Lesende haben den Namen einer Romanfigur verdient

von | 12.05.2021 | Belletristik, Buchpranger

Heutzutage werden Buchsendungen zumeist unpersönlich im Paket mit der Post zugesendet. Wäre es nicht schön, wenn man die Bücher liebevoll verpackt und persönlich überreicht bekommen würde? Der Protagonist in Carsten Henns „Der Buchspazierer“ beliefert seine Kunden nach Geschäftsschluss auf diese Weise. Bücherstädterin Michelle-Denise hat den Buchspazierer auf seiner täglichen Route begleitet

Abends, wenn die Buchhandlung schließt, macht sich der Buchhändler Carl Kollhoff auf den Weg, seinen treuen Kunden ihre bestellten Bücher nach Hause zu bringen. Seit Jahren macht der ältere Herr Tag für Tag diesen Spaziergang. Er nimmt dabei immer die gleiche Route und weicht nicht von ihr ab. Dies hat auch ein kleines Mädchen bemerkt und passt ihn eines Tages ab, um ihn beim Austragen der Bücher zu begleiten. Obwohl Kollhoff zunächst gar nicht begeistert von der Anwesenheit des quirligen Mädchens ist, merkt er, dass sie ihm die Augen für die Welt außerhalb der Bücher öffnen kann.

„Bücher sind viel, viel gefährlicher als Eis! Sie verderben einem den Kopf. Oder noch schlimmer, das Herz.“ (S. 88)

Der Buchspazierer hat die Begabung, für alle Kunden das passende Buch zu finden. Er ist sehr feinfühlig und ihm liegen Bücher und die Vermittlung von Literatur sehr am Herzen. In seinen Gedanken haben Menschen, die gerne lesen, den Namen einer Romanfigur verdient. Ob Effi Briest, Mr Darcy oder Frau Langstrumpf – seine Kunden spricht er gedanklich nur mit diesen Namen an und malt sich ihr Leben basierend auf denen ihrer prominenten Namensgeber aus. Diese Vorgehensweise hat beim Lesen sofort mein Interesse geweckt. Liegt der Protagonist mit seiner Einschätzung aller Charaktere wirklich richtig? Denn schließlich hat er bei der Auswahl der Bücher seiner Kunden stets ein gutes Gespür bewiesen. Diese Frage hat mich nahezu bis zum Ende des Buches beschäftigt und sehr unterhalten.

„Bücherwürmer sind sehr seltene Tiere. Meist ausgesprochen scheu. Und eine aussterbende Spezies, die dringend geschützt werden sollte.“ (S. 171)

Während der Protagonist zunächst etwas unnahbar wirkt, so vollzieht er im Laufe des Buches eine realistisch erzählte Wandlung. Er wird nicht plötzlich ein anderer Mensch. Vielmehr behält er sein scheues Wesen bei, öffnet aber dennoch sein Herz für das kleine Mädchen. Man taucht zwar nicht gänzlich in die Gedanken des Protagonisten ein, aber durch seine Taten erhält man dennoch einen Zugang zu seinem sympathischen und liebvollen Wesen.

„Der Buchspazierer“ ist ein berührender Roman über das wahre Leben. Er erzählt von Veränderungen im beruflichen Umfeld, als auch im privaten Leben. Nicht nur Bücherwürmer werden eine Freude daran haben, mit dem Buchspazierer neue Routen zu erkunden.

Der Buchspazierer. Carsten Henn. Pendo Verlag. 2021

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