KfZ, Kleinkind und Kummerkasten

von | 28.03.2022 | Belletristik, Buchpranger

„Meter pro Sekunde“ ist der dritte Roman der dänischen Autorin Stine Pilgaard, aber die erste Übersetzung ins Deutsche. Satzhüterin Pia hat der Einblick in das beschaulich-chaotische Leben der Protagonistin gefallen – als Buch und als Hörbuch.

Ausgerechnet eine wortgewandte Redakteurin landet im „Land der kurzen Sätze“: Westjütland. Sie lässt uns Leser:innen in ihr Leben zwischen dem Kleinkind-Mama-Sein, ihren Versuchen den Führerschein zu erlangen und ihrer Arbeit als Redakteurin des Lokalmagazins, verantwortlich für den „Kummerkasten“, blicken. Man fliegt dank der kurzen Kapitel förmlich durch das Buch: zwei, drei, vier Seiten erzählende Einblicke hier und dort in verschiedene Alltagssituationen, dann einen Kummerkastenbeitrag mit Frage und Antwort. Die Menschen schreiben dem „Orakel“ ihre Probleme und Sorgen, mit mal witzigen, mal ernsten, aber immer mit anekdotenreichen und selbstironischen Antworten reagiert die Protagonistin im Namen des Kummerkastens.

„Anders Agger schüttelte den Kopf und sagt, wo Wörter sind, ist Hoffnung.“ (S. 185)

Es braucht nicht Unmengen an Wörtern, um Bilder zu schaffen, Gefühle zu vermitteln und mit charmantem Witz zu erzählen. Die Sprache des Romans ist einfach, aber bei weitem nicht trivial. Die Protagonistin, Anhang eines Volkshochschullehrers, bekommt von ihrem Partner treffend beschrieben, warum sie in der Kommunikation mit den Einheimischen anfangs zu scheitern droht: „Du denkst in Prosa, die Leute hier fassen sich aber kurz.“

Die Geschichte selbst ist im Grunde wenig spannend und mehr wegen ihrer inhaltlich unaufgeregten, aber skurrilen Welt interessant, denn nicht nur Westjütland und seine Bewohner:innen sind ein wenig schräg, auch die Ich-Erzählerin ist es. Mit einem unverwüstlichen und trockenen Sinn für Humor begegnet sie den alltäglichen Widrigkeiten des Lebens – meistens kleinen, selten größeren.

„[…] wie auf einem Schaubild bewegst du dich zwischen drei Fixpunkten: KfZ, Kleinkind und Kummerkasten.“ (S. 237)

Highlights sind neben den unterhaltsamen und durchaus lehrreichen Kummerkasten-Antworten besonders auch die Fahrstunden. Das Talent zum Autofahren scheint der Protagonistin nämlich gänzlich abzugehen. Ob sie am Ende den Führerschein schafft? Und wird ihr Kleinkind irgendwann mehr als „Muh“ sagen?

Der Roman macht Spaß, aber auch das Hörbuch kann ich empfehlen. Caroline Peters liest die Geschichte der namenlosen Protagonistin sehr gelungen vor und passt stimmlich wirklich gut – ich habe beim Reinhören aber festgestellt, dass ich es in erhöhter Lesegeschwindigkeit besser fände. So entschleunigt wie die Geschichte ist, darf durch das Lesetempo gerne ein bisschen mehr Schwung reinkommen.

Sprachkunst, Witz und Selbstironie, Freundlichkeit und zeitgenössische Themen im beschaulichen Dänemark – „Meter pro Sekunde“ ist für mich ein kleines Lese-, aber auch Hörhighlight gewesen. Und ich freue mich schon jetzt auf kommende Übersetzungen von Stine Pilgaards Romanen.

Meter pro Sekunde. Stine Pilgaard. Aus dem Dänischen von: Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon. 2022.

Meter pro Sekunde. Stine Pilgaard. Aus dem Dänischen von: Hinrich Schmidt-Henkel. Gelesen von: Caroline Peters. Kanon. 2022.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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