Lest unabhängig! Drei Indie-Buch-Tipps Indie Book Day am 26.03.2022

by Worteweberin Annika

Neben den gro­ßen Ver­lags­häu­sern gibt es sie noch, die klei­nen Ver­lage, die viel Herz­blut in wenige, ganz beson­dere Titel ste­cken. Und zum Glück gibt es den Indie Book Day, der die Bücher die­ser Ver­lage fei­ert. Weil Worte­we­be­rin Annika immer öfter unab­hän­gig liest, hat sie Tipps für euch zusammengestellt.

Schöffling & Co.: „Damenbart“

Cover DamenbartDer Kurz­ge­schich­ten­band „Damen­bart“ ist das lite­ra­ri­sche Debüt der deut­schen, in New York als Jour­na­lis­tin leben­den Sarah Pines. Ihre Texte sind weni­ger aus­ge­las­sen-hei­ter, als das som­mer­li­che Cover erwar­ten lässt: Sie erzäh­len von der alles andere als rosi­gen Seite der Liebe: von geschei­ter­ten Ehen, dys­funk­tio­na­len Bezie­hun­gen, Tren­nun­gen, dem War­ten auf einen Ver­eh­rer, der nie auf­taucht … Fast alle der Sto­ries sind aus der Sicht von Frauen erzählt, die mit wenig Hoff­nung auf das Leben bli­cken. Exem­pla­risch dafür ist die ame­ri­ka­ni­sche, weiße Haus­frau Shaina in der Geschichte „Buf­falo“. Am Fern­se­her ver­folgt sie die Wahl Donald Trumps zum Prä­si­den­ten, neben sich Häpp­chen und Getränke für Gäste, die nicht erschie­nen sind, wäh­rend oben ihr Mann nach der har­ten Arbeit mal wie­der ein­ge­schla­fen ist. Sie ist ein­sam, unge­wollt kin­der­los und auch wenn „ihr Prä­si­dent“ jetzt an die Macht kommt, die Zukunft gehört ihr nicht. Nach vier Jah­ren ist der mit­täg­li­che Lebens­mit­tel­ein­kauf wei­ter­hin das High­light in Shai­nas Tages­ab­lauf, nur dass sie jetzt in Jog­ging­hose und Nacht­hemd los­geht, statt sich hübsch zu machen. Bald wird „ihr Prä­si­dent“ nicht mehr regie­ren, doch ob das etwas ändern wird?

„Ame­rika ist voll von die­sen Orten, an denen Men­schen für sehr wenig arbei­ten und an denen der Geist geplün­dert ist. Die Regale der Stadt ste­hen schon lange leer.“ (S. 112)

Sarah Pines seziert die Situa­tio­nen und Stim­mun­gen und spielt mit Andeu­tun­gen. Die Texte erzäh­len von Ame­rika, Deutsch­land, Grie­chen­land und durch­wan­dern die sozia­len Klas­sen: Wir begeg­nen Hol­ly­wood­schau­spie­le­rin­nen, Putz­frauen, gehen in Vil­len und klei­nen Abstei­gen ein und aus. Mal sind die Sto­ries hart und derb, mal skiz­zen­haft, mal dra­ma­tisch. Mit „Damen­bart“ ist Sarah Pines ein abwechs­lungs­rei­cher Strauß an Kurz­tex­ten gelun­gen – der zwar nicht für gute Laune, aber für gute Unter­hal­tung sorgt.

Damen­bart. Sarah Pines. Schöff­ling & Co. 2022.

Mare: „Heute beißen die Fische nicht“

Cover Heute beißen die Fische nicht„Heute bei­ßen die Fische nicht“ von Ina West­man (Über­set­zung: Ste­fan Mos­ter) ist ein Roman über einen Som­mer auf einer fin­ni­schen Schä­ren­in­sel. Ein Roman über Emma und Joel. Über das, was von der Liebe übrig­bleibt. Über ihr Adop­tiv­kind Fanny und über Groß­va­ter. Über Nar­ben, das Ver­ges­sen und Schmer­zen. Über Geis­ter, Flucht und Welt­ver­bes­se­rer. Über Ras­sis­mus und den Kli­ma­wan­del. Und über Hoffnung.

Das sind viele große, schwere The­men, die die­ser Roman ver­sam­melt, und trotz­dem gelingt es Ina West­man in kur­zen Kapi­teln und mit span­nen­den Per­spek­tiv­wech­seln meist leicht­fü­ßig zu erzäh­len. Nur stel­len­weise hatte ich den Ein­druck, dass etwas weni­ger The­men auch aus­ge­reicht hät­ten. Aber ehr­lich gesagt hatte sie mich ja schon, bevor das erste Kapi­tel über­haupt los­ging, mit einem Tove-Jans­son-Zitat über­zeugt. Auch spä­ter spie­len kurze Kapi­tel über Fanny und ihren Groß­va­ter auf Jans­sons berühm­tes „Som­mer­buch“ an, das ja eben­falls auf einer fin­ni­schen Schä­ren­in­sel spielt. Die über­ra­schende Wen­dung im zwei­ten Teil des Romans von Ina West­man und das kluge Erzäh­len hal­ten das Ver­spre­chen, das das Motto des Romans macht – auch wenn ich auf den letz­ten Metern doch etwas mehr erwar­tet hatte. Trotz­dem eine klare Emp­feh­lung von mir!

Heute bei­ßen die Fische nicht. Ina West­man. Aus dem Fin­ni­schen von Ste­fan Mos­ter. Mare Ver­lag. 2021.

Voland & Quist: „Herr Rudi“

Am Tag nach sei­ner Pen­sio­nie­rung sitzt der Herr Rudi in einer Salz­bur­ger Hotel­ba­de­wanne, um ihn herum trei­ben Blau­bee­ren, auf dem Bett nebenan liegt ein Gewehr. Der Herr Rudi ist der Held – oder Anti­held? – im gleich­na­mi­gen Roman von Anna Her­zig. Er hatte es nicht immer leicht im Leben, eigent­lich sel­ten: Die Jugend­liebe ist gestor­ben, eine andere wirk­li­che Liebe hat es nie gege­ben. Als Gerichts­voll­zie­her hatte der Herr Rudi nicht immer ein rosi­ges Arbeits­le­ben, aber einen tol­len Freund zumin­dest hat es ihm beschert. Jetzt gibt es aber noch den Krebs – und damit war’s das dann auch irgend­wie für den Herrn Rudi.

In kur­zen Kapi­teln erzählt Anna Her­zig herr­lich nüch­tern, amü­sant und doch ganz nah dran am Prot­ago­nis­ten. Das ist berüh­rend und hin­ter­lässt einen Kloß im Hals, auch wenn es wun­der­bar unter­hält. So sollte gute Lite­ra­tur doch bes­ten­falls sein! „Herr Rudi“ ist ein kur­zer Roman, der alles rich­tig macht und damit ein hei­ßer Tipp für den Indie Book Day.

Herr Rudi. Anna Her­zig. Voland & Quist. 2020.

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