Lerne rassismuskritisch zu leben

von | 27.06.2022 | #OwnVoicesBK, Buchpranger, Sach- und Fachbücher, Specials

Für Satzhüterin Pia war „exit Racism“ von Tupoka Ogette ein wichtiger Meilenstein auf ihrer rassismuskritischen Reise raus aus Happyland. Mit „Und jetzt du“, Ogettes zweitem Buch, wiederholt sie vieles, aber lernt auch ebenso viel dazu.

Einmal Happyland verlassen, gibt es kein Zurück mehr. Und das ist auch gut so. Vieles, was Leser:innen oder Hörer:innen von Ogettes Erstlingswerk „exit Racism“ gelernt haben, kommt ihnen im zweiten Buch zugute. Ob sich „Und jetzt du. Rassismuskritisch leben“ ohne diese vorherige Lektüre gegebenenfalls anders liest – schwieriger oder verständnisloser zum Beispiel – kann ich somit nicht beurteilen. Die Autorin verweist aber früh auf ihr erstes Buch und legt überforderten Leser:innen erst einmal nahe, sich dieser ersten Lektion zum „rassismuskritsch[en] denken [L]ernen“ zu widmen.

Klug, besonnen und mit Wut gewürzt

Tupoka Ogette erklärt anschaulich und gut verständlich die unterschiedlichen Gesichter von Rassismus. Vor allem durch den persönlichen Background als Schwarze Frau in Deutschland, nimmt der eigene Erfahrungsschatz einen nicht geringen Anteil des Buches ein. Dabei spürt man bei jedem Thema, auf jeder Seite und in jedem Satz, wie geübt die Autorin (und Trainerin im Bereich Rassismuskritik) ist, weißen Menschen in dieser Hinsicht die Augen zu öffnen. Aber man spürt auch deutlich die gelegentliche Ohnmacht, die Angst und Wut, die eine permanente Belastung wie Rassismus auslösen können. Diese Mischung aus Fakten und Forschung, Geschichte und Politik, persönlichen Anekdoten und Berichten aus ihren Kursen machen das Buch authentisch und ja, sogar spannend. Zumindest, wenn man sich nicht sträubt, sich mit diesem unendlich wichtigen (so abgedroschen es auch klingt, es ist genau das: wichtig) und auch schambehafteten Thema auseinanderzusetzen.

Rassismuskritsch leben ist ein Prozess

Und zwar ein individueller Prozess. Ogettes freundliche, aber bestimmte Art, uns Leser:innen an die Hand zu nehmen, aufklärend darzulegen, wo genau welche Probleme und Mechanismen wie wirken, macht es mir leicht, mich mit ihr auf die Reise zu begeben. Oder vielmehr ein Stück mit diesem Buch in der Hand zu gehen, daraus viele Worte, Strategien, Informationen und auch Werkzeuge mitzunehmen und gestärkter weiterzumachen.

„Du kämpfst – nicht für Schwarze Menschen, Indigene und People of Color, sondern an ihrer Seite – gegen das rassistische System.“ (S. 88)

So unangenehm es sein kann, sich immer und immer wieder bewusst zu machen, wie sehr Rassismus das eigene Leben (unbewusst) mitbestimmt hat, so glücklich kann es machen, sich gewahr zu werden, auf dem richtigen Weg raus aus diesen ewig wirkenden Mechanismen zu sein. Dabei müssen wir weißen Menschen, die wir Rassismus nicht selbst erleben, aber so viel angeborene Verantwortung hierfür tragen, uns unserer Privilegien bewusst sein. Denn am Ende des Tages können wir entscheiden, ob und wie viel wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Je präsenter es demnach auch in unseren Köpfen ist, desto besser können wir unsere Privilegien nutzen und ein:e echte:r Ally werden.

Ein Leben lang lernen

Dass man nicht an der Stelle stehen bleiben kann, sich seiner Privilegien und des allgegenwärtigen Rassismus in Gesellschaft, Strukturen, (individuellem) Denken und Politik bewusst zu werden, ist naheliegend. Und so stört es auch nicht, dass sich viele Themen, Begriffe (white fragility etc. pp.) und Erläuterung wiederholen, sowohl innerhalb des Buches als auch zu anderen Lektüren wie beispielsweise „exit Racism“. Mit jeder erneuten Auseinandersetzung und Repetition verinnerlicht man all das ein bisschen mehr und gewinnt immer mehr Erkenntnisse. Man lernt Rassismus zu erkennen, zu benennen, zu demontieren und die Umwelt ein bisschen weiter zu sensibilisieren.

Ich möchte gerne „Pflichtlektüre!“ rufen, aber zu leicht können uneinsichtige, verunsicherte und abwehrende weiße Personen sich dem Zugang verschließen. Also sage ich nur eindringlich: Höre Betroffenen zu, lese und lerne, verschließe dich nicht und begib auch du dich auf eine Reise in ein rassismuskritisches Leben.

Und jetzt du. Rassismuskritisch leben. Tupoka Ogette. Penguin Verlag. 2022.

[tds_note]Ein Beitrag zum Themenjahr #OwnVoicesBK. Hier findet ihr alle Beiträge.
Hier geht’s zur Rezension von „exit Racism“.[/tds_note]

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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