Mit dem „Traumschiff“ die letzte Reise antreten

von | 25.09.2016 | Belletristik, Buchpranger

Bevor es im Oktober wieder mit der Lesereise „LiteraTour Nord“ losgeht, wirft Zeichensetzerin Alexa einen Blick auf die nominierten Titel des letzten Jahres. Einer davon ist „Traumschiff“ von Alban Nikolai Herbst – ein Roman über Bewusstsein und Vergessen.

traumschiff„Traumschiff“ ist eines dieser Bücher, die ruhig vor sich hin erzählen, wenig Handlung beinhalten, dafür aber umso mehr Gedanken. Gefühle? Auch die sind zwischen den Zeilen versteckt, nicht wirklich intensiv-emotional durch die Sprache spürbar, aber dennoch irgendwo vorhanden. Es ist, als würde man sich selbst auf diesem „Traumschiff“ aufhalten, dem Meeresrauschen lauschen, den Möwen beim Kreischen zuhören, mit den Wellen mitschwingen – auf und ab, auf und ab. Und dennoch gibt es nicht wirklich ein – zumindest sprachliches – Auf und Ab. Es gibt keine Spannung, die durch die wenige Handlung herbeigerufen werden könnte. Nicht einmal durch die Sprache entsteht ein schnelleres Tempo. Langsam bewegen sich Lesende durch die Sätze, erfahren sehr viel über den Protagonisten, über seine Einstellung, seine Gedanken, vor allem aber über seine Vergangenheit.

Bewusstsein

Erinnerungen sind eine wichtige Thematik dieses Werkes: Gregor Lanmeister, der einst ein erfolgreicher Geschäftsmann war, begibt sich auf das „Traumschiff“, um eine Weltreise zu unternehmen. Doch tut er das wirklich? Anfangs noch in die Irre geführt, findet man schnell zu der Lösung, dass es sich bei dem „Traumschiff“ nicht wirklich um ein Schiff handelt – und dass Erinnerungen ebenso wahr wie falsch sein können. Die Gedanken Lanmeisters drehen sich immer wieder um das Bewusstsein: „Wenn einer von uns geht, kommt ein neuer Bewusster dazu.“ (S. 17) Was hat es mit diesem Bewusstsein zu tun? Recht schnell wird ersichtlich, dass der Protagonist unter Alzheimer leidet.

Vergessen

Die Gedächtnislücken werden immer größer, der Körper verfällt – und immer wieder der Verweis auf 144 Passagiere, die das „Traumschiff“ nicht mehr verlassen werden. Die Zahl ergibt sich aus dem chinesischen Spiel Mah-Jongg, bei dem es darum geht, zueinander passende Steine zu sammeln und das eigene Spielbild zu vervollständigen. Vervollständigen lassen sich die Gedächtnislücken des Protagonisten jedoch nicht mehr.
„So bilden sich in der See blasse Flecken. Die verblassen aber immer noch weiter. Bis sie zu Löchern geworden sind. Durch die sieht das Bewusstsein aufs Meer und sieht der eigenen Auslöschung zu. Ein fester Ort nach dem anderen wird aus uns ausgelöscht. Wir hören schlechter, unser Geschmackssinn verkümmert.“ (S. 19)

Angedeutet

Andeutungen auf die Mythologie und Zweideutigkeiten lassen die tiefere Auseinandersetzung des Autors mit der Thematik erkennen. Wer weiter gräbt, wird diesbezüglich so manches finden. Wer nicht auf Schatzsuche gehen mag oder die Andeutungen nicht erkennt, wird auf der Oberfläche schwimmen und sich mit einer ruhigen, vor sich hin plätschernden Geschichte zufrieden geben müssen. Letztendlich ist diese Oberfläche unbefriedigend: Die Auflösung der Geschichte ist schon lange klar und selbst bei Veränderungen des seelischen sowie körperlichen Zustandes des Protagonisten, ändert sich nichts am sprachlichen Stil. Die Längen, die daraus entstehen, sind damit die größte Schwäche dieses Buches. Kann man darüber hinwegsehen, erwartet die Leser ein ruhiger Roman über einen sterbenden Mann, der zunehmend alles um sich herum vergisst.

Traumschiff. Alban Nikolai Herbst. mare. 2015. www.albannikolaiherbst.twoday.net

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