Magie oder Wahnsinn – wie kann man Mädchen am besten brechen

von | 17.04.2022 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

„The Grace Year“ verspricht eine spannende Mischung aus Magie und Feminismus in einem leicht dystopischen Setting. Ob die Umsetzung gelungen ist, verrät Bücherstädterin Jasmin.

Jedes Jahr werden alle 16-jährigen Mädchen von Garner County in die Wildnis verbannt. In „The Grace Year“ müssen sie ein Jahr lang allein in einem kleinen Lager überleben, denn nur so können ihre magischen Fähigkeiten, vor denen sich die Männer so fürchten, ausgetrieben werden. Über die Geschehnisse darf danach nie wieder geredet werden. Alles was in diesem Jahr passiert, bleibt auf ewig verborgen. Für Tierney James steht dieses Gnadenjahr kurz bevor. Danach wird sie entweder verheiratet oder muss als Arbeiterin bis zu ihrem Tod schuften, falls sie zurückkommen sollte. Zusammen mit den anderen Mädchen aus ihrem Jahrgang bricht sie auf und merkt schnell, dass nicht nur die Wilderer ein Problem darstellen, es sind vor allem die Mädchen, die sich selbst zum Verhängnis werden.

Hohe Erwartungen wurden schnell zu einer großen Enttäuschung

Der Roman beginnt sehr stark, man wird sofort in die männerdominierte Welt von Tierney gerissen und kann es kaum erwarten, zu erfahren, was ihr während des Gnadenjahres widerfahren wird. Auch die Protagonistin selbst wirkt mit ihrem rebellischen und intelligenten Charakter sehr sympathisch, weshalb meine Erwartungen an den weiteren Verlauf der Geschichte sehr hoch waren. Leider wurde ich enttäuscht.

Während es anfangs noch schien, als würden sich die Mädchen zusammenschließen, um nicht nur das Gnadenjahr zu überstehen, sondern auch um langfristig etwas an ihrer unterdrückten Position zu ändern und für Gleichberechtigung zu kämpfen, schlägt das Buch schnell eine ganz andere Richtung ein. Der Großteil des Jahres erinnert an einen Zickenkrieg kleiner Mädchen. Von Zusammenhalt und Feminismus kann nicht die Rede sein, stattdessen ist Tierney die Einzige, die die Probleme der Gesellschaft ändern möchte, was auch regelmäßig erwähnt werden muss. Das ist zumindest der Fall, bevor noch eine Liebesgeschichte dazwischen gequetscht wird.

Liebe als Form des Wahnsinns

Von einem Moment auf den anderen scheint ihre rebellische Ader komplett auszusetzen, nun möchte sie nur noch fliehen, um ein sorgenloses Leben mit einem ihr größtenteils fremden Mann zu führen. Insgesamt weicht der Hauptteil stark von der eigentlichen Idee des Buches ab, wodurch ich mit der Zeit nur noch mit dem Kopf schütteln konnte. Nicht nur, dass Tierney zu Anfang des Jahres als tragische Heldin dargestellt wird, die als einzige in der Lage ist, rational zu denken, und es schließlich doch nicht schafft, gegen den Wahnsinn der anderen zu siegen, sondern auch dass sich ihr Charakter der unnötigen Liebesgeschichte anpassen musste, fand ich traurig.

Umso überraschender war dafür das überzeugende Ende. Vor allem die letzten Kapitel schaffen es, die Geschichte gut abzurunden und auch der lang ersehnte Feminismus ist nun zu erkennen. Es endet zwar nicht, wie ich es mir zu Anfang erhofft habe, aber die letzten Seiten erinnern mich an den starken Anfang.

Insgesamt hatte „The Grace Year“ viel ungenutztes Potenzial, das im Hauptteil links liegen gelassen wurde. Die Grundidee hinter der Geschichte finde ich immer noch sehr stark, doch die Umsetzung ist leider nicht gut gelungen.

The Grace Year: Ihr Widerstand ist die Liebe. Kim Ligget. Übersetzung: Birgit Salzmann. Dressler. 2020.

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