Meine Klamotten sind Geschichte! „Flicken und stopfen. Das Handbuch für einen nachhaltigen Kleiderschrank“

by Buchstaplerin Maike

Ein Loch im Shirt? Dann weg damit! Lohnt sich eh nicht. Oder? Buch­stap­le­rin Maike hat „Fli­cken und stop­fen. Das Hand­buch für einen nach­hal­ti­gen Klei­der­schrank“ zum Anlass genom­men, end­lich all ihre löch­ri­gen Socken zu repa­rie­ren. Dabei hat sie mehr gelernt, als nur bes­ser mit Nadel und Faden umzugehen.

Cover Flicken und stopfenMeine Socken haben Löcher. An der Ferse. Am gro­ßen Zeh. Und von mei­nen Strumpf­ho­sen will ich gar nicht erst anfan­gen. Oft denke ich daran, sie end­lich weg­zu­wer­fen. Dann habe ich mei­nen Vater im Ohr, der sagt: „Damit kann man noch Schuhe put­zen. Oder das Wasch­be­cken schrub­ben!“ – das kann ich alten Lieb­lings­so­cken nicht antun. Dann denke ich doch lie­ber daran, dass meine Oma ihre selbst­ge­strick­ten Socken immer und immer wie­der gestopft hat. Warum kann ich eigent­lich nicht stop­fen? Weil ein Fün­fer­pack Socken fünf Euro kos­tet? Es muss sich etwas ändern.

„Der Strumpf hat viel erlebt
Regen und Matsch
Son­nen­schein und Wind
harte Arbeit
weite Wege
schlaf­lose Nächte
und ver­passte Mahl­zei­ten.“ (S. 95)

Der Rat­ge­ber von Nina und Sonya Mon­te­ne­gro ist eine Lie­bes­er­klä­rung an Slow Fashion und den acht­sa­men Umgang mit den Din­gen, die wir schon besit­zen. Sie gehen auf Grund­tech­ni­ken ein: Was ist die Grund­aus­stat­tung? Wel­che Sti­che gibt es? Was ist der Unter­schied zwi­schen gewebt und gewirkt (also gestrickt)? Was mache ich mit einem kaput­ten Reiß­ver­schluss, oder mit einem zu wei­ten Shirt? Wel­che Löcher kann ich stop­fen, und bei wel­chen sollte ich lie­ber einen robus­ten Fli­cken ein­nä­hen? Und wie stelle ich das auf­fäl­lig und schön an? Unsicht­bare Repa­ra­tu­ren sind näm­lich gar nicht das Ziel die­ses Buches. Es zele­briert Visi­ble Men­ding: Ob mit kunst­vol­ler japa­ni­scher Sashiko-Sti­cke­rei oder ein­fach nur bun­ter Wolle, die Repa­ra­tur macht die Geschichte des Klei­dungs­stücks sicht­bar. Das kämpft gegen das Vor­ur­teil an, dass Fli­cken etwas mit Armut zu tun haben, und regt dazu an, die ver­jüng­ten Klei­der mit Stolz zu tra­gen. Denn dahin­ter steckt der Grund­ge­danke, die Res­sour­cen, die Arbeit und die Nähe­rin zu respek­tie­ren. Indem wir sie repa­rie­ren, ver­län­gern wir ihr Leben und ent­zie­hen uns dem Fast Fashion Kreislauf.

„Die Begriffe heil machen und Hei­lung sind mit­ein­an­der ver­wandt.“ (S. 25)

Wer nüch­tern bebil­derte Anlei­tun­gen sucht, könnte von die­sem Buch ent­täuscht wer­den. Slow Fashion ist auch im Lay­out Pro­gramm: Nach­denk­li­che und gemüt­li­che Erzäh­lun­gen lockern die Kapi­tel auf. Auch die pla­ka­ti­ven, bun­ten, recht gro­ben Illus­tra­tio­nen, wel­che die Tuto­ri­als bebil­dern, ver­stär­ken den unper­fek­ten, aber acht­sa­men Gesamt­ein­druck. Für alle, die noch nicht so recht wis­sen, wie sie ihren All­tag ein biss­chen nach­hal­ti­ger machen kön­nen, oder die ihren Lieb­lings­stü­cken mit krea­ti­ven Sti­cke­reien zu einem neuen Look (und neuen Leben) ver­hel­fen wol­len, ist das Buch aller­dings ein guter Startpunkt.

„Dinge kön­nen wie­der in Ord­nung gebracht wer­den. Wun­den hei­len. Men­schen kön­nen ver­zei­hen und Mit­ge­fühl zei­gen. Repa­rie­ren gehört zum Leben.“ (S. 19ff.)

Das Buch hat mich ange­regt, über die Geschichte mei­ner Klei­dung nach­zu­den­ken, und wie sie mit mei­ner Geschichte ver­wo­ben ist. Vor über zehn Jah­ren hat mich eine Reise nach Lon­don nach­hal­tig geprägt. Ich war ein Teen­ager, und bis zu die­ser Klas­sen­fahrt habe ich nie ein ande­res Land von innen gese­hen. Wir konn­ten es uns ein­fach nicht leis­ten. Apro­pos leis­ten: In einer bil­li­gen Fast-Fashion-Kette habe ich mir als Andenken ein Drei­er­pack bun­ter Socken gekauft, nicht mal beson­ders hübsch, und defi­ni­tiv nicht beson­ders hoch­wer­tig. Über die Her­kunft der Baum­wolle und die Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen der Men­schen, die das Garn und die Far­ben gemacht haben, denke ich lie­ber nicht nach. Drei Paar Socken, die ich getra­gen habe, bis die Löcher so groß waren, dass sie nicht mal mehr als Unter­zieh­so­cken im Win­ter getaugt haben. Sie sind vier­mal mit mir umge­zo­gen und leben im hin­ters­ten Win­kel mei­ner Socken­schub­lade. Bis jetzt. Jetzt sind die Löcher zu. Sieht das gut aus? Nicht wirk­lich. Kann ich die Socken alle wie­der anzie­hen? Ja. Und jetzt kann ich jedes Mal an Lon­don denken.

Vor Kur­zem habe ich mir bewusst eine Latz­hose gekauft, aus Lon­don, von einer nach­hal­ti­gen Marke. Ich hatte sie kaum eine Woche, hatte sie noch nicht ein­mal gewa­schen. Da pas­sierte es: Ich blieb an einer Tür­klinke hän­gen und riss ein gro­ßes Loch in den neuen, schö­nen Stoff. Ich habe den Riss repa­riert. Man sieht ihn noch ein biss­chen. Aber das ist nicht schlimm. Denn: Jetzt muss ich nicht mehr vor­sich­tig sein mit mei­ner schö­nen, neuen, teu­ren Hose. Sie darf ihr Leben haben, zusam­men mit mir. Darf kaputt gehen, weil ich mit jeder Repa­ra­tur ihre Geschichte ver­län­gern kann.

Ich freue mich dar­auf, dass meine liebs­ten Pul­lis Makel und meine selbst­ge­strick­ten Socken Löcher bekom­men. (Hof­fent­lich dau­ert es noch eine Weile. Aber bis dann bin ich bereit.)

Fli­cken und stop­fen: Das Hand­buch für einen nach­hal­ti­gen Klei­der­schrank. Nina und Sonya Mon­te­ne­gro. Aus dem Eng­li­schen von Wiebke Krabbe. Süd­West. 2021.

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