„Kindern mehr zutrauen“: Familien als Teams

by Worteweberin Annika

Kindern mehr zutrauenDer All­tag mit Kin­dern fühlt sich manch­mal an wie ein Kampf. Das erlebte Autorin Michae­leen Dou­cl­eff und prä­sen­tiert im Sach­buch „Kin­dern mehr zutrauen“ eine Erzie­hungs­me­thode, die hel­fen soll. Worte­we­be­rin Annika war neugierig.

In „Kin­dern mehr zutrauen“ hat Michae­leen Dou­cl­eff ein span­nen­des Expe­ri­ment gewagt: Mit ihrer Toch­ter Rosy ist sie zu ver­schie­de­nen indi­ge­nen Völ­kern – den Maya, den Inuit und den Hadza in Tan­sa­nia – gereist, um zu ler­nen, wie Fami­lien dort leben. Warum? Rosys und Michae­leens Bezie­hung war vor die­sem Expe­ri­ment … kom­pli­ziert. Viele Wut­aus­brü­che auf bei­den Sei­ten, viel Streit und wenig Freude am gemein­sa­men Tun präg­ten ihren Umgang. In ihrem Sach­buch „Kin­dern mehr zutrauen“ erzählt die Autorin, wie die Rei­sen ihren Blick auf Erzie­hung und Fami­lie ver­än­dert haben und wie man mit Hilfe der TEAM-Erzie­hung Kin­der selbst­be­wuss­ter, freund­li­cher, aus­ge­gli­che­ner und hilfs­be­rei­ter machen kann.

Weni­ger schreien …

Michae­leen Dou­cl­eff ist keine Päd­ago­gin, son­dern stu­dierte Che­mi­ke­rin und arbei­tet als Jour­na­lis­tin. In Sachen Erzie­hung hat sie also auch nicht mehr Ahnung als ich oder andere „nor­male“ Müt­ter. Gleich­zei­tig merkt man, dass sie aus Ame­rika kommt und der Umgang mit Kin­dern dort anders zu sein scheint als bei uns. Schreien und auto­ri­täre Erzie­hung, so stellt es Dou­cl­eff jeden­falls dar, sind dort Gang und Gäbe und min­des­tens im Fall Rosy nicht der Schlüs­sel zu einer har­mo­ni­schen Bezie­hung und einem glück­li­chen Kind. Wer schon etwas Lite­ra­tur zum Thema bedürf­nis­ori­en­tierte Erzie­hung gele­sen hat, dürfte davon nicht über­rascht sein – offen­sicht­lich ist der deut­sche Buch­markt hier aber anders orga­ni­siert als der in den USA. So würde man in einem deut­schen Erzie­hungs­rat­ge­ber aus dem Jahr 2022 ver­mut­lich auch nicht dar­über schrei­ben, Fehl­ver­hal­ten „an der Wur­zel aus­zu­rot­ten“ (S. 15). Zum Glück sind die Metho­den dafür weni­ger bra­chial, als die For­mu­lie­rung ver­mu­ten lässt.

Doch auch, wenn mich einige der Ansätze im Buch nicht über­rascht oder über­zeugt haben, konnte ich aus „Kin­dern mehr zutrauen“ eini­ges mit­neh­men. Bei uns zu Hause gibt es sie eben­falls zu Hauf: die Wut, den Frust, die Dis­kus­sio­nen beim Anzie­hen, Aus­zie­hen, Essen, Ins-Bett-Gehen …

„Vor allem kon­zen­triert sich unsere Kul­tur fast aus­schließ­lich auf einen Aspekt der Eltern-Kind-Bezie­hung: die Kon­trolle. Dar­auf, wie viel Kon­trolle die Eltern über das Kind aus­üben, und dar­auf, wie viel Kon­trolle das Kind über die Eltern aus­zu­üben ver­sucht. […] Sehen wir Erzie­hung so, kom­men wir nicht ohne Macht­kämpfe, Streit, Schreien und Trä­nen aus.“ (S. 19)

… öfter warten

Bei den Maya, den Inuit und den Hadza ler­nen wir eine Erzie­hung ken­nen, die auf Team­work, Ermu­ti­gung (statt Zwang), Auto­no­mie und mini­ma­les Ein­grei­fen setzt – Michae­leen Dou­cl­eff nennt das die TEAM-Erzie­hung. Grob gesagt schlägt die­ser Ansatz vor, mehr Ruhe in den Fami­li­en­all­tag zu brin­gen: das Kind nicht stän­dig zu bespa­ßen, son­dern den eige­nen Auf­ga­ben nach­zu­ge­hen und Kin­der dazu ein­zu­la­den, am Kar­tof­feln­wa­schen, Fegen oder Umgra­ben teil­zu­neh­men, mit ihren Stär­ken und Schwä­chen. Manch­mal rei­che es aus, ein­fach abzu­war­ten und die Kin­der machen zu las­sen, statt alles kon­trol­lie­ren zu wollen.

Ein span­nen­des Expe­ri­ment, das die Autorin anregt, ist zum Bei­spiel, die Anwei­sun­gen und Fra­gen zu zäh­len, die man inner­halb einer Stunde an den Nach­wuchs rich­tet („Was machst du gerade?“, „Komm da her­un­ter!“, „Nein, das geht gerade nicht, lass uns lie­ber damit spie­len!“) und sie auf drei Stück pro Stunde zu redu­zie­ren – und zwar bes­ten­falls auf sol­che, die den Klei­nen Werte ver­mit­teln, statt sie in ihrer Auto­no­mie zu brem­sen. Denn oft rei­chen Bli­cke, Rou­ti­nen oder das Vor­ma­chen aus, um zu bestimm­tem Ver­hal­ten zu animieren.

„Wir kön­nen gelas­se­ner mit dem Ver­hal­ten unse­rer Kin­der umge­hen und unsere Vor­stel­lung des­sen, was man als guter Vater oder gute Mut­ter tun sollte, über­den­ken. Wir kön­nen dar­auf ver­trauen, dass die Kin­der bes­ser wis­sen, was sie zum Wach­sen und Ler­nen brau­chen.“ (S. 348)

Prak­ti­scher Alltagsbegleiter

Das Sach­buch besteht aus sehr anschau­li­chen Pas­sa­gen, in denen der All­tag in den ver­schie­de­nen Fami­lien beschrie­ben oder Situa­tio­nen aus Rosys und Michae­leens Leben dar­ge­stellt wer­den. Man merkt, wie ein­drück­lich ihre Erfah­run­gen auf den Rei­sen gewe­sen sein müs­sen – nicht zuletzt daran, dass diese Abschnitte teils leicht pathe­tisch daher­kom­men. Dar­über kann man aber hin­weg­se­hen, oder eben hin­weg­blät­tern und sich den „hand­fes­ten“ Kapi­teln zuwenden.

Die Autorin stellt viele kon­krete Werk­zeuge vor, zum Bei­spiel für Wut­an­fälle oder Gefah­ren­si­tua­tio­nen und zeigt in Bei­spie­len, wie diese Werk­zeuge in den indi­ge­nen Kul­tu­ren, aber auch im Wes­ten ange­wen­det wer­den kön­nen. Es gibt nach den Kapi­teln hilf­rei­che Zusam­men­fas­sun­gen und Auf­ga­ben, die man aus­pro­bie­ren kann. Natür­lich ist es mit „Kin­dern mehr zutrauen“ so wie mit jedem Erzie­hungs­rat­ge­ber: Nicht alle Werk­zeuge und Ideen pas­sen zu jedem Kind, zu jeder Fami­lie und zu jeder Situa­tion. Doch was wir bis­her für uns über­nom­men haben, funk­tio­niert gut – bei­spiels­weise das Erzie­hen mit Geschichten.

Wer auf der Suche nach einem neuen Blick­win­kel auf den Umgang mit Kin­dern ist, könnte mit „Kin­dern mehr zutrauen“ genau den rich­ti­gen Erzie­hungs­rat­ge­ber fin­den. Das Buch ist für Eltern kein Muss, aber ein prak­ti­scher Beglei­ter im Familienalltag.

Kin­dern mehr zutrauen. Erzie­hungs­ge­heim­nisse indi­ge­ner Kul­tu­ren. Stress­frei – gelas­sen – lie­be­voll. Michae­leen Dou­cl­eff. Aus dem Eng­li­schen von Ulrike Kret­schmer. Kösel. 2021.

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