Negligevapse

von | 17.12.2022 | Belletristik, Buchpranger

Nach dem großen Erfolg der ersten deutschen Übersetzung („Meter pro Sekunde“) ist nun auch das Debüt von Stine Pilgaard aus dem Dänischen übersetzt worden. „Meine Mutter sagt“ ist für Satzhüterin Pia wie nach Hause kommen.

Die Ich-Erzählerin, Studentin und vermutlich irgendwo in ihren Zwanzigern, wird von ihrer langjährigen Partnerin verlassen und zieht notgedrungen wieder zu ihrem Vater. Die getrennten Eltern sind jeweils in neuen Beziehungen, mit ganz eigenen Dynamiken. Während der Vater eine angenehme Figur darstellt, sind die Gespräche mit der Mutter gespickt mit fragwürdigen Ratschlägen – vielen Ratschlägen, daher auch der Titel des Buches: „Meine Mutter sagt“ ist der gefühlt häufigste Satzanfang. Dazu gibt es die fantastische beste Freundin Mulle und, ebenfalls ein vielbesuchter Mensch, den Arzt der Protagonistin.

Seepferdchenmonologe

Die kurzen, eher lose und locker aus dem Leben erzählenden Kapitel werden durch sogenannte Seepferdchenmonologe aufgelockert. Wusstet ihr, dass der Hirnbereich Hippocampus einem Seepferdchen ähnelt? Hier werden die Erinnerungen vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis verschoben. Die Kapitel geben sprachlich wunderschöne Einblicke ins Innenleben und die Gefühlswelt der namenlosen Protagonistin. Assoziativ sind die Seepferdchenmonologe in die Erzählungen eingebunden, eröffnen dabei aber eine ganz eigene Welt, die sich auch sprachlich vom Rest unterscheidet. Sie klingen leiser und philosophischer.

Gespräche zwischen der Protagonistin und ihrem Arzt schwanken zwischen amüsant, philosophisch und durchaus merkwürdig, zum Beispiel im Gespräch zu ebenjenen Seepferdchen: Diese würden unablässig alles um sich herum schlucken, sie hätten kein Darmsystem oder ähnliches. Da die Männchen auch den Nachwuchs ausbrüten würden, sei es um die Weibchen besonders schlimm bestellt:

„Niemals verlässt etwas wirklich ihren Körper, sage ich, und ganz genau so geht es mir auch. Er sagt, Hippocampus ist ja nur eine Bezeichnung. Trotzdem, es gibt drinnen im Gehirn ein Seepferdchen, das über sämtliche Erinnerungen herrscht, sage ich. Mein Arzt nickt, ja, so könne man das tatsächlich ausdrücken.“ (S. 25)

Sprachliche Finessen

Aufbau und Stil unterscheiden sich nicht groß von der ersten Übersetzung ins Deutsche und so fühlt sich das Lesen von „Meine Mutter sagt“ ein bisschen wie nach Hause zu kommen an – denn einem derartigen Sprach- und Erzählstil bin ich sonst noch nicht begegnet. Stilistisch ist es sicherlich eine Geschmacksfrage. Der fließende Text ohne Satzzeichen zur wörtlichen Rede funktioniert vor allem klanglich gut. Also kann man sich den Text, so meine Erfahrung, am besten leise selbst vorlesen. Eigentlich bin ich kein Fan von mangelnden Satzzeichen, hier aber finde ich es erneut sehr stimmig. Sprachlicher Witz und Finessen in den Formulierungen machen das (Vor)Lesen zu einem wahren Vergnügen.

Negligevapse, eine Liebeserklärung auf Inuit, ist übrigens das Ergebnis eines Brainstormings zu geeigneten Alternativen dänischer (oder hier: deutscher) Liebesbekundungen.

Trotz der Liebeskummerthematik fühlt sich das Buch mit seiner Sprache, dem Witz und den sympathischen Figuren wie eine warme Wortdusche an. Ein schönes, sanftes und kurzweiliges Buch – ich freue mich auf weitere Übersetzungen.

Meine Mutter sagt. Stine Pilgaard. Aus dem Dänischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon Verlag. 2022.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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