Musik als Mittel zur Freude

by Zeichensetzerin Alexa

Wenn Mär­chen neu erzählt wer­den, besteht immer die Gefahr, dass sie nicht an ihre Vor­lage her­an­kom­men. Vor allem, wenn es sich um so große Namen wie Hans Chris­tian Ander­sen han­delt. Doch um die­sen Anspruch braucht sich Peter Ver­helst mit sei­ner Ver­sion von „Das Geheim­nis der Nach­ti­gall“ keine Sor­gen zu machen. – Von Zei­chen­set­ze­rin Alexa

Das Geheimnis der Nachtigall

Die Nach­ti­gall ist kein beson­ders auf­fäl­li­ger Vogel. Sie beein­druckt eher mit ihrer Stimme – wie auch in die­sem Mär­chen: Als der Kai­ser den Vogel zum ers­ten Mal sin­gen hört, ist er so begeis­tert, dass er ihn nicht wie­der her­ge­ben mag. So muss die Nach­ti­gall im Palast ver­wei­len und für den Kai­ser sin­gen, sobald er danach ver­langt. Was ist das Geheim­nis die­ses Vogels? Des Kai­sers Leute – ein Arzt, ein Juwe­lier und ein Musik­in­stru­men­ten­bauer – wol­len es her­aus­fin­den. Sie ste­cken ihre Köpfe zusam­men, um den Vogel nach­zu­bauen. Und dann ent­steht eine per­fekte Nach­ti­gall, wel­che die immer glei­che Melo­die singt, stets per Knopf­druck funk­tio­niert und nie­mals Feh­ler macht. Selbst der Anblick die­ses Vogels ist fas­zi­nie­rend: Gol­den glänzt sein Kör­per, geschmückt mit bun­ten Juwe­len. Wie soll die graue Nach­ti­gall, die eben nicht per­fekt ist, gegen ein sol­ches Geschöpf ankom­men? Die echte Nach­ti­gall wird nicht mehr gebraucht und muss den Palast verlassen.

„Das Geheim­nis der Nach­ti­gall“ hält sich zu gro­ßen Tei­len an das Ori­gi­nal – und bie­tet mehr: Hier wer­den die Leser mit Beschrei­bun­gen von Ort und Zeit der Hand­lung des Mär­chens in die Geschichte ein­ge­führt. Da das Mär­chen aus der Sicht eines Mäd­chens erzählt wird, ist der Zugang ein ande­rer als beim Ori­gi­nal. Die Distanz wird durch die Ich-Per­spek­tive durch­bro­chen und bie­tet so die Mög­lich­keit, andere Ele­mente – näm­lich jene, die aus der Sicht des Mäd­chens rele­vant sind – ein­zu­brin­gen. Und natür­lich spielt hier­bei das Kind­sein eine Rolle: Das Kind ver­steht nicht, warum ein ech­ter Vogel ver­trie­ben wird, um einem leb­lo­sen Platz zu machen. Es kann nicht nach­voll­zie­hen, dass etwas per­fekt sein muss, um Auf­merk­sam­keit zu erlan­gen. Dass eben die­ses Kind den Kai­ser wie­der auf den rich­ti­gen Weg bringt, beweist – wie in so vie­len Geschich­ten – dass Erwach­sene schnell den Blick für das Wesent­li­che verlieren.

Als sei diese text­li­che Umset­zung nicht genug, wird das Mär­chen mit hoch­wer­ti­gen Illus­tra­tio­nen unter­malt. Die ganz­sei­ti­gen Bil­der wir­ken wie Gemälde, mit kräf­ti­gen Far­ben und Farb­ver­läu­fen, die Stim­mung und Atmo­sphäre aus­drü­cken. Die Betrach­tung die­ser Bil­der in Ver­bin­dung mit dem Text erweckt den Ein­druck von hoher Qua­li­tät, die in die­ser Kom­bi­na­tion das ursprüng­li­che Mär­chen überragen.

Das Geheim­nis der Nach­ti­gall. Peter Ver­helst. Nach einem Mär­chen von Hans Chris­tian Ander­sen. Über­set­zung: Mir­jam Press­ler. Illus­tra­tion: Carll Cneut. Boje Ver­lag. 2009.

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