(K)Einen Kaktus zu Weihnachten

von | 08.12.2019 | #litadvent, Kreativlabor, Specials

Sie knallte die Küchentür mit einem Schlag hinter sich zu. Trotzig hörte man sie die Holzstiege hinauf stampfen. Wieder mal ein fulminanter Auftritt meiner Schwiegermutter, die es partout nicht wahrhaben wollte, dass ihr mittlerweile 34 Jahre alter Sohnemann nicht ihr Eigentum war und er am kommenden Weihnachtsabend nicht zu Hause sein würde. Wobei, doch, das würde er. Aber eben in seinem eigenen Zuhause, da er sich selbst mit seiner Frau – als die ich mich seit drei Jahren bezeichnen durfte – geschaffen hatte.

Aber zum besseren Verständnis erzähle ich die Ereignisse besser von Anfang an. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung kann man wohl den Tag sehen, an dem wir uns kennenlernten. Darüber bin ich auch heute noch glücklich, ehrlich! Ich liebe meinen Mann sehr: seine Art, mich im Arm zu halten, oder wie er mir auch nach all der Zeit noch manchmal ganz verstohlen an den Po fasst, als wäre es was Verbotenes. Ich liebe seine Zärtlichkeiten und seine Aufmerksamkeit, wenn ich ihm etwas erzähle, aber auch seine Verletzlichkeit. Kurz gesagt: Ich liebe ihn. Und er liebt mich. Seitdem wir uns vor sieben Jahren das erste Mal auf einem Weihnachtsmarkt getroffen haben.

Thorsten, mein Mann, war nach der Arbeit mit seinen Kumpels auf einen Glühwein am Weihnachtsmarkt vorbei gegangen und stand bereits an einem Stehtisch, als ich mit meiner Schwester dort ankam. Da meine Schwester und ich bereits etwas länger durch die nebelverschleierte Innenstadt spaziert waren und uns die wunderschön weihnachtlich glitzernden Auslagen bei bezaubernd melancholischer Vorweihnachtsstimmung angeschaut hatten, wollten wir uns heiße Schokolade gönnen, um unsere Finger, Mägen und Kindheitserinnerungen aufzuwärmen.

Mit dem ersten Schluck der warmen Schoko waren meine Schwester und ich zurück versetzt in die Adventtage mit unserer Oma, die die besten Kekse mit uns gebacken und die leckerste heiße Schokolade für uns gekocht hatte. Und an manchen Nachmittagen, wenn es draußen besonders kalt und neblig-feucht war, hatte es auch Bratäpfel gegeben. Dann kuschelten wir uns alle drei gemeinsam unter eine Decke auf Omas Sofa, schlürften heiße Schokolade und naschten an unseren Bratäpfeln.

Das, was meiner Schwester und mir also an diesem Vorweihnachtsnachmittag noch fehlte, waren Bratäpfel. Meine Schwester machte sich auf, um uns vom Nebenstand welche zu holen, während ich liebevoll an die beschwingten Adventnachmittage mit meiner Oma dachte. Als meine Schwester nach einigen Minuten mit betrübtem Gesicht, jedoch ohne Bratäpfel zurückkam, war ich ganz schön enttäuscht und ließ meiner Wut über den präpotenten Fettsack, der sich nun unsere leckeren Oma-Bratäpfel reinstopfte, freien Lauf.

In meinem Monolog über die Ungerechtigkeit des Lebens bemerkte ich gar nicht, wie meine Schwester ihre Kapuze immer tiefer ins Gesicht zog, bis mir plötzlich jemand an die Schulter tippte. Ich drehte mich um und blickte in die wunderschönsten grünen Augen, die ich jemals gesehen habe. Der präpotente Fettsack, der übrigens kein Fettsack war, entschuldigte sich dafür, mir anscheinend ein Stück meiner Kindheit gestohlen zu haben und bot mir an, dafür seine Kindheitserinnerungen und den letzten Bratapfel mit mir zu teilen. Und so nahm unsere Geschichte ihren Lauf: Thorsten und ich trafen uns noch ein weiteres Mal auf diesem Weihnachtsmarkt, genau an diesem Stehtisch zu Bratapfel und heißer Schokolade, verbrachten dann Silvester und seitdem all die anderen Festtage der letzten sieben Jahre miteinander. Dieser Weihnachtsmarkt und dieser Stehtisch waren es auch, an dem er mich vor vier Jahren fragte, ob ich seine Frau werden wollte.

Dass ich mich jedoch an dem Tag, an dem ich ihm die ewige Treue schwor, auch auf ewigen Krieg einließ, wurde mir erst etwas später bewusst. Als wir unsere gemeinsame Zukunft genauer definierten, wurde uns klar, dass mögliche Kinder in unserer doch sehr kleinen, aber kuscheligen Mietwohnung wohl keinen Platz hätten und wir uns für unsere Kinder genau das wünschten, was wir auch selbst so liebten: viel Platz, Natur und Großeltern in der Nähe, mit denen man vor Weihnachten Kekse bäckt, heiße Schokolade trinkt und Bratäpfel nascht.

Wir waren überglücklich mit diesem Plan und konnten es gar nicht erwarten, loszulegen! Als Thorsten den Kredit für unser Bauvorhaben bewilligt bekommen und zugleich auch das Grundstück gekauft hatte, das wir uns gemeinsam ausgesucht hatten, kam er mit einem roten Eimer und den Worten: „Den wirst du in Zukunft öfter brauchen!“ nach Hause. In dem Eimer befanden sich Hammer, Nägel, Säge, Handschuhe und vieles mehr, das uns unsere ersten Schritte ins eigene Heim ankündigte.

Während der dreijährigen Bauzeit liefen wir alle nur noch auf Reserve, was auch für unsere Beziehung eine wahre Zerreißprobe war. Auch die zuerst so friedliche Beziehung zu meiner Schwiegermutter wurde sukzessive schwieriger. Anfängliche Verstimmtheiten wurden bald zu Recht manifesten Aggressionen, die sie mir mit unübersehbarer Geringschätzung und schnippischen Bemerkungen à la Schwiegermonster deutlich machte. Von Dingen wie „tollpatschiger Trampel“ oder „Möchtegern-Model“ ließ ich mir ja kaum die Laune verderben und schob ihr unpassendes Verhalten auf die allgemeine Überbelastung, unter der wir während des Hausbaues standen.

Als sie jedoch anfing, Thorsten explizit alleine nach Hause einzuladen und ihm dort all das zu erklären, was ich in ihren Augen in den ehelichen Pflichten nicht gut genug machte, wurde es mir zu viel. Anstatt das sofort mit Thorsten zu besprechen, bemühte ich mich um Geduld. Diese kam mir jedoch mit einem Mal abhanden, als sie Thorsten, ihren Sohn, als halben Mann und mich im gleichen Satz als unerzogenes Gör, das sich nur in ein gemachtes Nest setzen wollte, bezeichnete.

Zu Hause brach all das heraus, was sich in den Wochen und Monaten davor schon an Frust in mir angestaut hatte. „Wenn diese Frau so weiter macht, schenke ich ihr einen Kaktus zu Weihnachten!“, warf ich Thorsten an den Kopf und schloss mich im Badezimmer ein, um mich bei einem heißen Bad wieder etwas zu beruhigen. Thorsten verkroch sich an seinen PC und ich legte mich nach dem Bad sofort ins Bett, um nicht noch Schlimmeres zu sagen.

Als wir Thorstens Mutter an einem vorweihnachtlichen Sonntagnachmittag gemeinsam besuchten, um die Situation mit ihr zu klären, wurde uns die Tür mit theatralischem Augenrollen geöffnet, von dem jede sechzehnjährige Tochter noch mächtig was hätte lernen können. Widerwillig stellte sie uns beiden Kaffee auf den Tisch und stellte rein obligatorische Smalltalk-Fragen. Als Thorsten jedoch konkreter wurde und auf die Planung des nahenden Weihnachtsabends zu sprechen kam, kippte die Stimmung schlagartig.

Jetzt wisst ihr auch, wie es zum Anfang der Geschichte gekommen ist. An diesem Tag nämlich, an dem die verletzte Schwiegermutter wie ein kleines Kind die Stiege hinauf gestampft ist, ist auch Thorsten der Geduldsfaden gerissen. Er schnappte mich an der Hand, stieß dabei den Kaffee auf dem vorweihnachtlichen Küchentisch um und ließ ihn ungeachtet auf den Boden tropfen. Er polterte mit mir im Schlepptau die Stiege hinauf. Noch ganz erschrocken von dieser emotionalen Wende tapste ich ihm hinterher, als er ins Wohnzimmer stürmte und der wutentbrannten Mutter an den Kopf warf: „Mama, du bewegst dich auf dünnem Eis! Wenn du glaubst, mich durch deine kindische Zickerei für immer unter deinen Fittichen halten zu können, hast du dich gewaltig geirrt! Ich bin mittlerweile ein erwachsener Mann, der Verantwortung für sich und seine Frau trägt – aber sicher nicht für eine klammernde Mutter!“

Mit diesem Satz verließen wir eine weinende Schwiegermutter, die sich am Weihnachtsabend mit Keksen, heißer Schokolade und Bratäpfeln in unserem neu bezogenen Wohnzimmer einfand und versöhnende Geschichten aus einem Weihnachtsbuch meiner Kindheit vorlas. Ich blickte dabei in die glitzernden, grünen Augen meines Mannes und wusste, ich würde ihn sofort wieder heiraten.

Text: Martha Ortner
Illustration: Seitenkünstler Aaron

[tds_note]Ein CLUE-Beitrag zum Special #litadvent. In diesem Jahr haben wir vier Clues vorgegeben, die in den kreativen Texten auftauchen sollten: Schlag, auf dünnem Eis, Kaktus, roter Eimer. Was sich die AutorInnen ausgedacht haben, könnt ihr an den Advents-Wochenenden hier in der Bücherstadt erfahren. Dazwischen erwarten euch u.a. Buch- und Filmtipps zur Winter- und Adventszeit und einige spannende Buchverlosungen. Hier werden alle Beiträge zum #litadvent gesammelt. Wir wünschen allen eine besinnliche, ruhige Adventszeit und viel Freude beim Lesen![/tds_note]
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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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