Menschen, die Götter spielen

von | 15.08.2016 | Belletristik, Buchpranger

Einen sehr abstrakten was-wäre-wenn-Gedanken spinnt Will Hofmann in seinem Roman „Götter“ bis ins kleinste Detail weiter: Selbsternannte Götter halten Menschen auf nahezu mittelalterlichem Niveau in Reservaten als Sklaven. Satzhüterin Pia hat sich mit auf die Flucht zweier dieser Gefangenen begeben.

Deutschland im 21. Jahrhundert, genaues Jahr nicht bekannt. Nahe Hannover, in der Lüneburger Heide, existieren vier geheime Reservate. Nach Geschlechtern getrennt leben in diesen kleinen Dörfern jeweils etwa 200 Menschen und werden wie Sklaven gehalten und körperlich sowie sexuell ausgebeutet. Die sogenannten Götter richten über die einzelnen Reservate, über Leben und Tod, Bildungsstand und Aufgaben, die zu verrichten sind – stets zu ihrem eigenen Vorteil.

Spannende Figuren?

Aus einem der Frauenreservate entkommt Agnes auf brillante Art und Weise dem Tod durch den Strang und entflieht. Schon als Kind hinterfragte sie die Religion und das Weltbild, was den Bewohnerinnen durch die Göttinnen vermittelt wurde – denn bei den Frauen ist von Tier bis Mensch alles ausschließlich weiblich. Günter flüchtet aus einem der Männerreservate, wenn auch deutlich spontaner und unbeholfener. Natürlich treffen diese beiden Menschen aufeinander und lernen erstmals eine Person aus einem anderen Reservat kennen – und das erste Mal das andere Geschlecht.
Zeitgleich lernen die Leser Figuren aus dem zivilisierten Deutschland kennen. Zum Beispiel Clemens, einen charismatischen Mann mit vielen, teils dubiosen Kontakten. Einer dieser zwielichtigen Bekanntschaften ist Rudolf, anfangs aufmüpfiger Internatsschüler, bald darauf Teil einer Art Sekte, genannt die „Streber“, in die er auch Clemens bringt. Auf diese Streber wird wiederum Inga aufmerksam, die Sektenbeauftragte der Bundesregierung.

GötterWährend Agnes eine gut gezeichnete und spannende Figur ist, scheinen alle anderen etwas blass, zuweilen zu schlicht konstruiert zu sein. Die Tiefe von Agnes geht ihnen allen ab und lässt sie insgesamt dünn und eher unausgearbeitet erscheinen.

Verwirrende Zeitlichkeit

Die recht kurzen und dichten Abschnitte innerhalb der vier Kapitel lesen sich angenehm, fehlende Überschriften erschweren jedoch die anfängliche Orientierung. Nach etwa hundert Seiten finden Lesende sich besser zurecht, aber erst zum Ende des Buches werden auch die letzten Fragen beantwortet. Man merkt, wie gründlich der Autor Hofmann die Grundidee ausgearbeitet hat, denn am Schluss wird alles restlos aufgeklärt.
Die Zeitsprünge innerhalb der Geschichte sind jedoch verwirrend, unregelmäßig und oft sehr vage. Die fehlenden Jahresangaben und oft schwammigen Zeiträume lassen viel Raum für gedankliche Freiheit der Leser, genauso sorgen sie allerdings für zu wenig Anhaltspunkte und Unklarheiten.
Beim Erzählstrang von Inga wirkt es manchmal so, als müssten noch schnell vermeintlich wichtige, anfangs jedoch irrelevant scheinende Informationen genannt werden – anfangs irrelevant, weil deren Bedeutung erst zum Ende hin deutlich wird. Auch das genaue Alter der Figuren bleibt offen. An manchen Stellen wären diese Informationen jedoch sehr wichtig gewesen. Die einzige Zeitangabe findet sich zu Beginn des ersten Kapitels, als es heißt: „17 Jahre zuvor.“

Erfrischende Rollenverteilung

Ein Roman, in dem Menschen nach Geschlechtern getrennt in Reservaten gehalten werden, scheint prädestiniert für eine klassische Rollenverteilung. Doch Hofmann überrascht mit „Götter“, denn die Geschlechterrollen sind hier erfrischend anders. Während Günter in seinem Reservat als Erzieher arbeitete und handwerklich reichlich ungeschickt scheint, ist Agnes mit ihrer analytisch-wissenschaftlichen Art schnell hinter die Farce der „Götter“ gekommen, rettet sich auf eine hochintelligente und mutige Art das Leben und lernt schnell zu jagen und zu überleben. Auch später, als Günter und Agnes ein gemeinsames Leben aufbauen, bleiben die klassischen Geschlechterrollen vermischt und jeder übernimmt mal alle Aufgaben. Schön ist auch, dass dies nicht weiter benannt oder thematisiert wird, sondern ganz selbstverständlich abläuft.

Aber das Lektorat …

Auch ohne besonders auf Rechtschreibung und Co. zu achten, stolpert man als LeserIn in „Götter“ schnell über zahlreiche Fehler. Es ist erneut das Lektorat von Elmar Klupsch, was unangenehm auffällt. Flüchtigkeitsfehler wie beleibt statt beliebt (Seite 59), erreichtet statt errichtet (Seite 72) oder auch versprach7 (Seite 93) lassen den Roman unfertig erscheinen. In einigen Sätzen fehlen Wörter für einen vollständigen Satz (Seite 129), in anderen ist ein Wort zu viel, sodass der Sinn des Satzes unklar wird (Seite 144). Auch Wortdoppelungen („Einen Einen Stuhl und Tisch stellten sie her […]“, Seite 47) und Namensverwechslungen bleiben nicht aus. So wird auf Seite 164 in einem Inga-Kapitel zweimal der Name Agnes verwendet.

Es wird immer wieder deutlich: Das Lektorat ist unermesslich wichtig, damit ein Roman rund und sauber gelesen werden kann. Kaum etwas kann perfekt werden, in dieser Häufung lassen die Fehler den Text und die Arbeit daran jedoch stümperhaft wirken. Sehr schade, da auch eine gute Geschichte dadurch an Wert verlieren kann.

Interessant, aber nicht spektakulär

Hofmann hat mit seinem Roman „Götter“ ein sehr interessantes und recht provokatives Thema aufbereitet, was bis auf einige Ausnahmen sprachlich solide geschildert wird. Die Abschnitte „Prolog“ und „Flucht“ sind spannend und machen sehr neugierig, wie genau die einzelnen Erzählstränge zusammengeführt werden. Man fragt sich beim Lesen, wie genau die Welt in diesem Roman-Deutschland aussieht.
Das Lektorat wird in der zweiten Hälfte des Romans deutlich besser, leider verliert die Geschichte dafür leicht an Spannung. Die genaue Auflösung und Erklärung gegen Ende zeigt, dass Hofmann sich die Geschichte und die Welt sehr genau überlegt hat. Leider ist genau das auch sein größtes Manko, denn so wirkt alles oft wie in einem Sachbuch bis ins Detail geschildert. Den Lesern wird zu wenig zugetraut und der Wunsch Hofmanns, all die überlegten Details mitzuteilen, macht das Buch im Abgang langatmig und überladen.

Insgesamt ein fesselndes Buch, dem seine Schwächen verziehen werden können. Wie vom Fabulus-Verlag gewohnt, sind Cover und Schnittverzierung – hier in silbergrau – sehr schön gestaltet und ein Hingucker im Bücherregal.

Götter. Will Hofmann. Fabulus-Verlag. 2016.

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