Newt Scamander und der verunglückte Schnitt

von | 27.11.2018 | Filme, Filmtheater

Mit „Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen“ von Regisseur David Yates läuft der zweite Film von J.K. Rowlings Wizarding World zurzeit in den Kinos und bildet den Nachfolger des 2016er Films „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“. Ob der zweite Teil der Reihe eine Kinoempfehlung ist, verraten euch Geschichtenerzähler Adrian und Geschichtenzeichnerin Celina.

Der zweite von fünf geplanten Teilen der „Phantastische Tierwesen“-Reihe setzt kurz nach den Ereignissen des ersten Teils an. Der Magizoologe – ein Forscher für magische Tierwesen – Newt Scamander, gespielt von Eddie Redmayne, hat, nach der Zerstörung New Yorks, mit einem Ausreiseverbot des Londoner Magieministeriums zu kämpfen.

Nachdem ein weiterer Einspruch Newts gegen dieses Verbot abgelehnt wird, setzt ihn der junge Direktor der Zauberschule von Hogwarts Albus Dumbledore, hier verkörpert von Jude Law, erneut auf einen Auftrag an, welcher ihn nach Paris führt. Dieses Mal ist es kein Tierwesen, sondern er soll den von Ezra Miller gespielten Credence finden und vor den Machenschaften des Schwarzmagiers Gellert Grindelwald (Johnny Depp) beschützen.

Newt appariert zusammen mit seinem Muggel-Freund Jacob, dargestellt durch Dan Fogler, nach Paris. Dort wollen sie Jacobs feste Freundin Queenie (Alison Sudol) finden, welche wegen eines Streites nach Paris entflohen ist. Grindelwald, der während seiner Überführung von Amerika nach Großbritannien seiner Haft entkam, setzt seine Weltergreifungspläne in Paris fort, wozu er auch den jungen Credence, beziehungsweise seine Fähigkeiten, braucht.

Credence, der zusammen mit der Maledicta Nagini – wer jetzt an Voldemorts Schlange denkt, liegt richtig –, gespielt von Claudia Kim, vor Kurzem aus einem Wanderzirkus entkam, wandert nun durch die Straßen der französischen Hauptstadt, auf der Suche nach seiner Identität. In Paris treffen Newt und Jacob Queenies Schwester Tina (Kathrine Waterstone) wieder, welche ebenfalls nach Credence sucht.

Zu… viele… Charaktere

Wer nach diesem Überfliegen der Rahmenhandlung des Films durcheinander ist, dem sei gesagt, dass dies vielleicht gerade so fünfzig Prozent der Charaktere sind, denen man in diesem etwas mehr als zweistündigen Film irgendwie eine Charakterentwicklung geben will. Und das gleichzeitig. Fragt man sich nun, ob das überhaupt funktioniert, dann ist die Antwort: Nein, tut es nicht.

Überschlägt man es grob, versucht Drehbuchautorin und Wizarding World-Schöpferin J.K. Rowling hier einen Einblick in die Gefühlswelt von circa zehn Charakteren zu geben und diesen soweit eine Entwicklung zu ermöglichen, dass ihre Geschichte die Zuschauer emotional packt.

Hier fällt auf, dass Rowling eher Buch- als Drehbuchautorin ist, denn mit solch einer Vielzahl an Figuren zu hantieren, ohne, dass welche hinten überfallen, ist vielleicht in sieben Büchern – wie bei Harry Potter – zu bewerkstelligen, aber kaum bis gar nicht im Film. Allgemein fallen Rowlings Ursprünge als Buchautorin hier sehr auf, denn der Film wirkt eher so, als hätte es ein Buch sein sollen, welches für das Kino zusammengekürzt werden musste.

Mehr Kontext, Baby!

Neben so viel Charakterentwicklung auch noch eine durchdachte und konsistente Geschichte zu erzählen, scheint da schier unmöglich, sodass auch immer wieder Verwirrung und Kontextlücken auftauchen. Am prägnantesten merkt man diese Lücken etwa bei szenischen Übergängen.

Als Beispiel die Szene, welche dem Film noch die Berechtigung gibt, warum im Titel „Phantastische Tierwesen“ steht. So sind, zusammen mit Credence und Nagini, mehrere Tierwesen aus dem Zirkus ausgebrochen und wandern nun durch Paris. Darunter ist ein chinesisches, katzen-hund-drachenartiges Wesen, das eine Spur der Zerstörung hinterlässt.

Haben sich die drei Helden Newt, Tina und Jacob in einer vorherigen Szene noch aus einem Gefängnis in der Kanalisation befreit, so sind sie nach einem Schnitt mitten im Geschehen und in der Interaktion mit dem Tierwesen. Zwar ist das Apparieren – Teleportation – hier die wahrscheinlichste Erklärung, doch obwohl diese Handlung nur eine Sekunde dauert, wird sie nicht gezeigt und es kommt zu einem unangenehmen Hardcut.

Hier wird sichtbar, wie der Film beinahe lose zusammengeschnitten wirkt, denn obwohl dieses Tierwesen später noch kurz wichtig wird, macht diese Szene den Eindruck, im Handlungsverlauf komplett „out of context“ zu sein. Es hätte bessere Momente gegeben, dies in die Handlung einzubetten.

Für Muggel teilweise geeignet

Ein großer Pluspunkt an den „Harry Potter“-Filmen war, dass man als Zuschauer mit Harry zusammen die magische Welt und ihre wundervollen Eigenheiten kennengelernt hat. Es kam nie das Gefühl auf, dass Harry mehr über die Welt wusste als der Zuschauer selbst. So war es möglich, Teil dieses Universums zu werden, ohne als Außenseiter dazustehen.

Die neuen Filme der Wizarding World nehmen da nicht gerade Rücksicht auf Verluste. Wo Harry noch die richtige Aussprache lernen musste – es ist Wingardium LiviOsa, nicht Liviosaaaaa – werden Zauber neuerdings nur noch selten wirklich ausgesprochen und auch ihre Effekte muss man sich irgendwie zusammenreimen.

Einzig Newt Scamander scheint noch Wert darauf zu legen, dass der Zuschauer in der Welt mitkommt. Taucht ein neues Tierwesen auf, so vermittelt er einen kurzen, prägnanten und hilfreichen Überblick über dessen Herkunft und Lebensweise. Zieht Rowling dieses Schema weiter durch die kommenden drei Filme, so werden höchstens wahre Potterheads noch das komplette Ausmaß einiger Entscheidungen und Handlungen begreifen.

Wie Star Trek nur mit weniger Klingonen

Auch wenn der Film „Phantastische Tierwesen 2“ inhaltlich eher mau ausfällt, sind die Effekte, wie im ersten Teil, beeindruckend und paradox realistisch – paradox daher, da das Unrealistische (Magie) so realistisch und glaubhaft erscheint.

Im direkten Vergleich „Phantastische Tierwesen“ und „Harry Potter“, ist das Star Trek-Universum ein passendes Ebenbild. So wirkt die Technik in den heutigen Filmen und Serien des Si-Fi-Klassikers bei weitem besser und weniger dilettantisch als damals, obwohl die meisten dieser neuen Werke mehrere Jahrhunderte vor ihren Vorlagen spielen.

Im Wizarding World-Universum wirkt nun die Magie in Hogwarts zu Harry Potters Schulzeit eher wie eine abgespeckte Demo-Magie-Version gegen das, was in den neueren Filmen – die eigentlich vor der Zeit Harry Potters spielen – präsentiert wird.

#namedropping

Ob nun gut oder schlecht, das soll wohl jeder für sich entscheiden, setzt J.K. Rowling, neben dem Ausbau von größeren, bekannten Charakteren – wie etwa Albus Dumbledore – ebenso auf teils schlecht durchdachten Fan-Service. Beispielsweise taucht hintergründlich in Hogwarts die aus den Harry Potter-Filmen bekannte Lehrerin Minerva McGonagall auf. Ihr Auftauchen ist jedoch nur durch irgendeine Art von Zeitreise zu erklären, denn zu dieser Zeit wäre eben jene Minerva McGonagall noch gar nicht geboren.

Auch die Rolle, die der Alchemist Nicolas Flamel im Film spielt, hätte einer der anderen Charaktere leicht übernehmen können. Was diesem in seiner oder ihrer Charakterentwicklung gut getan hätte. Für die paar Szenen, in denen Flamel auftaucht, wäre es echt nicht wichtig gewesen, ihn als noch einen weiteren Charakter einzuführen.

Vom Drehbuch gefesselt

Auch wenn viele Johnny Depp als Grindelwald im ersten Teil eher skeptisch gegenüberstanden, ist zu sagen, dass er hier eine wirklich gute Performance ablegt. Ebenso mimt Eddie Redmayne Newt erneut auf eine wunderbare Weise. Ihm scheint diese Rolle des tierlieben, naiven Zauberers wie auf den Leib geschnitten zu sein. Das große Problem liegt hier wohl beim Drehbuch, welches die Schauspieler so sehr einengt, dass selbst das versuchte Um-das-Drehbuch-Herumspielen einiger Schauspieler nur teilweise gelingt.

Selbst Regisseur David Yates, der mit den Harry Potter-Filmen vier bis acht bewiesen hat, dass er diese Welt gut inszenieren kann, scheint hier vom Drehbuch stark eingeschränkt zu sein. J.K. Rowlings Handhabe über die Geschichte der Wizarding World scheint in vielen Aspekten Fluch und Segen zugleich zu sein.

Wenigstens die Tierwesen sind fantastisch

Konzentrierte sich der erste Teil der „Phantastischen Tierwesen“ noch auf eine Handvoll Charaktere, so ist „Grindelwalds Verbrechen“ schier überladen damit, was logische und nachvollziehbare Charakter- und Weltentwicklungen beinahe unmöglich macht.

Der Kinobesuch lohnt sich hier eher für die grandiosen Effekte und für das Eintauchen in die Welt. Wer einfach wissen will, wie die Geschichte weitergeht, für den ist es eher ratsam, sich die DVD/Blu-ray mal auszuleihen.

Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen. Regie: David Yates. Drehbuch: J.K. Rowling. Darsteller: Eddie Redmayne, Johnny Depp, Jude Law u.a. Warner Bros. Pictures. 2018.

Bild: Warner Bros.

 

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