindet, doch statt Mitleid schlagen der Familie nur Verschwörungstheorien und Hass entgegen. Keine schöne Welt ist das, der Worteweberin Annika in Nick Drnasos Graphic Novel „Sabrina“ begegnet ist, aber leider eine realistische.

Mit dem mairisch-Verleger und Indiebook-Initiator Daniel Beskos und der Autorin Karen Köhler (zuletzt „Miroloi“, 2019) sind für die Übersetzung der deutschen Ausgabe zwei bekannte Gesichter verantwortlich. Schon das verweist auf den enormen Erfolg, den Nick Drnasos Graphic Novel in der englischen Fassung feiern konnte. Als erste Graphic Novel überhaupt war „Sabrina“ 2018 für den renommierten Booker Prize nominiert. „Ein erschütterndes Kunstwerk“ titelte die New York Times, „sensationell zeitgenössisch“ die Süddeutsche Zeitung und Autorin Zadie Smith nannte es gar das beste Buch über alle Genres hinweg über unsere moderne Welt. Was ist es, womit „Sabrina“ die Presse und Kritiker total verhext?

Bedrückende Welt

Die Zeichnungen von Nick Drnaso alleine sind es sicherlich nicht. Er entwirft eine flächige Welt, bevölkert mit stämmigen Figuren, die mit wenigen Details ausgestattet sind – bedrückend schlicht und schnörkellos. Das erleichtert nicht unbedingt das (Wieder-)Erkennen der Figuren. (Immerhin 70 Seiten habe ich gebraucht, um zu merken, dass auf den ersten Seiten nicht die gleiche Figur zu sehen war wie unser späterer Protagonist, sondern Sabrina selbst). Aber diese Bilder lenken nicht ab, sondern werfen die Betrachterinnen und Betrachter zurück auf die Handlung und die bedrückende Welt, in der sie spielt.

Sabrina, eine junge Frau, verschwindet spurlos, und ihr Freund Teddy verzweifelt. Bei seinem ehemaligen Schulfreund Calvin Wrobel, dem Protagonisten der Geschichte, findet er Unterschlupf. Während Calvin sich mit familiären Sorgen und einer wichtigen Arbeitsentscheidung herumplagt, zieht sich Teddy völlig zurück. Dann taucht ein Video von Sabrina auf, sie wurde ermordet. Oder etwa nicht? In Internetforen und auf einem obskuren Radiosender wird heiß diskutiert, ob Sabrina, ihre Familie und auch Teddy und Calvin nicht einfach nur Schauspieler sind. Die Stimmung heizt sich immer weiter auf, jeden Moment, meint man, müsste die Situation eskalieren.

Total verhext

Fake News, Verschwörungstheorien, Vereinsamung, allgemeine Verunsicherung und schnell gezückte Waffen sind einige der Dinge, die die Welt in „Sabrina“ ausmachen und die man beim Lesen weit von sich schieben möchte, in die USA vor allem, wo die Geschichte spielt. Vieles davon liegt leider viel zu nahe an der Realität, nicht nur dort. Das Bild, das hier von Amerika gezeichnet wird, kann auch für Leserinnen und Leser in Europa eine Warnung sein.

„Sabrina“ ist eine Graphic Novel, die einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Die freudlose, bedrohliche Welt, die in Bildern und Handlung aufgebaut wird, erschüttert – zum Glück. Die Hoffnung bleibt, dass es weder in Amerika noch sonst irgendwo auf der Welt so weit kommen wird. Wer Lust auf eine Lektüre hat, die nachdenklich macht, kann sich hier wunderbar verhexen lassen. Wer Graphic Novels hingegen vor allem wegen der künstlerischen Bebilderung liest, könnte enttäuscht werden.

Sabrina. Nick Drnaso. Aus dem Amerikanischen von Daniel Beskos und Karen Köhler. Blumenbar. 2019.

 

Bücherstadt Magazin

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